Kommentar: Schultz-Rauswurf ein Eigentor für den FC St. Pauli
Hamburg hat schon viele Trainerentlassungen erlebt, beim FC St. Pauli und noch mehr beim HSV. Aber manchmal werden selbst die abgeklärtesten Fußballfans überrascht und kalt erwischt. So wie am vergangenen Dienstag, als der FC St. Pauli Trainer Timo Schultz entlassen hat. Er war als Spieler und Trainer insgesamt 17 Jahre am Millerntor. Die Emotionen der Fans kochen hoch. Ein Kommentar von Jörg Naroska.
Mit dem Rauswurf von Timo Schultz wollte der FC St. Pauli ein Problem lösen: Die sportliche Krise beenden, einen Neuanfang starten. Stattdessen hat der Verein ein fulminantes Eigentor geschossen und sich mit dem Aus für den Trainer noch mehr Probleme geschaffen. Selten war der Club vom Millerntor so in Aufruhr wie in diesen Tagen. Fans wenden sich ab oder gehen auf die Barrikaden. Fast 10.000 haben innerhalb weniger Tage eine Online-Petition für die Rückkehr von Schultz unterzeichnet. Scharfe Kritik kommt auch von ehemaligen St. Pauli-Profis und Fußball-Experten. Und sogar Trainer von Konkurrenzvereinen bezeichnen den Rauswurf von Schultz als völlig verkehrt.
Begründung und Art des Rauswurfs lassen einen ratlos zurück
Tatsächlich hat St. Pauli mit der Trainerentlassung vieles falsch gemacht. Zeitpunkt, Begründung und die Art des Rauswurfs lassen einen ratlos zurück. Mit Schultz wurde die Identifikationsfigur des Clubs vor die Tür gesetzt und von der Vereinsführung als Alleinschuldiger für die sportliche Misere hingestellt. Kein Wort zur Mitverantwortung des Sportchefs, der im Frühjahr im Aufstiegsrennen durch schleppende Personalplanungen für Unruhe sorgte und der im Sommer einen schwachen Kader zusammengestellt hat.
Keine Konsequenzen für Sportchef Bornemann
In der Winterpause soll die Mannschaft nun auf Schlüsselpositionen deutlich verstärkt werden. Dann aber hätte Schultz die Chance bekommen müssen, mit diesem verbesserten Team in die Rückrunde zu starten. Und wenn er die Chance jetzt nicht bekommt, hätte auch Sportchef Bornemann konsequenterweise gehen müssen. Vor fünf Jahren steckte St. Pauli in einer sportlich noch schlimmeren Situation. Damals hat der Club das Motto "alle zusammen" erfunden. Fans, Spieler, Trainer und Vereinsmitarbeiter haben sich gegenseitig unterstützt, wo es nur ging - und haben so tatsächlich gemeinsam die Wende geschafft. Das hätte auch ein Modell für die jetzige sportliche Krise sein können.
Schultz-Rauswurf passt nicht zum Bild vom etwas anderen Verein
Mit dem Rauswurf von Timo Schultz hat die Vereinsführung die Chance auf eine bedingungslose Unterstützung durch die Fans stattdessen vertan. Der FC St. Pauli sieht sich gern als der etwas andere Verein, der einsteht für Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit und Respekt. Der Rauswurf von Timo Schultz will dazu nicht so recht passen.