Welt der Musik
Sonntag, 26. November 2023, 18:00 bis
19:00 Uhr
"Ist hier jemand, der Polnisch spricht und Bridge spielen kann?" Vermutlich ist das eine der wichtigsten Fragen im Leben von Simon Laks. Gestellt hat sie ein Kapo im Konzentrationslager Auschwitz, und sie ist eines der Wunder, die dem polnisch-französisch-jüdischen Komponisten das Leben retteten. Der Kapo nimmt Simon Laks mit zu einer Bridge spielenden Runde von Blockaufsehern. Als Laks ihm dabei mitteilt, dass er Musiker ist, kann er ab dem nächsten Tag in der Lagerkapelle spielen. Festgehalten hat Simon Laks diese Episode in seinem Buch "Musik in Auschwitz", das er nach seiner Befreiung schrieb und 1948 veröffentlichte. Bis 1941 war Simon Laks ein erfolgreicher junger Komponist in Paris gewesen. Doch dann wurde er als Jude festgenommen und verbrachte fast vier Jahre in Konzentrationslagern, darunter mehr als zwei Jahre in Auschwitz.
Geboren wurde Simon Laks am 1. November 1901 in Warschau, das damals unter der Herrschaft des zaristischen Russland stand. Ab 1926 lebte er in Paris. Seinen polnischen Namen Szymon ändert er in die französische Version Simon. Von seiner Kindheit und Jugend sowie aus der Zeit seines Studiums in Polen ist kaum etwas bekannt. Er stammte aus einer assimilierten jüdischen Familie, Religion spielte eigentlich keine Rolle, außer dass jüdische Volkslieder in der Familie gesungen wurden. Mit vier Jahren lernte Szymon Geige, später auch Klavier. Nach der Schule studierte er aber zunächst Mathematik in Vilnius, bis er dann 1921 ans Warschauer Konservatorium mit den Fächern Komposition und Dirigieren wechselte. Das war keineswegs eine Selbstverständlichkeit. In Polen gab es starke antisemitische Tendenzen. Die Universitäten hatten Quoten für jüdische Studenten. Sie mussten für einen Studienplatz schlicht besser als andere sein.
Paris - ein musikalisches Mekka für polnische Komponisten
Ein Grund, warum Simon Laks 1926 nach Paris ging. Wie er erhofften sich auch viele andere junge polnische Komponisten und Musiker dort bessere berufliche Möglichkeiten. Paris sahen sie als das "Mekka der Avantgarde". Einer von ihnen war Piotr Perkowski. Er gründete 1926 die "Association des Jeunes Musiciens Polonais", die "Vereinigung junger polnischer Musiker". Damit sollte die polnische Musik in Paris eine Stimme erhalten und Wirkungsmöglichkeiten für polnische Musiker geschaffen werden. Simon Laks war ein Mitglied der ersten Stunde. Die "Association" war ein ideales Netzwerk. Sie veranstaltete Konzerte und Wettbewerbe. So renommierte Künstler wie Jan Ignacy Paderewski, Arthur Rubinstein, Alexandre Tansman oder Leopold Stokowski gehörten zum Ehrenvorstand der "Association" und auch die legendäre Komponistin und Pädagogin Nadia Boulanger als einziges nicht-polnisches Mitglied.
Doch diese lebendige kulturelle, musikalische Szene hatte ein jähes Ende, als der Krieg ausbrach und Simon Laks deportiert wird. In seinem Buch "Musik in Auschwitz" schreibt Simon Laks: "Auschwitz war eine Art 'Negativ' der Welt, aus der wir entführt wurden. Weiß wurde schwarz, schwarz wurde weiß. Die Werte wurden um 180 Grad gedreht oder zugespitzt ausgedrückt, jeder von uns hatte zwei Möglichkeiten: entweder, die Mitmenschen zu schlagen und zu foltern oder von ihnen geschlagen und gefoltert zu werden."
Wenige blieben menschlich
Simon Laks konnte sich seine Würde bewahren. Er hatte schlicht Glück, Musiker zu sein, und er traf auf wenige, menschlich gebliebene Landsleute. Die ersten Wochen in Auschwitz war er ein "normaler" Häftling, der täglich härteste körperliche Arbeit verrichten musste. Doch der Zufall will es, dass Simon Laks auf den Bridge spielenden Kapo trifft und so Musiker in der Lagerkapelle wird. Morgens beim Auszug und abends bei der Rückkehr der Arbeitskommandos hatte die Kapelle Märsche zu spielen, sonntags wurden Konzerte gegeben. Auch die Musiker mussten tagsüber arbeiten, jedoch weniger als andere Häftlinge. Laks wurde nach einiger Zeit Notenschreiber, dann Leiter der Kapelle. Er arrangierte auch die Musik für die ständig wechselnde Orchesterbesetzung. Das bedeutete, dass er im Lager bleiben konnte und keine harte körperliche Arbeit verrichten musste.
"Es besteht kein Zweifel, dass ich mein Leben einer unendlichen Verkettung von Wundern zu verdanken habe. ... Das erste meiner Wunder bewirkte, dass ich von einem bestimmten Augenblick an zu einer Kategorie der Gefangenen gehörte, die einen "besseren Stand" in der Lagerhierarchie hatten, und ich dadurch zumindest für eine ausreichend lange Zeit besser essen und genügend Kräftevorräte im Körper sammeln konnte, um die letzten, dunklen Stunden der Deportation zu überstehen. Dabei half mir ... die Musik. Und so oft hatte man mir gesagt, von Musik könne man nicht leben."
Nach dem Krieg kann Simon Laks nicht an seine erfolgversprechende Karriere in den 1930er-Jahren anknüpfen. Er schreibt zwar noch 1945 ein Streichquartett und 1947 "Acht jüdische Volkslieder" auf jiddisch, aber bis Anfang der 1960er-Jahre komponiert er kaum, nur ein wenig Filmmusik unter einem Pseudonym. Dagegen wurde er ein angesehener Spezialist für die sprachliche Untertitelung von Filmen. Das Komponieren war bis zu seinem Tod nicht mehr sein Hauptberuf. Ein Grund für diese Entwicklung mag auch gewesen sein, dass nach 1945 Komponisten wie Pierre Boulez oder Karlheinz Stockhausen das musikalische Geschehen dominierten. Sie haben völlig mit den Traditionen gebrochen und vertraten ihre Sicht dogmatisch und apodiktisch. Komponisten, die diesen atonalen Weg nicht mitgehen wollten, hatten Jahrzehnte keine Chance aufgeführt zu werden. Waren sie außerdem jüdisch wie Simon Laks, so erfuhren sie nach ihrer künstlerischen Vernichtung während des Nationalsozialismus nun eine erneute, eine doppelte Verfemung.
Der Musikwissenschaftler Frank Harders-Wuthenow, Lektor beim Verlag Boosey und Hawkes, setzt sich seine vielen Jahren für die Musik von Simon Laks ein: "Die Spärlichkeit seiner Werke ist ein Indiz für eine extreme Konzentration. Jedes Werk von Laks ist ein Meisterwerk, da ist kein Stück, das nicht absolut perfekt ist. Da ist keine Note zu viel, keine Note zu wenig. Man merkt, dass da jemand mit einem hohen Ethos komponiert hat."
Extreme Konzentration - jedes Stück ein Meisterwerk
Einige Werke von Simon Laks erhielten Preise. In seiner einzigen Oper "L'Hirondelle inattendue" (Die unerwartete Schwalbe) von 1965 hat Laks die ungewöhnliche Idee, das berühmte französische Chanson "L’Hirondelle du Faubourg" (Die Vorstadt-Schwalbe) zur Hauptrolle zu machen. Frank Harders-Wuthenow sieht hierin einen einleuchtenden Grund: "Die Melodie ist das, was in der Musik primär ist, was man im Kopf hat, womit man ohne ein Instrument leben kann. Wir wissen, wie existenziell Lieder in den Lagern waren. Ich glaube, dieser Grundgedanke der Unsterblichkeit einer Melodie wurzelt auch in dieser Erfahrung dieser Mördermaschinerie, durch die er gegangen ist."
Es lohnt sich Simon Laks und seine Musik zu entdecken, diesen Komponisten mit seinem ganz besonderen musikalischen Esprit, seiner slawisch-französischen Melange. Es ist Musik auf höchstem Niveau, die offenen Ohren jedenfalls höchstes Vergnügen bereiten kann.
Eine Sendung von Elisabeth Richter