Warum die Renaturierung von Flüssen in SH gar nicht so einfach ist
Viele Flüsse und Bäche in Schleswig-Holstein sollen renaturiert werden - zum Wohl des Ökosystems. Auf einigen Abschnitten ist das schon passiert, jetzt aber wird es teuer und aufwendig.
Auf 32.000 Kilometern schlängeln sich Flüsse und Bäche durch Schleswig-Holstein. Doch es fehlen gute Grundvoraussetzungen: Spätestens seit den 1950er-Jahren sind viele Flüsse und Bäche in Schleswig-Holstein begradigt worden. Als landwirtschaftlich geprägtes Land benötigten vor allem Bauern damals viel Fläche für ihre Felder und Betriebe. Dazu wurden beispielsweise Auen von Flüssen getrennt und Querbauwerke wie Schleusen, Wehre oder Staustufen gebaut.
Einmal alles auf Anfang
Jetzt soll alles wieder zurückgedreht werden und die Fließgewässer wieder einen natürlichen Verlauf erhalten - dazu werden Kurven und Schleifen reingebracht oder der Fluss verbreitert. Dadurch fließt das Wasser langsamer oder kann auf größeren abgesenkten Flächen zurückgehalten werden. Diese Maßnahmen sollen vor allem dem guten ökologischen Zustand der Gewässer und auch dem Hochwasserschutz dienen.
Renaturierung braucht Platz
"Wir müssen es auch schaffen, den Fluss wieder in die Landschaft zu integrieren, sodass ein Fluss auch mal ausufern darf und Nährstoffe in die Aue bringt, um den Fluss zu entlasten", erklärt Dr. Michael Trepel, aus dem Referat für den Schutz der Binnengewässer im schleswig-holsteinischen Umweltministerium. Trepel koordiniert unter anderem die Renaturierungstätigkeiten im Land. Viele Lebensräume und Arten seien auf natürliche Verhältnisse angewiesen, so Trepel weiter.
Um einen Fluss wirkungsvoll zu renaturieren, braucht es einen großen zusammenhängenden Abschnitt und damit viele Flächen und Flächeneigentümer, die an einem Strang ziehen.
"Wir müssen lückenlos an die Flächen rankommen, weil es uns nicht hilft, wenn wir dann hier ein Stück haben und da ein Stück und das Stück dazwischen hat jemand, der es dafür nicht zur Verfügung stellt. Das macht es einfach so schwierig, im Bereich der Auen-Renaturierung voranzukommen." Dr. Michael Trepel, Referent im Umweltministerium
Ein Positivbeispiel sei die Renaturierung der Schwartau gewesen, bei der viele Flächen dem Landesfort gehörten und auf ungefähr fünf Kilometern am Stück der Fluss wieder natürlich geformt werden konnte. Grundsätzlich ist zudem davon auszugehen, dass sich die Maßnahmen auch über den renaturierten Abschnitt positiv auf das gesamte Fließgewässer auswirken, erklärt das Ministerium.
Seit mehr als 20 Jahren werden Flüsse renaturiert
In Schleswig-Holstein wurden in den vergangenen Jahren auch andere Renaturierungsprojekte erfolgreich abgeschlossen - laut Umweltministerium sind weitere Projekte mit unterschiedlicher Priorisierung in der Planung. Die Maßnahmen betreffen 6.000 Kilometer Flüsse und Bäche im Land sowie die Einzugsgebiete von Seen.
Grundlage für die Renaturierungsbestrebungen des Landes ist die Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union (EU). Demnach müssen die Gewässer einen guten ökologischen und chemischen Zustand erreichen. Seit mehr als 20 Jahren setzen die rund 500 Wasser- und Bodenverbände diese Richtlinie um und renaturieren unter anderem auch Flüsse und Bäche.
Alles was noch kommt wird aufwendig und teuer
Die Wasser- und Bodenverbände setzen die Renaturierungsprojekte im Land um. Sie beobachten, dass es nur noch schleppend vorangeht. Der Landesvorsitzende der Verbände, Hans-Heinrich Gloy, erklärt, dass es sich bei den erfolgreich abgeschlossenen Flussabschnitten um einfache und kostengünstige Maßnahmen ging. Alle Abschnitte, die jetzt noch geplant sind, werden teurer und deutlich aufwendiger umzusetzen. Das sei vor allem mit dem Mangel an geeigneten Flächen zu begründen, auf denen sich die Flüsse ausbreiten können. Und genau dieser Platz ist wichtig für viele Renaturierungsmaßnahmen.
"Flächenkonkurrenz aufbrechen"
Alle brauchen Platz. Die Wasser- und Bodenverbände buhlen mit Bürgern, Unternehmen oder Landwirten um die freien Flächen in Schleswig-Holstein. Denn alle brauchen Fläche, sei es als Ausgleichsfläche für Infrastrukturmaßnahmen oder die Landwirtschaft: "Wir müssen Konsens finden zwischen Bürgern, Verwaltung und Verbänden", erklärt Gloy.
"Auf einer Fläche müssen mehr Dinge passieren, als wenn da nur einer sagt, das ist jetzt meine. Dass wir diese Flächenkonkurrenz aufbrechen, weil Fläche ist nicht mehr vermehrbar, unser Planet - auch Schleswig-Holstein - ist endlich." Hans-Heinrich Gloy, Vorsitzender des Landesverband der Wasser- und Bodenverbände SH
Gloy sieht deshalb eine Mehrfachnutzung von Flächen als Option, dem Problem zu begegnen. Die Konkurrenz um Flächen müsse aufgebrochen werden und Eigentümer müssen sich öffnen. Nur so können auch Kosten für zukünftige Renaturierungsprojekte gesenkt werden.
Landwirtschaft: "Enteignung ist kein Weg"
Es gibt genug Landwirte, die eine Renaturierungsmaßnahme auf ihren Flächen mitmachen würden, beobachtet Gloy. Viele der für Renaturierung infrage kommenden Flächen werden nach wie vor landwirtschaftlich genutzt. Flächen zu verkaufen, ist oft keine Option für Landwirte, sagt Stephan Gersteuer, Generalsekretär des Bauernverbands in Schleswig-Holstein. Die Felder seien die wirtschaftliche Grundlage für die Betriebe.
Deshalb sei es viel wichtiger, dass Landwirte geeignete Ausgleichsflächen bekommen. Es gebe zwei Flächenpools im Land: Neben der Landesgesellschaft verwaltet auch die Stiftung Naturschutz viele Flächen, die aber nicht für einen Tausch vorgesehen sind.
"Da bräuchten wir nochmal eine grundsätzliche Lösung vom Gesetzgeber, dass man diese Flächen erschließt, weil so eine Renaturierung ist ein Naturschutzzweck. Warum sollte man dann nicht andere weniger geeignete Flächen, die im Eigentum der Stiftung sind, dann als Tauschobjekt nutzen können?" Stephan Gersteuer, Generalsekretär Bauernverband SH
Für die erfolgreiche Umsetzung von Renaturierungsprojekten brauche es Vertrauen und eine gute Zusammenarbeit mit den Wasser- und Bodenverbänden. Wenn Naturschutzbehörden wie das Umweltministerium mit Ordnungsrecht drohen, dann sei das abschreckend für Landwirte. Die Wasser- und Bodenverbände haben die Kompetenz sich auch um die Belange der Landwirte zu kümmern, so Gersteuer. Dabei gehe es beispielsweise um den Wasserabfluss von den Feldern in die Flüsse, der durch mögliche Renaturierungsmaßnahmen mit unzureichender Planung gestört werden könne.
Was wird bei der Renaturierung gemacht?
In Schleswig-Holstein können die Maßnahme laut Umweltministerium in drei Bereiche gegliedert werden:
- Durchgängigkeit der Flüsse: Querbauwerke wie Schleusen sollen zurückgebaut und dann beispielsweise durch eine Solgleite oder Umleitungsgerinne ersetzt werden.
- Strukturverbessernde Maßnahmen: Man möchte Flüssen und Bächen mehr Platz und Pflanzen und Tieren optimale Bedingungen geben. Das gelingt, indem man Totholz belässt oder Strömungshindernisse einbaut. In Einzelfällen kann der Fluss auch wieder an Talräume angebunden werden, um Überflutungsflächen zu haben.
- Stoffliche Belastung reduzieren: Strukturelle Maßnahmen wirken nur, wenn auch die stoffliche Qualität so gegeben ist, dass die Arten sich dort ansiedeln können. Dabei geht es unter anderem darum, die Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft zu reduzieren.
ARD-Mitmachaktion #unsereFlüsse gibt Aufschluss über Qualität der Flüsse
Der Zustand der Flüsse im Land ist auch Thema der ARD-Mitmachaktion #unsereFlüsse, die seit Mai läuft. Bei der Aktion wird geschaut, wie es um die kleinen Bäche und Flüsse in Deutschland steht. Jessy Wellmer, Moderatorin der ARD-Tagesthemen, bittet, für die Wissenschaft ins Grüne zu gehen und nachzuschauen, wie es den Bächen vor Ort geht.
Die Aktion will bundesweit Menschen gewinnen, den Zustand der Bäche zu prüfen. Dazu haben Fließgewässerökologen und Biodiversitätsforscherinnen zusammen mit der ARD Fragen entwickelt, mit denen Sie mehr über das Leben in unseren Bäche herausfinden wollen. Menschen aus Deutschland können ihre Bachbegutachtungen samt Foto hochladen - über 2.900 wurden bereits hochgeladen und auf einer interaktiven Karte zusammengetragen. Bis zum 31. Oktober kann man noch bei #unsereFlüsse mitmachen und seine Erkentnisse zum Fluss in der Nähe teilen.
Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Artikel haben wir berichtet, dass die Schwartau auf ungefähr 300 Kilometern am Stück renaturiert wurde. Richtig ist, dass der Fluss auf fünf Kilometern am Stück wieder natürlich geformt wurde.