Deutsche Marine im Roten Meer: Nur bedingt einsatzfähig?
Der EU-Einsatz der Fregatte "Hessen" im Roten Meer zeigt, dass die deutsche Marine schneller "kriegstüchtig" werden musste, als es sich viele vorgestellt hatten. Doch Wollen ist nicht gleich Können. Wie durchhaltefähig ist die Marine?
Im Ernstfall bleibt den Schiffsbesatzungen nicht viel Zeit zum Nachdenken: "Im schlechtesten Fall haben sie nur wenige Sekunden, 10 bis 20 Sekunden. Im günstigsten Fall haben sie vielleicht noch ein bisschen mehr, vielleicht eine Minute oder vielleicht sogar noch mehr", sagte Flottenadmiral Axel Schulz, Kommandeur der Einsatzflottille 2 der Marine in Wilhelmshaven, zu der auch die "Hessen" gehört. Gleichwohl betonte er gegenüber dem NDR immer wieder, wie groß sein Vertrauen in das Können und die Entschlossenheit seiner Männer und Frauen sei.
Doch wie steht es um die Ausrüstung der "Hessen", die am Dienstag bereits erstmals scharf schießen musste? Marineinspekteur Jan Christian Kaack fand auf einer Tagung im Januar deutliche Worte: "Auch im Bereich der Beschaffung von Munition sind wir leider noch nicht da, wo wir hinmüssen. Allein mit Blick auf die aktuellen Munitionsverbräuche unserer Partner bei der Operation 'Prosperity Guardian' mache ich mir große Sorgen um die Durchhaltefähigkeit unserer Einheiten - und bei den Aktivitäten im Roten Meer sprechen wir noch nicht von Landesverteidigung oder Bündnisverteidigung."
Munition für die deutschen Schiffe ein knappes Gut
Operation "Prosperity Guardian" ist die Bezeichnung der US-geführten Mission im Roten Meer, die EU-Mission im selben Gebiet heißt Operation "Aspides". Was Kaack mit "großen Sorgen bei der Durchhaltefähigkeit" meinte, berichten andere Marine-Offiziere konkreter: So sei die Fregatte "Hessen" zwar voll aufmunitioniert ins Rote Meer gefahren, unter anderem mit drei verschiedenen Raketenarten an Bord. Aber wenn die verschossen seien, gebe es nur für eine Sorte minimalen und für die anderen beiden gar keinen Nachschub aus deutschen Depots.
Das räumte auch Admiral Schulz ein: "Wir können nicht unendlich lange da stehen, die Schiffe immer wieder ausrüsten, sondern wir haben eine begrenzte Anzahl an Flugkörpern, sodass wir derzeit den Einsatz begehen können, aber irgendwann wird uns gerade die Hochwert-Munition auch ausgehen. Wenn wir irgendwann mal keine Munition mehr haben sollten, wenn wir alles verschossen haben, dann wird der Einsatz sowieso beendet sein für uns. Das geht ja nicht anders. Wir können ja Schiffe nicht unmunitioniert irgendwohin schicken."
Die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten an Bord ist also nicht gefährdet, doch in Sachen Abschreckung in Richtung Russland sendet der Munitionsmangel ein Signal der Schwäche. Mehrere Analysten gehen davon aus, dass Moskau in fünf bis sechs Jahren seine Invasionspläne auch auf die NATO-Mitglieder im Baltikum ausweiten könnte. Und dort wäre die deutsche Marine noch viel intensiver gefordert als derzeit im Roten Meer.
Personalmangel als Teufelskreis
Eine sogar noch höhere Priorität als Munition hat für Marineinspekteur Kaack allerdings der dramatische Personalmangel, die Lage sei "in Teilen desaströs". Admiral Schulz nennt als Beispiel den Operationsdienst seiner Flottille, also Soldatinnen und Soldaten, die Radargeräte, Waffen und andere Sensoren bedienen: "Da liegen Antrete- und Besatzungsstärke teilweise nur bei 50 Prozent. Insofern ergibt es schon unweigerlich, dass wir letzten Endes nicht alle Schiffe besetzen können und nicht alle Schiffe auch gleichzeitig in den Einsatz schicken können."
Ein Teufelskreis: Wegen Personalmangels werden die, die da sind, immer häufiger in den Einsatz geschickt, was den Job immer unattraktiver macht. 230 Tage auf See und mehr sind keine Seltenheit. Um genug Personal zu bekommen, müsste die Marine alle Bevölkerungsgruppen ansprechen. Doch eine neue Bundeswehrstudie zeigt: Die Anzahl zum Beispiel junger Frauen, die die Truppe attraktiv findet, ist in den letzten fünf Jahren um die Hälfte gesunken, auf nur noch 36 Prozent. Gründe dafür sind, so berichten es Soldatinnen immer wieder, fehlender Respekt und der Unwille, Familie und Dienst ausreichend vereinbar zu machen. Doch möglicherweise ist der Druck auf die militärische und politische Führung bald so hoch, dass sie die nötigen Veränderungen doch angeht.
Mehr Informationen zu dem Thema am Freitag ab 16.30 Uhr in der neuen Folge des NDR Info Podcasts "Streitkräfte und Strategien".