Homeoffice vor dem Aus? Für Familie Gohla würde es "nicht funktionieren"
Fast jeder vierte Deutsche arbeitet derzeit zumindest teilweise im Homeoffice. Einige große Unternehmen haben nun angekündigt, ihre Mitarbeitenden wieder vermehrt ins Büro zu holen. Das Beispiel einer fünfköpfigen Familie aus Lüneburg zeigt, wie sehr mittlerweile ganze Lebensentwürfe von hybrider Arbeit abhängen.
Tilda muss zum Zahnarzt und früher von der Schule abgeholt werden. Alvin will zum Fußballtraining chauffiert werden. Bendix ist zum Kindergeburtstag eingeladen und braucht noch ein Geschenk.
David und Julika Gohla stehen am Küchentresen in ihrem Einfamilienhaus in Lüneburg und checken die Kalender in ihren Smartphones. Wie bei vielen Familien beginnt der Tag bei den Gohlas mit dem ganz normalen Wahnsinn um Kita, Schule und Arbeitspflichten. Mit dem Unterschied, dass beide Eltern Jobs in der Digitalbranche haben und statt zum Zug oder zur Autobahn zu hetzen morgens direkt in ihren Arbeitszimmern verschwinden - Julika einmal die Treppe hoch, David bleibt im Erdgeschoss.
Familie Gohla zog während Corona von Hamburg nach Lüneburg
"Wir haben alles ums Homeoffice herum geplant. Wenn sich an dieser Struktur etwas ändert, würde es nicht mehr funktionieren", sagt David Gohla. Er und seine Frau haben während der Corona-Pandemie wie viele andere Beschäftigte ihr Leben komplett auf das Homeoffice ausgerichtet. Mit damals zwei Kindern wurde es in ihrer 75-Quadratmeter-Wohnung langsam eng, zumal ein weiteres Baby unterwegs war. In Hamburg fanden sie keine bezahlbare größere Wohnung. Also wagten sie den Schritt raus aus der Großstadt, zogen vor knapp vier Jahren in ein großzügiges Einfamilienhaus in Lüneburg, das ihnen sogar die Möglichkeit für zwei separate Arbeitszimmer bietet.
"Wir mögen unsere Jobs und wollen Zeit mit den Kindern verbringen"
Ihre Jobs mit je 30 Wochenstunden plus Familienalltag organisieren die beiden so: Der 44-Jährige ist Produktmanager beim "Kicker", arbeitet im Homeoffice an zwei Tagen lang, Julika kurz. Sie ist für ein großes Softwareunternehmen in Hamburg tätig und muss zweimal pro Woche vor Ort sein - pro Strecke eine gute Stunde Fahrzeit. Dann arbeitet David kurz und übernimmt das Nachmittagsprogramm für die drei Kinder, die drei, sechs und acht Jahre alt sind. Für ihn sei immer klar gewesen, dass auch er als Vater präsent sein wolle: "Wir mögen unsere Jobs, gleichzeitig wollen wir beide auch Zeit mit den Kindern verbringen."
Otto, SAP, Deutsche Bank - Homeoffice wird reduziert
David und Julika Gohla haben verfolgt, wie die Debatte ums Homeoffice in den vergangenen Wochen und Monaten wieder Fahrt aufgenommen hat. Einige große Unternehmen wie Otto, SAP oder die Deutsche Bank haben angekündigt, das während der Corona-Pandemie eingeführte Arbeiten im Homeoffice einzuschränken und Mitarbeitende wieder vermehrt in die Büros zu holen. Das hat viel Aufmerksamkeit generiert, bietet laut Forschern aber nicht das komplette Bild und entspricht nicht den Wünschen der Beschäftigten.
Weg vom Homeoffice wollen nur vier Prozent der Unternehmen
"Der Umfang von Homeoffice gegenüber dem Vorjahr ist unverändert. Von den Beschäftigten in Deutschland arbeiten noch über 23 Prozent teilweise im Homeoffice. Und von diesen 23 Prozent verbringen 17 Prozent ihre ganze Zeit im Homeoffice", sagt Claudia Czycholl von der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg. "Wieder ganz weg vom Homeoffice wollen eigentlich nur vier Prozent der Unternehmen. Im Gegensatz dazu wollen elf Prozent mehr Flexibilisierung."
Die Kulturwissenschaftlerin forscht zur modernen Arbeitswelt. Sie zitiert eine aktuelle Auswertung von Stellenanzeigen, die besagt, dass jeder vierte Arbeitgeber mit der Möglichkeit für Homeoffice wirbt. Wie viele Tage, das variiere nach Branche, der Anteil liege meist zwischen 30 und 60 Prozent. "Hybrides Arbeiten, also eine Mischform aus Homeoffice, mobiler Arbeit und Präsenzarbeit, ist das, was die meisten möchten - sowohl junge Beschäftigte als auch ältere", sagt sie. Vollzeit im Homeoffice gebe es nur noch in wenigen Fällen.
Dass manche Unternehmen inzwischen wieder mehr Präsenz von Beschäftigten einfordern, dafür gibt es laut Czycholl unterschiedliche Begründungen: leerstehende Büroflächen, angeblich nachlassende Produktivität und Teamgeist. Laut Studien werde im Homeoffice im Schnitt aber sogar eine Stunde mehr gearbeitet, sagt Czycholl. Und viele Beschäftigte schätzten eigenverantwortliches, selbstbestimmtes Arbeiten. "Das kann sich natürlich auch positiv auf die Produktivität auswirken."
Forscherin Czycholl: Führungskräfte sollten mehr Vertrauen haben
Als Argument contra Homeoffice werde von Unternehmen häufig auch genannt, dass Führungskräfte Mitarbeitende nicht direkt steuern könnten. "Natürlich müssen sich auch Führungskräfte umstellen", sagt Czycholl. "Sie sollten mehr Vertrauen haben, den Beschäftigten mehr Eigenverantwortung geben, Ziele vereinbaren. Auch das muss im besten Fall von Arbeitgebern gefördert werden, da muss ein Kulturwandel stattfinden."
David Gohla: "Homeoffice ist ein Privileg"
Das Vertrauen, das ihnen von ihren Unternehmen entgegengebracht wird, wissen David und Julika Gohla jedenfalls zu schätzen. "Homeoffice ist durchaus ein Privileg, denn es gibt viele Branchen, wo es nicht möglich ist. Bei uns funktioniert es, deshalb haben wir es so eingerichtet", sagt David. Einmal im Quartal nimmt er ein paar Arbeitstage am Stück, um zum Sitz des "Kicker" nach Nürnberg zu fahren. "Früher war immer jemand da, wenn ich kam", erzählt er. "Heute arbeiten viele, die in Nürnberg leben, auch im Homeoffice und ich muss Bescheid sagen, wann ich komme."
Manchmal wird es auch einsam im Homeoffice
Dass er die Kolleginnen und Kollegen ab und zu auch treffen und von Angesicht zu Angesicht mit ihnen arbeiten kann, sieht er als willkommene Abwechslung, und das möchte er auch nicht missen. Manchmal sei es schon sehr einsam im Homeoffice. Der direkte Austausch auf dem Flur oder in der Kantine fehle, man müsse sich gut selbst organisieren. Die herrliche Aussicht in den großen Garten, die Nähe zum Wald und zur Ilmenau, die durch Lüneburg fließt, entschädigen dafür nicht immer.
Und David Gohla versteht auch die Beweggründe von Arbeitgebern: "Ich sehe schon, dass manche befürchten, dass die Unternehmenskultur flöten geht, wenn alle daheim sitzen und allein vor sich hin werkeln", sagt er.
Gohla: Flexible Arbeitnehmer zahlen sich aus
Er gibt allen Entscheidern aber auch zu bedenken, welchen Nutzen Heimarbeit für sie hat: "Die Flexibilität, die den Arbeitnehmern eingestanden wird, zahlt sich aus. Homeoffice ist unabhängig von Baustellen, Staus, Rush Hour, ÖPNV, Streik." Wenn ein Kind krank sei, müssten er oder Julika nicht gleich einen Krankheitstag nehmen. Außerdem arbeiteten beide trotz Teilzeit sehr effizient. "Und das ist etwas, was Homeoffice weiter befeuert", sagt David. "Weil man ganz viele Sachen einfach auch mal eben macht, wenn man den Arbeitsplatz direkt zu Hause hat."