Senior*innen in Singapur posieren in einem Gemeinschaftszentrum für ein Gruppenbild. © NDR Foto: Angelika Henkel
Senior*innen in Singapur posieren in einem Gemeinschaftszentrum für ein Gruppenbild. © NDR Foto: Angelika Henkel
Senior*innen in Singapur posieren in einem Gemeinschaftszentrum für ein Gruppenbild. © NDR Foto: Angelika Henkel
AUDIO: Mehr Alte, mehr Krankheit, mehr Kosten – so macht es Singapur (5 Min)

Alternde Gesellschaft, mehr Kosten - diese Strategie hat Singapur

Stand: 26.04.2024 23:31 Uhr

In Deutschland wie in Singapur sorgt eine alternde Gesellschaft für steigende Gesundheitskosten. Ein sehr praktischer Ansatz sorgt in Singapur nicht nur für Prävention, sondern auch für viel Spaß.

von Angelika Henkel und Sharon Welzel

Mehr körperliche Gebrechen, mehr Depression, mehr Demenz. Im Dezember 2023 hat die Bundesregierung eine Strategie gegen Einsamkeit beschlossen. Die Sechs-Millionen-Einwohner-Metropole Singapur geht einen einfachen, sehr praktisch orientierten Weg. Dort wurde ein Programm aufgelegt, das Gesundheitszentren fördert, in denen Senioren Zumba, Line-Dance oder Gymnastik machen, statt einsam zu Hause fernzusehen.

Aktiv bleiben statt fernsehen

Senior*innen in Singapur beim Sport in einem Gemeinschaftszentrum. © NDR Foto: Angelika Henkel
Bei den Zumba-Stunden von Trainer William ist immer ordentlich was los.

Ungefähr 40, 50 Senioren bewegen sich beim Zumba mit Rasseln in den Händen in einer Mischung aus Tanz und Gymnastik. Trainer William steht vorne im Sport-Outfit und heizt ordentlich ein. Kenny, 70 Jahre alt, war früher Luftfahrtingenieur und saß bei seiner Arbeit viel am Schreibtisch: "Ich liebe Sport. Ich möchte fit, gesund und aktiv bleiben und nicht vorm Fernseher hocken." Deshalb kommt Kenny ins Brahm Center im Osten Singapurs. Das Projekt nennt sich "Active Ageing", also "Aktives Altern". Kenny beschreibt, dass viele Menschen in seinem Alter in Singapur ihre Zeit damit verbringen, ihren Kanarienvogel im Käfig durch die Gegend zu tragen. Er wolle es anders machen.

Ein geschützter Rahmen für Spiel, Bewegung und Austausch

Seniorinnen in Singapur beim Spielen in einem Gemeinschaftszentrum. © Active Ageing Center Foto: Hannie Hay
Mahjong und Rummikub sind beliebte Spiele unter den Besucher*innen des Zentrums.

Hannie Hay ist die Leiterin des Projekts: "Fast alle Kurse sind gratis", erzählt sie, "jeder und jede über 60 aus der Nachbarschaft kann mitmachen. Es gibt seniorengerechte Turngeräte draußen im Schatten." Zudem gibt es täglich offene Treffen in einem Gebäude, das sich "Cove" nennt, zu Deutsch geschützte Bucht. Hier ist es durch die Klimaanlage angenehm kühl und die Senior*innen treffen sich zum Spielen und auf Kaffee und Tee. Es ist immer gut gefüllt, doch das war nicht immer so: "Als wir losgelegt haben, sind wir Klinken putzen gegangen. Manche Menschen hatten Depressionen, andere waren einfach nur unglücklich. Einsamkeit ist auch ein Thema. Als die Regierung den Startschuss gab, sahen die Menschen: Wow, so komm ich mal raus."

Große Kampagne für mehr Bewegung

Seniorinnen in Singapur beim Sport in einem Gemeinschaftszentrum. © Active Ageing Center Foto: Hannie Hay
Gemeinsames Kochen und Essen ist ebenfalls ein gut besuchtes Angebot.

Hannie Hay meint zu beobachten, wie die älteren Frauen und Männer wieder aufblühen, schöne Sachen anziehen oder sich schminken. Nach Corona gab es viele, die sich einsam zurückgezogen hatten, sagt sie. Natürlich gibt es Sportangebote für Senioren auch in Deutschland. Aber hier in Singapur werden sie systematisch hochgezogen und mit Kampagnen beworben. Warum, erklärt der 73-jährige Teilnehmer Chan Wing Ng. Er kümmert sich nach dem Sport um die Bonsai-Bäume, die am Eingang in Töpfen stehen: "Die Regierung macht das, weil unsere Bevölkerung immer älter wird. Das heißt, dass die Gesundheitskosten steigen und man mehr Krankenhäuser braucht. Mehr Alte heißt mehr Krankheiten. Wir sollen fit bleiben, weil es direkt dazu führt, die Kosten für Sozialausgaben zu senken." Die Active-Ageing-Center, Zentren zum Aktiven Altern, sind eine bestechend einfache Idee.

Ziel: 200 Zentren im ganzen Stadtgebiet

Senior*innen in Singapur beim Singen in einem Gemeinschaftszentrum. © Active Ageing Center Foto: Hannie Hay
Auch gemeinsames Singen gehört zu den Aktivitäten im Zentrum.

Allerdings gibt es auch in Singapur ältere Menschen, die das Angebot nicht erreicht. Im Stadtbild sieht man einige, die mit krummen Rücken bis ins hohe Alter von früh bis spät schuften. Das Leben in einer der teuersten Metropolen der Welt ist für viele nicht einfach. Das Center wird von der Regierung und von Spenden finanziert, und von einer Organisation mit einem großzügigen Personalschlüssel umgesetzt: Allein in diesem Zentrum gibt es 50 Angestellte und weitere Ehrenamtliche. Mitarbeiterin Josephine Tham schwärmt vom Konzept. "Die Regierung hat mit den Activity-Centern vor drei Jahren angefangen, wir waren eines der ersten. Ich glaube, inzwischen gibt es ungefähr 100 im ganzen Stadtgebiet. In drei Jahren sollen es 200 sein, damit alle Senioren erreicht werden."

Rechtzeitig vorsorgen und so Kosten senken

Prävention, um die Kosten niedrig zu halten. In Singapur gibt es, wie in Deutschland, immer weniger Geburten, aber immer mehr Menschen, die sehr alt werden. Professor Fen Qiushi von der Nationalen Universität Singapur beobachtet eine Strategie der Regierung, sich gezielt um Ältere zu kümmern. Das beginnt schon damit, die Wohnungen altersgerecht zu konzipieren – damit Menschen so lange wie möglich zu Hause bleiben können: "Die Logik in Singapur ist: Du gibst Geld aus, um später zu sparen. Ich denke, andere Länder können sich davon eine Scheibe abschneiden. Investiert mehr in Prävention!"

Deutschland: Kleine Projekte, die oft nicht gesehen werden

Menschen im Mehrgenerationenpark in Braunschweig. © Stadt Braunschweig Foto: Daniela Nielsen
Generationsübergreifende Bewegungsangebote sind das Besondere an dem Park in Braunschweig.

Auch in Deutschland investiert das Bundesministerium für Gesundheit in eine Vielfalt an Projekten, die einen Beitrag zum gesunden Älterwerden leisten sollen. Die Stadt Braunschweig etwa ist mit dem Projekt "Bewegt und mobil" breit aufgestellt: Dort gibt es einen öffentlich zugänglichen Mehrgenerationenpark in einem Birkenwäldchen und Turngeräte für Senioren im öffentlichen Raum. Das Netzwerk Depression organisiert dort Spaziergänge und ein Wohlfahrtsverband setzt einen speziellen Parcours zur Förderung der Bewegung im Stadtteil um. In Peine werden schon seit 2015 die "Silberfüchse" ausgebildet und darauf geschult, mit Personen zu arbeiten, die in ihrer Bewegung schon stark eingeschränkt sind. Trotz vieler Bemühungen erreichen diese und viele andere Projekte aber die Senior*innen oft nicht in der Breite. Die Ergebnisse einer Forschungsarbeit des Instituts für Sozialarbeit von 2021 beschreiben recht eindeutig, wo das Problem liegt: Es fehlt ein ganzheitlicher Ansatz, der die Menschen besonders niedrigschwellig anspricht, anstelle vieler kleiner Projekte, die auch alle einzeln vermittelt werden müssen.

Mit der Disco 60+ zum Erfolg

Eine ältere Dame bekommt von zwei jungen Frauen einen Kuss auf die Wange. © kukuun Foto: Jonas Krantz
Bei "Oll inklusiv" ist das Motto zum Tanzen "Raus aus der Einsamkeit, rein in die Clubs".

Ein besonderes Projekt aus Hamburg hat mal ganz klein angefangen und bietet jetzt regelmäßig Aktivitäten für Senioren und Senioritas, wie sie dort liebevoll genannt werden. Die Musikmanagerin Mitra Kassai organisiert mit der Unterstützung vieler Ehrenamtlicher unter "Oll inklusiv" Tanzveranstaltungen, Lesungen und Shows für Menschen ab 60 und ist damit sehr erfolgreich. Seit 2021 gibt es sogar eine App, über die Nutzer*innen sich miteinander vernetzen können und auf kommende Veranstaltungen hingewiesen werden – denn das Angebot ist mittlerweile sehr breit gefächert.

Spaß und Selbstfürsorge gehen Hand in Hand

Fitness. Tanzen. Gärtnern. Malen. Bingo. Meditation. Yoga - all das gibt es im Active-Ageing-Center. Kenny, der 70-jährige Luftfahrtingenieur, der schon beim Zumba war, nimmt auch am amerikanischen Line-Dance teil. Er versucht mitzunehmen, was geht, sagt er: "Wenn ich mich nicht fit genug fühle, kann es passieren, dass ich hinfalle, weil ich das Gleichgewicht verliere. Wenn man sich nicht bewegt, dann verschwinden die Muskeln." Kenny tanzt mit etwa 20 Damen in einer Reihe. Draußen vor dem Raum sind die Teilnehmer*innen angehalten, ihre Gesundheit stets im Blick zu halten. Da liegen Messgeräte zum Blutdruck checken. Bei Kenny jedenfalls ist, dank seines aktiven Lebensstils, alles im grünen Bereich.

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