NDR Kultur Literaturredakteur Alexander Solloch vor einer Backsteinwand. © NDR Foto: Manuel Gehrke
NDR Kultur Literaturredakteur Alexander Solloch vor einer Backsteinwand. © NDR Foto: Manuel Gehrke
NDR Kultur Literaturredakteur Alexander Solloch vor einer Backsteinwand. © NDR Foto: Manuel Gehrke
AUDIO: NachGedacht: Alexander Solloch über Macht und Machtmissbrauch (3 Min)

NachGedacht: Mutters pure Liebe

Stand: 21.04.2023 06:00 Uhr

Macht und Machtmissbrauch, Springer und "Bild", Döpfner und Stuckrad-Barre: Über vieles könnte man grübeln in diesen Tagen; aber niemand und nichts reicht in seiner Wichtigkeit an die EINE heran, über die Alexander Solloch nachdenkt.

von Alexander Solloch

Glauben Sie mir bitte, ich will niemandem zu nahe treten, niemanden bewusst verletzen, aber wir müssen jetzt doch mal kurz über Mütter sprechen. Entschuldigen Sie das harte Wort, aber diese wundervollen Menschen sind, wie jeder weiß, der eine Mutter hat oder mal eine hatte, eben doch mehr als bloß "gebärende Personen": Das eigentliche Wunder entfaltet sich ja erst in den Stunden, Monaten und Jahrzehnten nach der Geburt.

"Für die pure Liebe reicht die Mutter."

Meine Mutter zum Beispiel. Also, es liegt ja in der Natur der Sache, dass sie mit dem, was ich in dieser kleinen Kolumne schreibe, nicht immerzu inhaltlich ganz und gar übereinstimmt. Meistens wohl schon, aber nicht immer, wie sollte es anders sein? Dann aber tadelt sie nicht etwa mich, wie es rein objektiv geboten wäre, sondern, wie es rein subjektiv geboten ist, meinen lieben Arbeitgeber: "Also wirklich", sagt sie dann, "wenn der NDR dir mal mehr Zeit gäbe, könntest du das noch viel gründlicher durchdenken".

Es ist wirklich wunderbar: Ich schreibe einen schlechten Text und der NDR ist schuld daran. So soll es sein! Was immer du tust, anrichtest, verbrichst - es gibt diesen einen Menschen in deinem Leben, der in seiner unendlichen Liebe über alles hinwegsieht. "Wozu braucht man eine Frau, einen Mann? Für die pure Liebe reicht die Mutter", sagt der niederländische Schriftsteller Arnon Grünberg. Und wenn sie nicht mehr da ist, muss jemand anders ihre Rolle übernehmen - wie in Grünbergs wunderbarem Roman "Muttermale".

Beruhigung? Stabilität? Werte? Mutter!

Die Mutter hilft in jeder Lebenslage, sei sie auch noch so verfahren. Ist die Lage im Hause Axel Springer, bei der "Bild"-Zeitung verfahren? Sie könnte es sein, nachdem - freundlich gesagt - sehr ressentimentgeprägte Chat-Nachrichten von Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner öffentlich wurden und nun auch noch der neue Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre erschienen ist, der erbarmungswürdige Zustände in einem Medienhaus beschreibt, das manch ein Leser, oder genauer: jeder Leser und jede Leserin womöglich - vom Autor natürlich völlig unbeabsichtigt - mit der "Bild" verwechseln wird.

Image-mäßig gerade nicht so gute Tage, aber andererseits: Dass es sich bei "Bild" nicht in erster Linie um den Hort des Guten und Wahren handelt, ist auch nicht eben breaking news. Und doch wurschtelt dieses Blatt sich seit Jahrzehnten immer irgendwie durch. Chefredakteurin Marion Horn musste ihrer Leserschaft nach den Döpfner-Unflätigkeiten immerhin ein beruhigendes Geleitwort an die Hand geben, das die Stabilität des "Bild"-"Wertesystems" versprach. Beruhigung? Stabilität? Werte? Mutter! Dies also ist der Beginn von Marion Horns Text zu den Döpfner-Unflätigkeiten: "'Ich mache mir Sorgen, was ist da denn nur los, wo du arbeitest? - So hat mir meine Mutter gestern geschrieben."

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Die große geheimnisvolle Liebe zwischen Mutter und Kind

Was für ein Gottesgeschenk! Jeder nichtmütterliche Mensch würde sagen: "Döpfner? Kaum erstaunlich angesichts dieser jahrzehntelangen Tradition von Zynismus und Bosheit. Passt schon." Die Mutter aber ist besorgt, in was ihre Tochter, die, unter uns, auch immerhin schon seit 20 Jahren für "Bild" und "Bild am Sonntag" arbeitet, unschuldig hineingeraten ist.

Mathias Döpfner ist aber übrigens auch unschuldig. Es steht ja ganz klar in einer seiner vielen nun veröffentlichten Nachrichten zu lesen: "Meine Mutter hat es schon immer gesagt: Die Ossis werden nie Demokraten." Wie soll ein Sohn verhindern, dass das von Mutter immer schon Gesagte ihn nicht beeinflusst? Ich mache auch immer noch bei Gewitter alle Fenster zu, weil meine Mutter das immer schon gesagt hat. Und zwar ausschließlich, weil sie es gesagt hat! Diese große geheimnisvolle Liebe ist ja durchaus wechselseitig.

Und dann gibt es natürlich auch noch Väter, aber für die Themen "Vollbart" und "schütteres Haupthaar" und "Krise des Mannes" gibt mir der NDR mal wieder keine Zeit. Schlimm, Mama, oder?

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 21.04.2023 | 10:20 Uhr

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