Virtuell in jahrhundertealte Trachten schlüpfen
Die Daten für die aufwendig gestaltete App hatte die Landesbibliothek für Kultur-Digitalisierungsprojekte zur Verfügung gestellt. Dank Augmented Reality kann man die Kleidung sogar virtuell anprobieren.
Jahrhundertealte Kupferstiche, bunt colorierte Illustrationen und Zeichnungen von Menschen in Tracht: das sind wahre Schätze, die die Landesbibliothek Schleswig-Holstein in ihrer Sammlung hat - und bisher kaum zeigen konnte. Öffentlich in einer Ausstellung schon gar nicht: die Originale müssen gut geschützt werden, lagern deshalb im Archiv.
Die echten Trachten sind oft nicht mehr erhalten
Und das gilt auch für die Kleidung, die auf den Illustrationen zu sehen ist: "Wenn de dat noch gifft, denn mutt de natürlich dröög un düster in'ne Schuuflaad liggen", erklärt Lea Eckert, Mitarbeiterin der Landesbibliothek. Um dieses Dilemma zu lösen, stellte das Team der Landesbibliothek die Daten zu den Trachten des Landes für einen sogenannten Hackthon zur Verfügung: wer Interesse daran für ein Digitalprojekt hatte, durfte die Illustrationen nutzen.
Eine Studentin aus Düsseldorf, Ronja Erhardt, war direkt begeistert von den alten Kleidungsstücken und entwickelte die Idee eines virtuellen Trachten-Kleiderschranks. Und den kann sich knapp zwei Jahre später nun jeder kostenfrei aufs Smartphone oder Tablet laden: gemeinsam mit Projektleiterin Lea Eckert und einer Softwarefirma entstand die "Dressed App", finanziert durch Fördermittel des Bundes.
Spielerische Bedienung, liebevolle Darstellungen
Mit einem Tipp auf den virtuellen Kleiderschrank öffnet sich dieser - und gibt den Blick frei auf 50 verschiedene Trachten aus Schleswig-Holstein und Hamburg aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. "Wi hebbt versöökt, dat eerstmal ganz intuitiv un spelerisch optobuen", blickt Lea Eckert zurück. Deshalb können Nutzerinnen und Nutzer auf der Startseite auch das Licht ein- und ausknipsen und einen Hund streicheln. Eine ältere Dame mit Strickzeug nimmt einen dann mit in die unterschiedlichen Regionen und Jahrhunderte.
Die digitalisierten Illustrationen der Menschen in Tracht sind alle mit roten Punkten versehen, hinter denen sich weitere Infos verbergen: Zum Beispiel, dass Sylter Bräute im 17. Jahrhundert wie unter einer Burka verhüllt zur Kirche gebracht wurden, oder dass Dithmarscher Männer als Zeichen ihrer Freiheit ein Kurzschwert bei sich trugen.
Wissensvermittlung ganz nebenbei
Der informative Mehrwert war Lea Eckert besonders wichtig, aber so verpackt, dass man ausversehen auch noch etwas lernen könne, sagt sie. "Un dat is denn jo ok super spannend, dat de Lüüd de Tracht ok eenfach as verkoopsförderndes Mittel insettet hebben. Wenn du in Flensborg op'n Markt weerst, kunnst du sofort erkennen: ach, dat sind de Blankeneser Fischerfruens.“
Und dank Augmented Reality kann sich auch noch jeder in die Blankeneser Fischerfrau mit ihrem roten Faltenrock verwandeln, oder den federgeschmückten Hut eines Ockholmer Landmanns aufsetzen. Eigentlich gar nicht mehr vorhandene Kleidung wird so wieder ein Stück weit lebendig. "Un man kriggt jo ok so'n Geföhl dorför, wo swoor villich so'n Rock weer, wenn een sütt, wi breet de op't Foto is."
Digitalisierung macht Bibliothek fit für die Zukunft
Für Dr. Martin Lätzel, Direktor der Landesbibliothek, ist die "Dressed App" das beste Beispiel dafür, welche neuen, digitalen Wege Institutionen wie die Landesbibliothek gehen können: "Wir versuchen schon, das Haus auch zukunftsfest dahingehend auszurichten, dass wir das, was wir an Bestand haben, auch vermitteln und nach außen tragen. Also viel stärker den interessierten Menschen die Informationen, die wir hier haben, zur Verfügung zu stellen."
Denn all die Daten, Sammlungen und Materialien gehörten nun mal allen Bürgerinnen und Bürgern des Landes - und auf diesem Weg kommt die Bibliothek quasi nach Hause.