Anhänger des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro stürmen in Brasilia den Palacio do Planalto, den offiziellen Sitz des brasilianischen Präsidenten. © dpa bildfunk/AP Foto: Eraldo Peres
Anhänger des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro stürmen in Brasilia den Palacio do Planalto, den offiziellen Sitz des brasilianischen Präsidenten. © dpa bildfunk/AP Foto: Eraldo Peres
Anhänger des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro stürmen in Brasilia den Palacio do Planalto, den offiziellen Sitz des brasilianischen Präsidenten. © dpa bildfunk/AP Foto: Eraldo Peres
AUDIO: Oscar Niemeyer - Architektur für Freiheit und Demokratie (4 Min)

Nachgedacht: Oscar Niemeyer - Architektur für Freiheit und Demokratie

Stand: 13.01.2023 06:00 Uhr

Da sind sie wieder, die Bilder: Menschen, die voller Wut auf Gebäude stürmen, mit Gegenständen werfen, Scheiben einschlagen, kaputtmachen, was kaputtzumachen ist. Der Sturm auf das Kapitol in Washington vor zwei Jahren am 6. Januar 2021. Ähnliche Szenen jetzt in Brasilia.

von Claudia Christophersen

Erst gerade war der neue Präsident, Lula da Silva, vereidigt worden, da machte sich der Mob auf den Weg: Hunderte gewaltbereite, unzufriedene Menschen, Anhänger des ehemaligen Präsidenten Bolsonaro, tobten, stürmten das Regierungsviertel in der Hauptstadt Brasilia, drangen ein in den Kongress, den Präsidentenpalast, den Obersten Gerichtshof, beschädigten Häuser, Fenster, auch wertvolle Kunstwerke, Gemälde, Skulpturen.

Brasilia: Ein Konstrukt, eine Idee, ein Ort für eine Zukunftsvision

Claudia Christophersen © NDR Foto: Christian Spielmann
Claudia Christophersen über die Ausschreitungen in Brasilien.

Darunter etwa ein Werk der Künstlerin Marta Minujín. Wir erinnern uns: Die argentinische Konzeptkünstlerin baute auf der vorletzten documenta 14 den großen Büchertempel, den Parthenon der Bücher, Sinnbild für Meinungsfreiheit und Demokratie. Nun ist Brasilia nicht Washington, aber eine Stadt, die besonders ist und besonders sein soll. Immer muss sie sich behaupten, weil sie im Schatten der großen Metropolen wie Sao Paulo oder Rio de Janeiro stiefmütterlich mitten im südamerikanischen Riesenland liegt. Brasilia kann nicht posieren und angeben mit einer atemberaubenden Strandkulisse wie der Copacabana, einem Corcovado oder Wolkenkratzermeer.

Und trotzdem ist sie Hauptstadt mit Regierungssitz. Nicht ohne Absicht. Brasilia ist ein Konstrukt, eine Idee, ein Ort, der für eine Zukunftsvision steht und stehen sollte. Maßgeblich geprägt vom legendären, weltberühmten Architekten Oscar Niemeyer. Er sah in die Zukunft und baute luftige Häuser, praktisch, kühl, ohne Schnörkel, weiß und klar. Seine Werke hatten eine Aussage und wurden zum Symbol für Optimismus, Zuversicht und Aufbruch.

Oscar Niemeyer: Der Mensch im Mittelpunkt der Architektur

Oscar Niemeyer wurde alt, 1907 in Rio de Janeiro geboren, starb er 2012, kurz vor seinem 105. Geburtstag. Niemeyer hat deutsche Wurzeln und eine Verwandtschaft, die von Hannover nach Portugal, von dort über den Atlantik nach Südamerika ausgewandert ist. Mittelpunkt seiner Architektur-Philosophie war immer der Mensch, der im richtig gebauten Gebäude gute Ideen entwickeln konnte, der sich in ihnen wohlfühlen und glücklich sein sollte. Architektur wirkt auf Menschen, ihren Geist und ihre Taten. Das war seine Vision, so sollte Leben gestaltet und Politik gemacht werden.

Oscar Niemeyer wusste, Demokratie ist kein Selbstläufer, kein Selbstverständnis, Demokratie muss erarbeitet und gepflegt werden. Er wollte den Raum dafür bauen und schuf Versammlungsorte, Ministerien, Stadien, Kirchen, Wohnhäuser. Das war sein Beitrag für ein Leben in Freiheit. Kein Einzelfall in Südamerika. In Caracas baute und gestaltete die gebürtige Hamburgerin Gertrud Goldschmidt, Gego. Vor den Nationalsozialisten floh sie nach Venezuela und landete in Caracas.

Sturm auf Brasilia: Verletzung einer gesellschaftsgestaltenden Kunstidee

Wie Niemeyer hatte die junge Ingenieurin und Künstlerin eine Vision. Menschen sollen mit einer neuen Leichtigkeit leben, im privaten Refugium, zu Hause und in der Stadt. Caracas sollte, so war es damals gedacht, zu einer modernen Metropole werden. Gego, Niemeyer, Minujín - Künstler, die zeigen, wie wichtig die Kunst in der Gesellschaft, in der Stadt, im Leben ist. Der Sturm auf Brasilia ist deshalb nicht nur ein Angriff von politisch unzufriedenen Gegnern einer Präsidentschaft, er ist auch die Verletzung einer großen gesellschaftsgestaltenden Kunstidee.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 13.01.2023 | 10:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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