Forscherin Czycholl: "Homeoffice wichtiges Argument auf dem Arbeitsmarkt"
Homeoffice ist keine Hängematte, Beschäftigte arbeiten zu Hause keinesfalls weniger, sagt Claudia Czycholl von der Kooperationsstelle Hochschule-Gewerkschaften der Universität Oldenburg. Im Interview macht sie auch auf Gefahrenstellen im Homeoffice aufmerksam, wenn Beruf- und Privatleben verschwimmen.
Frau Czycholl, Sie beschäftigen sich mit modernen Arbeitswelten, dazu gehört auch das Thema Homeoffice. Wie produktiv sind Menschen, die im Homeoffice arbeiten?
Claudia Czycholl: Ob mobile Arbeit oder Homeoffice zu einer Steigerung der Produktivität führt, wird seit der Corona-Pandemie stark diskutiert. Betrachtet man verschiedene Studien zu dieser Frage, schätzen Beschäftigte ihre Produktivität im Homeoffice häufig höher ein als vor Ort im Unternehmen - insbesondere, wenn sie konzentriert und störungsfrei zum Beispiel an Texten arbeiten. Zudem zeigen Umfragen, dass die Arbeitszufriedenheit von Beschäftigten gestiegen ist, seitdem sie überhaupt oder mehr im Homeoffice arbeiten können. Das kann sich natürlich auch positiv auf die Produktivität auswirken. Aber auch Arbeitgeber bewerten die Produktivität von Beschäftigten im Homeoffice oft als hoch oder sogar höher als im Büro. So gaben 94 Prozent der befragten Arbeitgeber in einer pwc-Studie von 2023 an, dass ihre Mitarbeitenden im Homeoffice produktiver oder mindestens gleich produktiv sind. Allerdings gibt es auch Tätigkeiten bei denen sowohl Beschäftigte als auch Führungskräfte klare Vorteile darin sehen, in Präsenz im Team zusammenzukommen. Dies betrifft vor allem kreative und soziale Austauschprozesse. Insofern verwundert es nicht, dass die meisten Beschäftigten und Arbeitgeber ein hybrides Arbeiten bevorzugen, also eine Kombination aus mobiler Arbeit und Präsenzarbeit in der Betriebsstätte.
Wie wichtig ist Homeoffice als Argument auf dem Arbeitsmarkt?
Czycholl: Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten um Fachkräfteengpässe, spielt das Arbeiten im Homeoffice eine nicht zu unterschätzende Rolle. Heute bieten viele Unternehmen und Einrichtungen mobiles Arbeiten oder Homeoffice an, um als Arbeitgeber attraktiver zu sein und so Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Die Spannbreite ist dabei sehr unterschiedlich. Häufig anzutreffen sind Regelungen, bei denen Beschäftigte 30 bis 60 Prozent ihrer Arbeitszeit mobil arbeiten können. Wie wichtig Homeoffice als Argument auf dem Arbeitsmarkt ist, verdeutlicht auch die Studie Randstad Arbeitsbarometer 2023. Hier gaben 40 Prozent aller Befragten an, dass sie eine Arbeitsstelle, die keine ausreichende Flexibilität bezüglich des Arbeitsortes anbietet, nicht annehmen würden.
Wie sehen künftige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren potenziellen Job?
Czycholl: Zur sogenannten Generation Z wird gerade sehr viel geforscht, denn es sind die zukünftigen Beschäftigten, die demnächst auf den Arbeitsmarkt kommen - Studierende oder auch Auszubildende. Für die jüngere Generation sind flexible Arbeitsmodelle, bei denen sie auch im Homeoffice arbeiten können, wichtig und ein relevanter Faktor bei der Wahl des Arbeitgebers.
Bringt das Homeoffice auch Nachteile mit sich?
Czycholl: Homeoffice bietet für Beschäftigte viele Vorteile und Potenziale. Aber es gibt auch Risiken und negative Auswirkungen, die bedacht werden müssen. Das zeigen sowohl die Erfahrungen vor als auch während der Corona-Pandemie. Besonders belastend empfinden Beschäftigte die Entgrenzung von Beruf- und Privatleben. Im Homeoffice arbeiten Beschäftigte häufig länger, zu atypischen Arbeitszeiten und außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit, wodurch die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verschwimmen. Späte Abendarbeit im Homeoffice ist weitverbreitet. In einer Befragung des DGB vor vier Jahren gaben 39 Prozent der Beschäftigten an, dass ihre Vorgesetzten von ihnen im Homeoffice erwarteten, außerhalb ihrer normalen Arbeitszeit erreichbar zu sein. Beschäftigten kann es dadurch schwerfallen abzuschalten und es fehlt ihnen an ausreichenden Ruhezeiten. Dies kann negative Folgen haben wie ein erhöhtes Stressempfinden, eine verminderte Schlafqualität bis hin zu Schlafstörungen. Um diesen potenziellen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit entgegenzuwirken, sind formelle Regelungen zu Erreichbarkeiten und Arbeitszeiten in Betriebs- und Dienstvereinbarungen ein wichtiges Instrument.
Beschäftige im Homeoffice bekommen mitunter auch gespiegelt, dass sie es während ihrer Arbeitszeit etwas ruhiger angehen lassen. Stimmt das?
Czycholl: Nein, dem kann ich nicht zu stimmen. Sicherlich gibt es diese Vorurteile, im Homeoffice würden Beschäftigte weniger arbeiten und in ihrer Arbeitszeit privaten Beschäftigungen nachgehen. Dies mag auch in wenigen Fällen so sein, aber auf die meisten Beschäftigten trifft dies nicht zu. Häufig ist es sogar so, dass Beschäftigte im Homeoffice mehr Überstunden leisten als im Büro im Unternehmen.
Es gab zuletzt vermehrt Berichte über Unternehmen, die beim Thema Homeoffice zurückrudern. Wie bewerten sie das?
Czycholl: Das Thema erfährt momentan eine starke mediale Aufmerksamkeit, da einige große Unternehmen die Homeoffice-Arbeit wieder einschränken oder in seltenen Fällen auch gar kein Homeoffice mehr anbieten wollen. Nach einer Umfrage des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung vom August planen allerdings nur zwölf Prozent der Unternehmen und Einrichtungen strengere Vorgaben und lediglich vier Prozent wollen die Arbeit von zu Hause komplett abschaffen. Im Gegensatz dazu wollen elf Prozent der Arbeitgeber mehr Flexibilisierung. Aus den Befunden des ifo Instituts geht weiter hervor, dass 23,4 Prozent der Beschäftigten in Deutschland zumindest teilweise im Homeoffice arbeiten. Und von ihnen verbringen durchschnittlich 17 Prozent ihre Arbeitszeit im Homeoffice. Danach ist der Umfang von Homeoffice gegenüber dem Vorjahr unverändert. Wie viel ihrer Arbeitszeit Beschäftigte letztendlich im Homeoffice arbeiten, ist branchenspezifisch sehr unterschiedlich. Wenn viele meiner Aufgaben aus Bürotätigkeiten bestehen, kann ich natürlich mehr im Homeoffice arbeiten, als eine Person in der Gastronomie.
Warum ist das so, dass das Homeoffice teilweise wieder abgeschafft wird?
Czycholl: Da gibt es unterschiedliche Begründungen seitens der Arbeitgeber: leerstehende Büroflächen, befürchtete Produktivitätseinbußen, fehlende technische Ausstattung, Datenschutz oder auch die Einschätzung, dass Beschäftigte und auch Führungskräfte nicht über die notwendigen Fähigkeiten verfügen, ihre Aufgaben in angemessener Weise auch von zu Hause aus zu erledigen beziehungsweise diese anzuleiten. Zweifellos ist Homeoffice kein Selbstläufer. Dabei geht es auch stark um einen Kulturwandel. Weg von einer ausschließlichen Präsenzkultur hin zu einer Vertrauenskultur. Dies betrifft in einem hohen Maße auch ein Umdenken bei den Führungskräften, Stichwort "Führen auf Distanz". Es muss ein Wechsel von direkter zu indirekter Steuerung erfolgen, denn im Homeoffice entfällt die Möglichkeit zu direkten, spontanen Anweisungen und auch Unterstützung bei der Erfüllung der Arbeitsaufgaben. Ein wichtiger Grundgedanke ist, dass Beschäftigte auch ausreichend arbeiten, ohne ständig kontrolliert zu werden. Dabei bemisst sich die individuelle Leistung vorrangig an dem erbrachten Ergebnis und nicht etwa an der verbrachten Zeit im Büro.
Wie sehen Sie die Zukunftsfähigkeit von Homeoffice-Regelungen?
Czycholl: Wichtig ist bei der Gestaltung von Homeoffice-Arbeit, dass die Möglichkeit zur mobilen Arbeit nicht zulasten der Beschäftigten geht und Arbeitgeber ihren Pflichten und ihrer Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitenden auch im Homeoffice nachkommen. Positive Erfahrungen mit der Arbeit von zu Hause machen Beschäftigte vor allem dann, wenn vertragliche Homeoffice-Regelungen im Unternehmen vorliegen. Arbeitszeit, Erreichbarkeit, technische Ausstattung und vieles mehr können dort geregelt werden. Daneben bedarf es auch Fort- und Weiterbildungsangebote für Beschäftigte, Führungskräfte und auch Interessenvertretungen. Denn spezifische Kompetenzen sind eine zentrale Voraussetzung, damit ein gesundes und produktives Arbeiten im Homeoffice gelingen kann.
Das Interview führte Anina Laura Pommerenke.