Impfbereitschaft bei Schwangeren: "Wir haben viel Luft nach oben"
Verschiedene Infektionswellen sorgten in diesem Frühjahr für Aufregung in Kinder- und Frauenarztpraxen. Dabei gibt es beispielsweise gegen den Keuchhusten-Erreger eine STIKO-Impfempfehlung für werdende Eltern. Doch mit der Impfquote hapert es - auch in Norddeutschland.
Die Zahlen des Robert Koch-Instituts sprechen eine deutliche Sprache: 60 von 100 Schwangeren haben keinen ausreichenden Impfschutz gegen Keuchhusten (Pertussis). Bei der Influenza sieht es noch schlechter aus: Nur 17 Prozent der werdenden Mütter lassen sich gegen die Grippe impfen. Zwar stehen die norddeutschen Länder im Bundesvergleich etwas besser da - doch auch hier machen die Geimpften im Schnitt nicht viel mehr als ein Fünftel aus. "Wir haben da viel Luft nach oben, weil meine Kolleginnen und Kollegen mitunter sehr zögerlich sind", sagt Cornelia Hösemann vom Berufsverband der Frauenärzte (BVF).
Dabei ist die Datenlage, was die Risiko-Nutzen-Abwägung angeht, klar: Bei den empfohlenen Impfungen gibt es kein erhöhtes Risiko für Schwangere. Und der Berufsverband bietet jährliche Fortbildungen an. Doch viele, so glaubt die Gynäkologin, überschätzten den Beratungsaufwand und hätten Sorge, Fehler zu machen: "Aber nicht zu beraten, ist eigentlich der größte Fehler."
Krankheitsabwehr bei Schwangeren verschiebt sich
Denn schwangere Frauen gelten als Risikogruppe bei mehreren Infektionskrankheiten. Das liegt daran, dass ihre Immunantwort anders ist: "Ganz banal gesagt, ist es so, dass wir eine Verschiebung haben, weg von der zellulären Immunantwort hin zu der sogenannten humoralen Immunantwort", erklärt Janine Zöllkau, Fachärztin für Geburtsmedizin an der Uniklinik Jena. Das heißt: Antikörper im Blut, die mit der Zeit abnehmen können, spielen nun eine größere Rolle. Das Immungedächtnis in den Zellen kann dagegen in der Schwangerschaft weniger ausrichten.
Und es gibt auch ganz simple körperliche Einschränkungen, gerade bei Atemwegsinfektionen: "Die wachsende Gebärmutter und der verminderte Platz im Bauch und dann auch im Brustkorb haben zum Beispiel zur Folge, dass die Schwangere gegen Ende ihrer Schwangerschaft einfach bestimmte Lungenanteile nicht mehr so gut belüften kann", so Zöllkau.
Influenza: Erhöhtes Risiko für Mutter und Kind
Mit Influenza infizierte Schwangere haben im Vergleich zu anderen Patienten deshalb ein 6,5fach erhöhtes Risiko, ins Krankenhaus zu müssen. Mit dreimal so großer Wahrscheinlichkeit entwickeln sie eine Lungenentzündung. Dadurch kann auch das ungeborene Kind geschädigt werden. Die STIKO empfiehlt Schwangeren deshalb, sich jeweils aktuell gegen Influenza impfen zu lassen. Und auch Covid sollte man nach wie vor auf dem Zettel haben, meint Janine Zöllkau, die selbst auch zu Infektionen in der Schwangerschaft forscht.
Bei Keuchhusten dagegen geht es vor allem um die Neugeborenen, denn sie stecken sich oft bei Angehörigen an. Das Problem: Die Immunität nach einer früheren Infektion oder Impfung lässt im Laufe des Lebens nach, mitunter sogar ziemlich schnell. Erwachsene erkranken dann aber oft ohne den typischen extrem quälenden Husten und infizieren unwissentlich das Kind. Und Säuglinge bekommen frühestens im Alter von zwei Monaten ihre erste eigene Keuchhusten-Impfdosis.
Nestschutz: Überraschend hohe Antikörper-Level
Bei der Idee der Schwangeren-Impfung kommt daher der sogenannte Nestschutz ins Spiel: "Ein grundsätzlich mega-cooles Prinzip der Natur“, so Fachärztin Zöllkau. "Das ist immunologisch quasi das große Geschenk, das die Mutter dem Kind mitgibt."
Über die Plazenta werden nämlich Antikörper aus dem mütterlichen Blut an das Kind weitergegeben. Und weil sie aktiv gebunden und angereichert werden, können Neugeborene ein Antikörper-Level haben, das noch über dem der Mutter liegt. "Es ist tatsächlich so, als würde die Plazenta mit ihren Rezeptoren die Hände ausstrecken und die Antikörper aktiv zum Kind rübernehmen. Das geht nur in die eine Richtung", erklärt Zöllkau. So sind die Kinder in den ersten Wochen ihres Lebens geschützt.
Das Stillen hingegen trägt - entgegen einer weitverbreiteten Auffassung - nur indirekt zum Nestschutz bei: Die Brustdrüse könne in der Milch verschiedene Klassen von Antikörpern anreichern, so die Fachärztin. Doch weil die Milch geschluckt und verdaut werden muss, tauchten diese funktional nicht in relevanter Menge im Blut auf. Wohl aber auf den Schleimhäuten: "Gerade für die Atemwegsinfektionen, die also ihren Eintrittsmechanismus über die Nase, den Mund und den Rachen haben, ist es natürlich schon toll, wenn Muttermilch diesen Raum benetzt."
Auch Partner und Großeltern können das Kind mit schützen
Doch auch anderen Angehörigen raten Fachleute im Sinne des Neugeborenen, sich impfen zu lassen. Frauenärztin Cornelia Hösemann nimmt in ihrer Praxis deshalb auch Partner und Großeltern in den Fokus: "Ich frage immer, wenn die Ehemänner zur Schwangerenberatung mitkommen, ob sie ihren Impfausweis dabei haben." Nicht allen Ärzten sei klar, dass das abrechnungstechnisch kein Problem sei.
"Sprechende Medizin" gegen Impfskepsis
Wie wichtig die Beratung durch Ärzte ist, zeigt eine Studie aus Wien zur Impfbereitschaft und Risikowahrnehmung von Frauen. Wurden Schwangere zusätzlich zur schriftlichen Information auch mündlich beraten, entschieden sich fast doppelt so viele für eine Impfung. Gerade in der Schwangerschaft ist bei Impfungen die Sorge um potenzielle Risiken groß. Die Ständige Impfkommission allerdings spricht Empfehlungen grundsätzlich nur nach ausführlicher Risiko-Nutzen-Abwägung aus. Doch nach einem kurzen Hoch durch die Pandemie stagniert die Impfbereitschaft in vielen Bereichen, oder sinkt sogar.
"Die Impfberatung ist schon eine Herzensangelegenheit vieler Frauenärzte", sagt Janine Zöllkau. Das sei auch eine politische Frage und könne unter anderem daran liegen, dass die Mutterschaftsvorsorge insgesamt eine umfangreiche und eng getaktete Angelegenheit ist. "Was uns im Praxisalltag häufig limitiert, ist einfach die Zeit, die wir in unsere Patienten und für die Sprechstunde investieren können." Die Beratung zu mehreren Impfungen zu integrieren, gegebenenfalls sogar mit spezieller Risikokonstellation durch Vorerkrankungen, sei schon eine Herausforderung.
Bald auch eine Empfehlung für RSV-Impfung?
Die könnte schon bald noch ein Stück komplexer werden. Denn nach der Prüfung durch die Europäische Arzneimittelagentur ist für Schwangere mittlerweile auch ein Impfstoff gegen RSV zugelassen, einer für Neugeborene gefährlichen Atemwegsinfektion. Die Fachgesellschaften empfehlen die RSV-Impfung bereits, darunter die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin, der auch Janine Zöllkau angehört. Und auch die Sächsische Impfkommission SIKO hat sich schon positioniert.
In ihrer eigenen Praxis berät Cornelia Hösemann, selbst SIKO-Mitglied, bereits zur RSV-Impfung und verabreicht sie auf Wunsch auch. "Ich hatte bisher keine einzige Schwangere, die die Impfung abgelehnt hat", sagt sie. Allerdings: Solange es keine Empfehlung der STIKO, also des nationalen Gremiums, gibt, übernehmen viele Krankenkassen die Kosten nicht. Frauenärzte könnten helfen, eine Kostenerstattung zu beantragen. Trotzdem erschwere dieser Umweg die Impfung.
Wie viel eine Empfehlung von offizieller Seite ausmacht und wie sehr sie die Sorge werdender Eltern vor potenziellen Impfrisiken zerstreuen kann, zeigen Studien zur gesteigerten Impfbereitschaft nach der STIKO-Empfehlung einer Covid-Impfung für Schwangere.
Beratung, kein Dogmatismus
Cornelia Hösemann rechnet damit, dass sich auch die STIKO bald zur RSV-Immunisierung äußert. Sie plädiert für einen pragmatischen Umgang mit der Impfberatung: "Wenn man es dann in seine Praxis integriert hat, dann ist das in meinen Augen eigentlich fast ein Selbstläufer." Dazu gehöre auch das Personal, das schon zur Begrüßung nicht nur nach der Chipkarte und dem Mutterpass, sondern auch dem Impfpass frage.
Janine Zöllkau ist vor allem eins wichtig: "Wir machen keine dogmatischen Beratungen im Sinne von 'alle müssen sich impfen lassen'.“ Auch sei die Schwangerschaft nicht die Zeit, um Grundimmunisierungen nachzuholen. "Unser Anliegen ist es nur, dass alle so gut informiert sind, dass sie selbst entscheiden können."