Ein Jahr Deutschlandticket - eine Erfolgsgeschichte?

Stand: 30.04.2024 18:22 Uhr

Seit einem Jahr gibt es das Deutschlandticket zum Preis von 49 Euro: ein bundesweit gültiges Ticket für den Öffentlichen Personennah- und Regionalverkehr. Fast durchgängig wird es als Erfolg gefeiert. Doch es gibt auch Kritik.

von Sonja Puhl

Das 49-Euro-Ticket feiert ersten Geburtstag - und fast alle feiern das. Das bundesweit gültige Ticket für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und Regionalverkehr - unabhängig von kleinteiligen Tarifsystemen - haben laut Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) inzwischen im Monatsdurchschnitt 11,2 Millionen Menschen abonniert. Insgesamt hat etwa jeder Vierte das Deutschlandticket im ersten Jahr zumindest einmal ausprobiert. Die Resonanz ist überwiegend positiv.

Greenpeace-Mobilitätsexpertin: "Wir brauchen noch viel mehr Busse und Bahnen"

Marissa Reiserer, Mobilitätsexpertin bei Greenpeace © Greenpeace Foto: Gesche Jäger
Die Verkehrsunternehmen bräuchten viel mehr Geld von Bund und Ländern für Infrakstruktur und mehr Personal, sagt die Expertin für Verkehrswende Marissa Reiserer.

"Ein Jahr 49 Euro Ticket - das ist das Beste, was Verkehrsminister Volker Wissing in seiner Amtszeit bisher hingekriegt hat", so die Einschätzung der Greenpeace-Mobilitätsexpertin Marissa Reiserer. "Die Fahrgastzahlen im ÖPNV sind wieder deutlich gestiegen. Und vor allem ist es viel einfacher, Bus und Bahn zu benutzen. Und das ist toll und wahnsinnig wichtig für die Verkehrswende." Trotzdem gibt es vonseiten der Umweltschutzorganisation mit Deutschlandzentrale in Hamburg Kritik. So müsse die Verkehrspolitik den Ausbau des Bus- und Bahnnetzes endlich massiv vorantreiben - insbesondere auch im ländlichen Raum - und dafür müssten auch Gelder fließen, fordert die Verkehrsexpertin im Interview mit NDR Info: "Es kann nicht sein, dass das wirklich gute Angebot vor allem für Menschen in der Stadt besonders wertvoll ist und alle anderen das Nachsehen haben." Denn für viele Menschen auf dem Land lohnt sich das 49-Euro-Ticket nicht, weil ihre Wohnorte nicht an den ÖPNV angebunden sind oder die Busse oder Bahnen einfach viel zu selten fahren.

Marodes Schienennetz erschwert die Nutzung

Außerdem ist das Netz der Bahn über weite Strecken marode. Einen etwas zugespitzten Vergleich zieht in diesem Zusammenhang der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU): "Es ist momentan bundesweit ein wenig so, als würden wir Kinokarten verkaufen, ohne ein wirklich intaktes Kino zu haben und zudem bieten wir nicht wirklich ein attraktives Programm." Die Deutsche Bahn hat eine "Generalsanierung" angekündigt. Aber die Ergebnisse werden noch einige Jahre auf sich warten lassen.

Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU). © Anna Grusnick
AUDIO: Madsen zum Deutschlandticket: "Der Preis muss angepasst werden" (9 Min)

Ausbau bei Bus und Bahn hinkt hinterher

Besser habe man es in Wien gemacht, erklärt Thomas Siefer vom Wissenschaftlichen Beirat beim VDV im Interview mit NDR Info. In der österreichischen Hauptstadt habe man über Jahre das Nahverkehrssystem ausgebaut und erst dann ein 365-Euro-Jahresticket eingeführt. "Wir haben das aus verschiedensten Gründen andersherum gemacht und müssen jetzt sehen, dass wir mit dem Ausbau nachkommen." Erschwerend komme hinzu, dass es zu wenig Bus- und Bahn-Personal gebe.

Trotzdem sieht auch Siefer, der bis vor Kurzem auch Verkehrswesen an der Technischen Universität Braunschweig gelehrt hat, das 49-Euro-Ticket als Erfolgsgeschichte - "wobei wir uns ein bisschen mehr Erfolg gewünscht hätten": Der Großteil der Abonnentinnen und Abonnenten habe schon vorher den ÖPNV genutzt. Nur rund sieben Prozent der Autofahrten seien durch das Deutschlandticket ersetzt worden. Damit würden immerhin 1,3 Millionen Tonnen CO2 eingespart. "Als Branche hatten wird uns von denjenigen, die völlig neu zum System gekommen sind, ein bisschen mehr gewünscht. Aber vielleicht wird es ja auch noch." Und damit das etwas werde, müsse es Planungssicherheit geben: "Darum haben wir als Wissenschaftlicher Beirat beim VDV auch gefordert, dass es eine Verlässlichkeit von wenigstens zehn Jahren geben muss. Das ist eine alte Erfahrung, dass es mehrere Jahre braucht, bis sich Verkehrsverhalten ändert", sagt Siefer.

Greenpeace: Preis für Deutschlandticket muss mindestens dauerhaft stabil bleiben

Diese Verlässlichkeit fordert auch die Expertin für Verkehrswende bei Greenpeace, Reiserer: "Die ganze Debatte darüber, ob man das 49-Euro-Ticket langfristig zu diesem Preis finanziert, ist wirklich toxisch." Die Forderung: "Zumindest der Preis von 49 Euro muss für die nächsten zehn Jahre eingefroren werden. Damit die Menschen die Sicherheit haben, wenn sie ihr Auto abschaffen, dass sie langfristig das günstige Ticket kaufen können." Besser noch wäre es, wenn der Preis auf 29 Euro gesenkt werden würde. Eine Abfrage vor Einführung des Deutschlandtickets habe ergeben, dass doppelt so viele Menschen bereit gewesen wären, das Ticket zu kaufen, wenn es nur 29 Euro gekostet hätte. Und dadurch, dass es dann mehr Abonnenten - hoffentlich aus dem Autofahrer-Sektor - geben würde, würden sich die möglichen Einnahmen soweit erhöhen, dass es als ein Baustein zur Finanzierung der Verkehrswende dienen könnte. Weitere Einnahmequellen aus Sicht von Greenpeace: beispielsweise der Abbau klimaschädlicher Subventionen und weniger neue Autobahnen.

Eine Person steht an einem Bahnsteig und hält in der Hand ein Smartphone in der Hand, auf dem ein Deutschlandticket ist. © picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer Foto: Michael Bihlmayer
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VDV rechnet nicht mit günstigerem Deutschlandticket

Dass das 49-Euro-Ticket künftig günstiger werden könnte, glaubt Verkehrsexperte Siefer nicht. Wahrscheinlich würden nicht einmal die drei Milliarden Euro pro Jahr ausreichen, auf die die Politik sich als Unterstützung verständigt hat, um den Preis von 49 Euro zu halten. Schon jetzt müssten aus Geldmangel einige Verbindungen ausgedünnt werden: So gebe es Überlegungen, auf der Verbindung Elbgaustraße - Pinneberg im Hamburger Speckgürtel zumindest zeitweilig die Züge nicht mehr alle zehn, sondern nur noch alle zwanzig Minuten fahren zu lassen. Siefer würde sich deshalb nicht nur eine Garantie für die nächsten zehn Jahre wünschen, "sondern dass das auch dynamisiert wird, zumindest wenigstens in Relation zur Steigerung der Lebenshaltungskosten. Dann könnte nämlich der Preis erst mal einige Zeit wahrscheinlich konstant gehalten werden."

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Bundeseinheitliche Regeln wünschenswert

Die Attraktivität des Deutschlandtickets könnte vermutlich nicht nur durch den Preis, sondern auch durch bundeseinheitliche Regelungen etwa fürs Mitnehmen von Kindern, Fahrrädern und Tieren gesteigert werden. In einigen Verkehrsverbünden ist das nämlich kostenlos möglich, in anderen nicht. Auch ein flächendeckendes vergünstigtes Deutschlandticket für Seniorinnen und Senioren und Schülerinnen und Schüler gibt es nicht. Verschiedene regionale Verkehrsverbünde bieten solche Tickets aber an, allerdings unterscheiden sich die Angebote. So wird es in Hamburg nach den Sommerferien ein kostenloses Schülerticket geben.

Und auch das sogenannte Jobticket, mit dem Arbeitgeber ihren Mitarbeitenden das Deutschlandticket noch einmal günstiger anbieten, ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich geregelt. Gerade im Jobticket sieht Verkehrsexperte Siefer "einen ganz großen Hebel, um die Akzeptanz des Tickets noch zu verbessern." Und Mobilitätsexpertin Reiserer sieht in günstigeren Preisen wie durch ein Jobticket eine Chance für "Menschen, die zögern ihr Auto abzuschaffen, weil sie den ÖPNV noch nicht gut kennen oder noch nicht das perfekte ÖPNV-Angebot in ihrer Nähe haben". Aber auch dafür brauche es eine langfristige Preisgarantie - darin sind sich beide Experten einig.

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NDR Info | NDR Info | 30.04.2024 | 16:00 Uhr

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