Energetische Sanierung verdrängt Mieter
Hans Freiwald lebt fast sein halbes Leben in der Wohnung in Hannover Südstadt. Eine normale Wohngegend, bisher. Doch der Wohnkomplex in dem der Rentner wohnt, wird derzeit saniert. Die Hälfte der Modernisierungskosten fallen an für energetische Sanierung: dreifach verglaste Fenster, Fassadendämmung, eine neue Heizungsanlage. Dazu kommen ein Aufzug, neue Balkone und ein neues Treppenhaus.
Im Fall von Hans Freiwald bedeutet die Sanierung satte 1.200 Euro Mieterhöhung im Monat - zusätzlich zu der jetzigen Kaltmiete von knapp 700 Euro. Das entspricht einer Erhöhung von rund 10 Euro pro Quadratmeter. Was nach Skandal klingt, ist völlig legal. Denn laut Gesetz darf der Vermieter bis zu elf Prozent der Modernisierungskosten auf den Mieter umlegen.
Alles im Rahmen der Gesetze
"Als ich die Beträge gesehen habe, dachte ich: Jetzt muss ich weg", sagt Hans Freiwald Panorama 3. Seine Rente reiche nicht, um die hohe Miete zu decken. Doch er bleibt. Mithilfe des Mietervereins Hannover wehrt er sich gegen die Erhöhung, legt Widerspruch ein, der Ausgang des Verfahrens ist noch offen. Sollte Freiwald mit seinem Widerspruch scheitern, kann ein Gericht darüber entscheiden, ob ein Fall von "wirtschaftlicher Härte" vorliegt - und das kann dauern.
Wenn Freiwald jedoch zur Zahlung der Erhöhung verpflichtet wird, bleibt ihm nur ein Ausweg: Er muss ausziehen. Auf Nachfrage von Panorama 3 antwortet der Vermieter, die Erhöhung liege im gesetzlichen Rahmen. Und: Die Maßnahmen seien auch nötig, immerhin erfüllten sie die Klimaschutzziele der Bundesregierung.
Dass aber dabei Mieten so kräftig steigen, dass Menschen ihre gewohnten Quartiere verlassen müssen, dürfe nicht sein, sagt Volker Neitzel, Fachanwalt für Mietrecht in Hannover. Sicherlich sei es sinnvoll, wenn durch eine energetische Sanierung Heizkosten gespart werden. "Aber die hohen Mieten laufen ja weiter, auch wenn die Baukosten längst durch die Erhöhung wieder drin sind", so der Jurist. Im Verhältnis zur Einsparung der Heizkosten stehen die Kosten einer Klimasanierung nicht.
Arm und Reich driften noch weiter auseinander
Stadtsoziologin Katrin Großmann sagt, energetische Sanierung ist aus soziologischen und ökologischen Gründen sehr sinnvoll. Aber sie beobachtet auch, dass immer mehr Menschen aus den mittleren Lagen verdrängt werden: "Ich befürchte, dass sich durch die energetische Sanierung Arm und Reich in unseren Städten weiter räumlich konzentrieren und auseinanderdriften." Energetische Sanierung könne dazu führen, dass die Geringverdiener aus den mittleren und besseren Lagen gedrängt würden - in schlechtere Wohnquartiere.
Denn immer mehr Haushalte können sich die Miete nach der energetischen Modernisierung nicht mehr leisten. So geht es auch der alleinerziehenden Verkäuferin Daniela Kalthof und dem Rentner Werner Egge aus Hamburg Winterhude. Ihnen droht nach energetischen Sanierungsmaßnahme eine Mieterhöhung von 240 Euro. Auch sie haben Widerspruch eingelegt.
Keine genaue Aufschlüsselung
Werner Egge kritisiert bei der Baumaßnahme vor allem, dass es bisher noch keine genaue Aufschlüsselung der Baukosten gegeben habe. Denn auf die Mieten dürfen nur diejenigen Maßnahmen umgelegt werden, die auch tatsächlich zur Verbesserung einer Wohnung führen. Keine Instandsetzungen oder Luxussanierungen.
Experten sehen in ungenauen Aufstellungen auch einen Trick, die Kosten für die Mieter möglichst lange im Dunkeln zu halten. So kommen dann hohe Summen zusammen, die nicht genau deklariert sind, aber trotzdem auf die Kaltmiete draufgeschlagen werden. Wer also geschickt saniert, profitiert am Ende durch die dauerhaft gestiegenen Kaltmieten.
Verdrängung durch Sanierung?
"Die energetische Sanierung ist eine Möglichkeit dem Mieter zu begründen, ich habe hier saniert", sagt Stadtsoziologin Katrin Großmann. "Dann hat man alles Mögliche andere noch mitgemacht und kann eine erhöhte Miete fordern." Als Mieter müsse man erstmal so kompetent sein, zu wissen, wie viel der Vermieter erhöhen darf - und ob überhaupt eine Modernisierung vorliege. Die wenigsten Mieter sind so vorausschauend und bezahlen einen Gutachter, der den Zustand des Hauses vor der Sanierung dokumentiert. "Viele Mieter suchen den einfachen Ausweg, sich eine neue Wohnung zu suchen. Das ist Verdrängung", so Großmann.
Gegen die Modernisierung wehren kann man sich also, aber um eine Erhöhung der Miete kommt man meist nicht herum. In einigen Fällen ist sie für Vermieter auch eine legale Möglichkeit, Mieter mit günstigeren Altverträgen loszuwerden, sagt Fachanwalt Neitzel. "Wenn ich als Vermieter möglicherweise einen Mieter nicht mehr haben möchte, kann ich auch versuchen über diesen Umweg - weil ich sonst keinen Kündigungsgrund habe - ihm dieses Mietverhältnis einfach zu verleiden. Das kommt immer wieder vor, würde ich nicht als Regel ansehen - ist aber nicht auszuschließen."
Kostenbeteiligung soll gesenkt werden - um ein Prozent
Berlin verspricht nun Hilfe. Der Koalitionsvertrag sieht vor: Die Höhe der Kostenbeteiligung für die Mieter an der Klimasanierung wird jetzt gesenkt: um ein Prozent. Von elf auf zehn. Ein ganzes Prozent. Ändern wird das für Hans Freiwald und all die anderen Betroffenen mit großer Sicherheit nichts.
In krassen Fällen sieht die Politik die so genannte Härtefallregelung vor. Das heißt, übersteigt die Miete nach einer Modernisierung die finanziellen Möglichkeiten eines Mieters, kann im Einzelfall zu Gunsten des Mieters entschieden werden. Zum Beispiel wenn die Miete über 30 Prozent des Einkommens beträgt oder mehr. Um den Härteeinwand aber rechtzeitig geltend zu machen, muss der Mieter eine bestimmte Frist einhalten und bereit sein, sich mit dem Vermieter auf einen Rechtsstreit einzulassen. So ein Verfahren kann dann mehrere Monate dauern. Viele haben die Nerven und die Ausdauer dafür nicht und suchen sich lieber eine andere Wohnung. Mietervereine helfen da weiter.