Männlichkeit und Identität jenseits der Klischees
In seinem Debütroman "Im Morgen wächst ein Birnbaum" beschäftigt sich Fikri Anıl Altıntaş mit seiner Familiengeschichte, mit Männlichkeitsbildern, mit Sehnsucht und den Folgen der Migration.
Der Autor möchte Vorurteile gegenüber migrantischen Männern abbauen. Er schreibt vom Aufwachsen und Mannwerden in den 90er-Jahren als Sohn türkischer Eltern - eine Herausforderung in einer Gesellschaft, in der Vorurteile allgegenwärtig sind.
Der Kampf gegen Vorurteile
Fikri Anıl Altıntaş sitzt in einem Café mitten im Zentrum von Berlin und liest aus seinem Buch. Er ist in einer hessischen Kleinstadt aufgewachsen. Sein Vater unterrichtete Türkisch an einer Gesamtschule, seine Mutter arbeitete als Reinigungskraft. Es war eine Kindheit inmitten von Sozialwohnblocks, geprägt von dem drängenden Wunsch, deutsch zu sein. Beständig wuchs die Sehnsucht, gesehen zu werden und einen eigenen Weg als türkischmuslimischer Mann zu finden. Die Religion gab und gibt ihm dabei die nötige Stärke, betont Fikri Anil Altintaș: "Ich merke, dass ich mich zugehörig fühle, ich merke aber auch, wie viel antimuslimischer Rassismus in Deutschland passiert. Auch aus der politischen Notwendigkeit definiere ich mich als Muslim. Insofern war Muslimsein immer untrennbar mit meiner politischen Arbeit verbunden, weil ich mich auch als muslimische Person markiere und positioniere und in gewissem Maß auch gegen diese Vorurteile ankämpfe. Insofern spielt es eine Rolle, dass ich Kraft daraus schöpfe."
"Wir definieren, wie über uns gesprochen wird"
Der 32-Jährige ist seit seiner Kindheit nicht mehr in den Männerbildern zu finden, die ihm vorgelebt werden. Er möchte, dass sich mehr Männer trauen, Nähe zuzulassen und verletzlich zu sein: "Was macht eigentlich dieser Rassismus in Deutschland mit unseren Vorstellungen, mit der Vorstellung, wie zum Beispiel muslimisch markierte Menschen in dieser Gesellschaft wahrgenommen werden? Wir wollen das Heft in die eigene Hand nehmen und sagen: Wir sprechen über unsere eigene Männlichkeit, wir definieren, wie über uns gesprochen wird, und holen uns das, was über uns von außen immer nachgesagt wird - dass wir nicht in der Lage sind zu lieben, liebevoll zueinander zu sein -, zurück. Wir müssen uns einerseits vor rassistischer Diskriminierung schützen, aber gleichzeitig müssen wir uns davor schützen, dass diese Vorurteile und Stereotype in uns übergehen. Deshalb meine ich mit Liebe zurückholen gewissermaßen auch ein bisschen Selbstachtung und Selbstwert zurückholen."
Altıntaş' Wunsch: eine geschlechtergerechte Welt
Regelmäßig steht Fikri Anıl Altıntaş mit seinem Vater auf der Bühne, schreibt Zeitungsartikel über verschiedene Rollenbilder und Männlichkeit, gibt Seminare und ist HeForShe-Botschafter von UN-Women Deutschland. Die HeForShe-Bewegung appelliert an Männer, alle Formen von Gewalt und Diskriminierung gegenüber Frauen und Männern zu beenden. Altıntaş glaubt, dass Antifeminismus und Gewalt gegen Frauen auf der ganzen Welt wachsen, während Frauen sich andererseits immer mehr emanzipieren und die Politik feministischer werden sollte. Darüber hinaus setzt er sich dafür ein, Männer für eine geschlechtergerechte Welt zu sensibilisieren.
"Wir sprechen immer nur von extrem vielen Femiziden und Gewalt gegen Frauen. Natürlich sind Männer auch von Gewalt betroffen, aber für mich geht es erst einmal darum, wie wir einen solidarischen Umgang miteinander schaffen. Wie schaffen wir es, Männer für diese Sache zu begeistern, damit wir alle miteinander weniger Gewalt wollen und vor allem in einer geschlechtergerechten Welt leben? Das ist natürlich groß gedacht, ich rede von Utopien, aber ich glaube, jeder kleine Schritt kann einen Impuls wert sein. Insofern ist mein Ziel, gemeinsam mit meinen feministischen Mitstreiterinnen, von denen ich viel lernen durfte, eine geschlechtergerechte Welt, in der Männer idealerweise verstehen, zu was Männlichkeit in ihnen und nach außen führen kann."
In einer Zeit, in der Geschlechterrollen immer mehr infrage gestellt werden, gibt das Buch von Fikri Anıl Altıntaş neue Einblicke in die vielfältige Debatte über Männlichkeit und Identität.