NachGedacht: Wir brauchen einen neuen Sommer der Liebe
Während immer mehr Hass in unsere Gesellschaft zu dringen scheint und uns Gewalt umgibt, hat Lena Bodewein ein Gegenmittel im Blick: Musik! Die Festivalsaison beginnt.
Wo man singt, da lass dich ruhig nieder - böse Menschen haben keine Lieder. Gut, stimmt auch nicht mehr so ganz - Hetzlieder gibt es nicht erst seit Horst Wessel, böse Menschen auf der Bühne gibt es nicht erst seit Rammstein. Aber gehen wir jetzt mal davon aus, dass für den Großteil zutrifft: Musik ist ein friedliches Medium, gute Menschen haben viele Lieder, von Beethovens Schlusschor der 9. Sinfonie bis zu Scott McKenzies San Francisco, mit den Blumen im wallenden Haar der Hippies im Summer of Love. Dann bieten sich uns in den kommenden Wochen und Monaten viele Gelegenheiten uns niederzulassen, wo man singt, denn die Festivalsaison startet.
Vom Hurricane bis zur JazzBaltica: Musikfestivals für jeden Geschmack
Scheunen oder Flugplätze, Kirchen oder staubige Äcker, Raketenbasen oder Deiche an der Nordsee - es gibt Musik im Überfluss, Wohlklang und Soundgenuss (gut, Wohlklang ist vielleicht auch eine Definitionsfrage, Death Metal ist nicht für jeden Klassikfan etwas, Alban Berg nicht für jeden Gothic Rocker das Richtige). Es gibt Gezeitenkonzerte in Ostfriesland, das ElbJazz in Hamburg, den Festspielsommer in Mecklenburg-Vorpommern, das Schleswig-Holstein Musik Festival, das Hurricane in Scheeßel, das Morgenland Festival in Osnabrück, die JazzBaltica, die Greifswalder Bachwoche und und und - ich hab mich grad erst warmgespielt. Von Mai bis September: Musik ohne Ende, für jeden Geschmack.
Ein Verdienst dieser Festivals ist es auch, Kultur, Musik und Leben dahin zu bringen, wo sonst nix los ist - mittenmang in die Provinz. Sollen die Städter doch mal ihre Hintern bewegen in Richtung Land und nicht immer umgekehrt. Und von Jugend über Dorfkiosk bis zu eingefleischten Festival-Pendlern älterer Jahrgänge sind die Menschen hin- und mitgereist sowie hin- und mitgerissen.
Musik und Gesang als Gemeinschaftserlebnis
Ob Schafstall oder Truppenübungsplatz: Jeder Ort erklingt und verwandelt sich in etwas, das es viel zu wenig gibt: ein Gemeinschaftserlebnis, ein Ganzes, das eindeutig mehr ist als die Summe seiner Teile, seiner Noten, seiner Bands, seiner Orchestermitglieder. Musik bringt uns zu etwas Anderem, Höherem, sie berührt etwas in uns, das jeder kennt, der schon mal im Chor mit vielen gesungen hat, ob in Kirche oder Stadion, ob "Hallelujah" oder "You'll never walk alone". Konflikte bleiben bei Festivals draußen, die größten Streitfragen könnten sein, ob die Phrasierung der Viola im Abstrich gelungen war oder ob diese oder jene Band die bessere Show geliefert hat - die alte Beatles-vs.-Stones-Diskussion, Sie wissen schon.
Im schlimmsten Fall werden die Diskussionen ausgetanzt wie bei der "Wall of Death" - die ist viel lustiger, als sich Wand des Todes anhört, wenn von zwei Seiten Fans aufeinanderzupogospringen. Auch mit einem leidenschaftlichen Tango lassen sich einige Fragen klären. Der gemeinsame Musikgenuss, ob aktiv oder passiv, bringt eine Harmonie hervor, von der wir unbedingt mehr brauchen. Wir sollten davon einen ganzen Vorrat anlegen, um einem Winter des Missvergnügens vorzubeugen. Komm her, du Summer of Love, wir brauchen dich!
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.