Rückkehr zur Natur: Wo SH ein Vorbild für die EU sein kann
Die europäische Natur ist in einem schlechten Zustand. Ein neues EU-Gesetz soll beim Wiederherstellen geschädigter Ökosysteme helfen. Ein Streit zwischen Mitgliedstaaten verhindert jedoch die Umsetzung. Beispiele aus Schleswig-Holstein zeigen, wo Renaturierung schon jetzt gelingt und wo eine Einigung in Brüssel helfen würde.
Die Natur kränkelt. Das ist nicht nur in Schleswig-Holstein so. In ganz Europa sind Ökosysteme in einem schlechten Zustand - Tendenz steigend. Doch es geht auch anders. In einem Waldstück nördlich von Bad Schwartau (Kreis Ostholstein) ist die Natur ein Stück zu ihrer ursprünglichen Form zurückgekehrt - mit der Hilfe des Menschen.
Begradigt, vertieft und monoton
Denn einst floss die Schwartau - einer Abflussrinne gleich, begradigt und vertieft - von der Quelle im Kreis Plön gen Ostsee. In den 30er-Jahren hatte man den Fluss mit viel Mühe in Form gerückt, um Niederungen auszutrocknen, Felder anzulegen und diese zu bewirtschaften.
"Bisher ging es darum, das Wasser raus zur Ostsee zu schaffen. Heute weiß man, dass es in der Fläche gehalten werden muss, weil Wasser nicht nur Lebensraum für Pflanzen und Tiere ist", sagt Hanna Kirschnick-Schmidt. Sie ist die ehemalige Geschäftsführerin des Wasser- und Bodenverbands Ostholstein und war federführend an der Renaturierung der Schwartau beteiligt.
Schwartauer Au: Ein ökologischer Gewinn
Auf fast fünf Kilometern, östlich der Gemeinde Groß Parin, wurde in drei Jahren (2020 bis 2023) der ursprüngliche Zustand der einstigen Au wiederhergestellt. Dazu wurde die Sohle des Flusses angehoben, Altarme wieder angeschlossen und Rückzugsgebiete für verschiedene Lebewesen geschaffen. Zusätzlich wurden Steine oder tote Baumstämme in den Fluss gelegt, die den Wasserstrom unterbrechen, wodurch Unterschlüpfe und Rückzugsräume entstanden.
Der Lebensraum Au, der so entlang der Schwartau wiederhergestellt wurde, ist gekennzeichnet durch eine hohe Artenvielfalt. Zudem werden durch den schwankenden Wasserstand des Flusses immer wieder Uferbereiche überspült und damit feucht gehalten. Das hat eine positive Wirkung auf die Neubildung von Grundwasser, die Tiere, Pflanzen und das Klima. Gleichzeitig dient das Feuchtgebiet als Pufferzone bei jährlich auftretenden Hochwassern.
Fördergelder von Land, Bund und EU
Finanziert wurde das Projekt mit mehreren Millionen Euro Fördergeldern. Land, Bund und die EU haben sie zur Verfügung gestellt. Die wiederhergestellte Fläche gehört größtenteils den Schleswig-Holsteinischen Landesforsten und wird so durch das Land verwaltet. Dadurch musste nicht, wie sonst üblich, das Land von den Eigentümern übernommen werden. Dadurch wurden zusätzliche Kosten eingespart. Allerdings wäre ohne die entsprechenden Fördertöpfe so eine Maßnahme nicht möglich gewesen, sagt Kirschnick-Schmidt. "Das ist nur möglich, wenn die Politik die Weichen stellt, sich zur Förderung bekennt und die Mittel zur Verfügung stellt."
Gute Zusammenarbeit der Wasser- und Bodenverbände
Umgesetzt wurde das Projekt durch den Wasser- und Bodenverband Ostholstein und Schwartau. In den Verbänden sind jene vertreten, die vom Verbandsgebiet profitieren - zum Beispiel Grundeigentümer oder Landwirte. Hier hätte die Zusammenarbeit gut funktioniert, so die ehemalige Geschäftsführerin. Vor allem, weil man versucht habe, die Belange der Landwirte zu berücksichtigen. Hier sei entscheidend gewesen, dass die Maßnahmen freiwillig waren. Kirschnick-Schmidt: "Wenn Verständnis geschaffen ist, kommt auch die Akzeptanz."
Freiwilligkeit ist entscheidend
Das sieht auch Robert Muus so. Er ist Landwirt aus der Region und Vorsteher des Wasser- und Bodenverbands Schwartau. Er betont: Hätte das Land versucht, über Verpflichtungen die Maßnahmen durchzusetzen, hätten sich die Landwirte vermutlich dagegen gewehrt. Aber: "Solange wir von der Politik Auflagen kriegen, die wir freiwillig durchsetzen können, sind wir gerne bereit, das so mitzumachen."
Bei der Schwartau hat das Prinzip Freiwilligkeit gewirkt. Mittlerweile ist der Ort ein Vorzeigeprojekt für Renaturierungen in Schleswig-Holstein. Doch nicht überall läuft es so geschmeidig. Auf europäischer Ebene ist bei dem Thema mächtig Sand im Getriebe.
Europa und die kränkelnde Natur
Im Februar beschloss das EU-Parlament das sogenannte Renaturierungsgesetz. Dabei handelt es sich um ein Gesetzesvorhaben, das verbindliche Ziele für die Wiederherstellung von geschädigten Ökosystemen festlegt. EU-Länder sollen verpflichtet werden, zumindest Teile der zerstörten Natur wiederherzustellen. Das ist notwendig, denn laut EU-Parlament sind rund 80 Prozent der europäischen Lebensräume in einem schlechten Zustand.
Renaturieren und wiederherstellen
Das Gesetz geht aus einem Vorschlag der EU-Kommission hervor, der im Sommer 2022 eingebracht wurde und der EU dabei helfen soll, internationale Klima- und Artenschutzziele zu erreichen. Konkret wird in dem Gesetz unter anderem festgehalten:
- Bis 2030 sollen mindestens 30 Prozent der betroffenen Lebensräume in der EU renaturiert werden
- Bis 2040 sollen es 60 Prozent und bis 2050 sogar 90 Prozent sein
- Zu den Lebensräumen zählen zum Beispiel Wälder, Grünland, Feuchtgebiete, Seen oder Korallenriffe
- Es müssen nationale Sanierungspläne erstellt werden, wie die Ziele erreicht werden
Im EU-Parlament stimmten nach langem Gezerre mehr als die Hälfte der Abgeordneten einer erheblich abgeschwächten Version des Gesetzes zu. Das Problem: Im Kreis der einzelnen Regierungen, im EU-Rat, findet das Gesetz bislang keine Mehrheit. Und so lang das nicht der Fall ist, wird es nicht in Kraft treten.
Ringen der Interessen
Hier schwelt das Ringen der Interessen weiter, das sich bereits im parlamentarischen Prozess abgezeichnet hat. Gegenüber stehen sich Vertreter des Prinzips der Freiwilligkeit und jene, die schärfere Regularien fordern. Erstere fürchten, dass mit dem neuen Gesetz Einschränkungen etwa für die Landwirtschaft einhergehen. Das fordern vor allem Natur- und Umweltschützer. Ihnen gehen die Schutzmaßnahmen zugunsten der Natur nicht weit genug. In einem Trilog - also internen Verhandlungen zwischen dem Europäischen Rat, der Kommission und dem Parlament - soll nun eine Lösung gefunden werden.
Ein ungewöhnlicher Vorgang
Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang, dass ein Gesetz im EU-Parlament beschlossen wird, für das sich anschließend im EU-Rat keine Mehrheit mehr findet. Ob die noch kommen wird, ist unklar. Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) zeigte sich skeptisch: "Es scheint so zu sein, als würde keine Mehrheit im EU-Rat zusammenkommen. Zumindest vor der EU-Wahl - und das ist ein großes Problem."
Mit gutem Beispiel voran
Er befürwortet die strengeren Regeln des Gesetzes, denn der Zustand der Natur sei katastrophal, so Goldschmidt. Die EU könne hier mit gutem Beispiel vorangehen. "Das Wiederherstellungsgesetz (auch Renaturierungsgesetz genannt, Anm. der Red.) gibt einen Rahmen, der von den Nationalstaaten fordert, deutlich zu machen, wie die Ziele erreicht werden und wie die Ökosysteme verbessert werden sollen." In Schleswig-Holstein würde das konkret bedeuten, dass Wiederherstellungspläne erstellt und Flächen benannt werden müssen, die ökologisch verbessert werden - ob an Land oder zu Wasser.
"Internationale Zusammenarbeit dringend nötig"
Vor allem für den Meeresschutz ist eine Einigung beim EU-Renaturierungsgesetz von großer Bedeutung. Internationale Zusammenarbeit sei zwingend erforderlich, sagt auch Torsten Reusch. Er ist Professor für Marine-Ökologie am Geomar Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. "Meere sind offene Systeme. Allein an der Ostsee gibt es neun Anrainerstaaten. Gemeinsam müssen sie Schutzkonzepte entwerfen."
Einige gibt es bereits. Ein Beispiel dafür ist die Helsinki-Konvention von 1974. Darin verpflichteten sich mehrere Ostsee-Anrainerstaaten zum Schutz des Binnenmeeres. Allerdings reiche das bisherige Regelwerk nicht aus, sagt Reusch. Es brauche mehr Tempo, denn auch die Umweltveränderungen hätten sich beschleunigt.
"Da ist es zwingend, das verbindliche Schritte unternommen werden. Ohne die EU-Richtlinie zur Wiederherstellung der Natur sind alle Naturschutzabkommen der letzten Jahre reine Papiertiger." Torsten Reusch, Geomar Kiel
Seegraswiesen als natürliche Wasserfilter
Gemeinsam mit anderen Forschenden entwickelt Reusch im Rahmen des Projekts "Seastore" Techniken, um Seegraswiesen zu renaturieren. Ähnlich wie die Au entlang der Schwartau haben Seegraswiesen wichtige ökologische Funktionen. Sie filtern Nährstoffe aus dem Wasser, nehmen sie auf und speichern Kohlenstoffe im Boden. Das verbessert zum einen die Wasserqualität und es hat zum anderen eine positive Wirkung auf die Biodiversität sowie die Fischbestände.
Die Suche nach der Stress-Toleranz
40 Prozent der Seegras-Bestände, die einst existierten, gebe es noch, sagt der Geomar-Experte. Derzeit suchen die Forschenden an mehreren Standorten in der Ostsee nach Pflanzen, die stresstolerant sind und sich für die Wiederaufforstung eignen. Denn das Problem ist, dass sich geschädigte Wiesen nur sehr langsam regenerieren. Das wiederum könne durch die Renaturierung beschleunigt werden, so Reusch.
Ähnlich wie Umweltminister Goldschmidt glaubt auch Reusch nicht, dass eine freiwillige Selbstverpflichtung ausreicht, um die Zerstörung der Natur umzukehren. Würde das EU-Gesetz allerdings verbindlich durchgesetzt, hält er es für ein geeignetes Instrument. "Die Maßnahmen, die selbst in der verwässerten Version drinstehen, sind schon recht weitreichend", sagt Reusch. Es wäre ein erheblicher Schritt vorwärts.
Eine Erfolgsgeschichte in Aussicht?
Auch hinsichtlich der Seegraswiesen zeigt sich der Forscher zuversichtlich. So gebe es andere Teile der Welt, wo es bereits gelungen sei, so viel zu regenerieren, dass das gesamte System wieder in einen guten ökologischen Zustand zurückgekehrt sei, so Reusch. Sollte das auch in der Ostsee gelingen, könnte sich die Erfolgsgeschichte, die entlang der Schwartau geschrieben wurde, wiederholen. Doch ob sich bis dahin die EU-Staaten geeinigt haben, sich am Ende das Prinzip der Freiwilligkeit oder der strikteren Regeln durchgesetzt hat, das bleibt vorerst offen.