
"When sleep comes": Chormusik zur Meditation am Abend
Mit dem Album "When Sleep Comes - Evening Meditations for Voices and Saxophone" präsentiert das Vokalensemble Tenebrae unter seinem Leiter Nigel Short alte Bußgesänge von Thomas Tallis, Hildegard von Bingen oder Orlando Gibbons in frischem Anstrich: mit Saxofonklängen und modernem Gesang.
Tenebraes "When Sleep Comes - Evening Meditations for Voices and Saxophone" ist geprägt von den klanglichen Traditionen und Kompositionen des Mittelalters, der Renaissance und der Romantik, nutzt aber Arrangements mit Saxofon und moderne Gesangstechniken, die der Musik einen frischen Anstrich verleihen. Mit melancholischer und hypnotisierender Atmosphäre thematisiert "When Sleep Comes" die Sehnsucht nach Ruhe und den Übergang zwischen Traum und Wirklichkeit und verknüpft dabei die mystische Ästhetik mittelalterlicher Gesänge mit zeitgenössischer Musikkultur.
Musik zur stillen Kontemplation und Reflexion
Es sind sowohl alte als auch moderne Bußgesänge, die Tenebrae hier eingespielt hat - Werke von Thomas Tallis oder Hildegard von Bingen ebenso wie Owain Park oder Christian Forshaw. Zum anderen erklingen die alten Werke - in Bearbeitungen für Vokalensemble und Saxofon.
So auch der Hymnus "Drop, drop slow tears" des Renaissance-Komponisten Orlando Gibbons, der Ende des 16. Jahrhunderts als Chorknabe am King’s College in Cambridge schon in seinen Kinderjahren mit Musik in Berührung kam. Später wurde er dann Organist an der Westminster Abbey in London. Saxofonist und Komponist Christian Forshaw, geboren 1972, hat "Drop, drop slow tears" so bearbeitet, dass die Stimmen von Tenebrae und der Klang des Saxofons geradezu ineinander zu fließen scheinen.
Eine Zusammenarbeit von Christian Forshaw und Nigel Short
Christian Forshaw, der "Drop, drop slow tears" mit seinem Saxofon quasi um einen Zwischenruf aus unserer heutigen Zeit ergänzt hat, ist ein vielseitig aufgestellter Musiker und Komponist. Er arbeitete mit Brian Eno zusammen, mit dem Chamber Orchestra of Europe und schreibt Musik für Film- und Fernsehproduktionen. Mit dem Gründer und Leiter des Vokalensembles Tenebrae, Nigel Short, hat er seit 2007 immer mal wieder gemeinsame Projekte umgesetzt. Nigel Short, ehemaliges Mitglied der King’s Singers, hat 2001 den Chor Tenebrae gegründet und ihn zu einem Spitzenensemble geformt.
Hildegard von Bingen: Musik einer Mystikerin
Die Benediktinerin Hildegard von Bingen ist gemeinhin als deutsche Mystikerin und Theologin des Mittelalters bekannt. Doch sie gilt ebenso als eine der ersten bekannten Komponistinnen der westlichen Musikgeschichte. Sie hat eine Vielzahl liturgischer Gesänge komponiert, eigene musikalische Notationssysteme entwickelt und über die Bedeutung von Musik in der Spiritualität und im Gottesdienst geschrieben. Viele ihrer Werke sind in Sammlungen wie "Symphonia armoniae celestium revelationum" erhalten.
Nigel Short hat ihr Responsorium "O vos imitates" für Sopran, Vokalensemble und Saxofon bearbeitet. Ein Responsorium ist ein liturgischer Wechselgesang zwischen einem Vorsänger und der Gemeinde. Sopran-Solistin Victoria Meteyard wird in dieser Aufnahme umspielt von Christian Forshaws Saxofon.
Thomas Tallis: Meister der geistlichen Musik im Schatten politischer Umwälzungen
Auch zwei geistliche Kompositionen von Thomas Tallis sind auf dem Album zu finden. Tallis‘ Schaffen erstreckte sich im 16. Jahrhundert über fünf politisch sehr bewegte Jahrzehnte. Er erlebte unter Heinrich VIII. die Loslösung der anglikanischen Staatskirche von der Katholischen Kirche, wurde unter ihm Mitglied der Hofkapelle. Später genoss er dann die Unterstützung von Elisabeth I., die ihm gemeinsam mit seinem ehemaligen Schüler William Byrd ein Monopol zur Veröffentlichung gedruckter Noten einräumte. 1585 starb Thomas Tallis - im damals biblischen Alter von 80 Jahren. Natürlich hatten die vielen kirchenpolitischen Umschwünge zu seinen Lebzeiten auch Einfluss auf seine geistlichen Kompositionen. Die Antiphon "Sancte deus für vier Stimmen" entstand wahrscheinlich um 1540 - Tenebrae hat sie eingesungen, ebenso "O Nata Lux".
"O nata lux de lumine, Jesu redemptor saeculi" - "O Licht, aus dem Licht geboren, Jesus, Erlöser der Welt" heißt es da zu Beginn. Der Himmel sendet sein Licht auf die dunkle Erde, und die Erde wird hell. Der Saxofonist und Komponist Christian Forshaw, der als Kind selbst Chorknabe war und also ganz genau weiß, wie man für Stimmen schreibt, hat diesen alten lateinischen Hymnus für fünf Stimmen und Saxofon bearbeitet.
Vom Mittelalter bis in die Moderne
Tenebrae schlagen einen großen Bogen: "When Sleep comes" nimmt die Zuhörerschaft mit auf eine Reise vom Mittelalter (Hildegard von Bingen) über die Renaissance (Thomas Tallis) und die Romantik (Henry Francis Lyte) bis in die Moderne (Owain Park). Von dem Schotten Henry Francis Lyte hat der Chor das christliche Kirchenlied "Abide with Me" (dt.: "Bleib bei mir") eingespielt.
"Abide with Me" ist ein Gebet, das von der Bitte um göttliche Begleitung und Trost in schwierigen Zeiten handelt. Der Text drückt das Bedürfnis nach Nähe und Unterstützung durch Gott aus, besonders in Momenten der Unsicherheit und des Zweifels. Lyte, der anglikanischer Geistlicher war, schrieb es 1847, als er schwer an Tuberkulose erkrankt war. Am häufigsten wird es zu der Melodie "Eventide" des englischen Organisten William Henry Monk gesungen. Christian Forshaw hat auch dieses Lied für Vokalensemble und Saxofon bearbeitet und damit einmal mehr alt und neu gekonnt miteinander verbunden.
Die ganze Sendung zum Album "When sleep comes" können Sie in der ARD Audiothek hören. Die Chormusik können Sie auch als Podcast abonnieren - in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.