Pepper-Blog (26) Smombies am Straßenrand (bilingual)
Wozu benötigen wir Uhren im öffentlichen Raum, wenn sie nicht mehr richtig ticken und wir sowieso nur noch auf Displays glotzen? Eine Glosse.
Moin Pepper, wie geht es dir? - Ich muss dir etwas erzählen und verzeihe mir bitte meine pointierte Ausdrucksweise. Was ist passiert? Also, auf dem Weg zur Arbeit komme ich immer wieder an zwei großen Uhren vorbei. Die eine steht neben einem Baumarkt an einer stark befahrenen Kreuzung. Die andere befindet sich gegenüber von der Muthesius-Kunsthochschule am Lessingplatz. An beiden kommen Tausende von Autos, Passanten und Fahrradfahrer:innen vorbei und niemand scheint an Ihnen Anstoß zu nehmen, außer mir. So habe ich irgendwann Mitte Januar angefangen, die beiden öffentlichen Uhren zu fotografieren. Nicht, weil sie besonders schick sind.
Welche Funktion haben öffentliche Uhren noch?
Nicht, weil sie mächtige historische Monumente im Stadtbild darstellen könnten: Siehe "Big Ben" oder die mächtigen Kirchturmuhren überall im Land, die seit Hunderten von Jahren anzeigen, wann man zu beten oder zu arbeiten hat. Nein, ich habe die beiden Uhren auf meinem Weg abgelichtet, weil mir aufgefallen ist, dass sie nicht richtig ticken oder überhaupt nicht laufen. Die da oben im Titelbild zum Beispiel, zeigt seit mindestens Mitte Januar 2024 "High Noon" an und die andere geht, gefühlt seit einer Ewigkeit, zweieinhalb Stunden oder noch mehr vor. Das irritiert mich und die Frage drängt sich auf, wieso korrigiert die Niemand?
Vielleicht lesen Verantwortliche hier mit und regeln das?
Wenn Zeitangaben um Stunden voneinander abweichen, könnte das schon mal zu Missverständnissen führen, denke ich mir. Das Busse und Bahnen stehen bleiben oder sich verspäten ist ja nervig genug, da möchte man sich doch zumindest auf die öffentliche Uhrzeit verlassen können. Wo soll denn das hinführen, Pepper? Vielleicht liest ein(e) Verantwortliche(r) diesen Blog und korrigiert die Zeiger-Fehlstellung? Das würde mich freuen. Aber der eigentliche Skandal ist ein anderer. Wie kann es sein, dass es viele Menschen anscheinend gar nicht mehr interessiert, wenn andere Uhren als ihre eigenen falsch laufen? Ist es Ihnen etwa egal, ob die öffentlichen Uhren die richtige Zeit anzeigen oder nicht? Wenn jeder schon seine eigene Zeit am Handgelenk oder auf dem Smartphone-Display hat, braucht es vielleicht keine öffentlichen Uhren mehr? Werden sie zu einer reinen Nebensache, die man geflissentlich übersieht. Ich habe bislang niemanden gesehen, der spontan stehen bleibt, sich ungläubig die Augen reibt oder den Kopf schüttelt, weil da etwas falsch läuft.
Verkehrte Zeit, verkehrtes Leben
Und das größte Problem entsteht dann erst noch. Denn jetzt stellt sich die Frage, welche Uhr tickt denn überhaupt richtig? In dem Moment, wo ich auf meine Uhr schaue und eine andere, größere Uhr mit einer abweichenden Zeit sehe, bin ich angesprochen, herausgefordert selbst wenn ich das gar nicht will. Welche Uhrzeit ist denn überhaupt die Korrekte? Eine Referenz wird benötigt, eine dritte Uhrzeit muss her, um zu bestimmen, welcher Zeitmesser aus der Reihe schlägt. Weil einem dazu aber in der Regel die Zeit fehlt, bleibt vielleicht nur die Waffe der Ignoranz. Traue keiner Zeit außer der, die du bei dir trägst?
Jeder hat seine eigene Zeit dabei
Oder ist der lockere Umgang mit chronometrischen Unregelmäßigkeiten im Stadtbild schlicht Ausdruck modernen liberalen Weltbürgertums? So wie man keine Telefonzellen mehr benötigt oder Pyramiden, benötigt man im digital-urbanen Lifestyle vielleicht auch keine überdimensionalen Straßenuhren mehr. Der Autofahrer schaut auf die Fahrbahn. Der Fahrradfahrer über den Lenker und der "Smombie" (1) bekommt sowieso nichts mehr von der Außenwelt mit. Ziemlich verrückt, diese Menschen, oder was meinst du, Pepper?
(1) "Smombie", Jugendwort des Jahres 2015, gebildet aus "Smartphone" und "Zombie". Typische Verhaltensweisen: Starrer, nach unten gerichteter Blick, schlurfender Gang.
Beitrag op Plattdüütsch
Moin Pepper! Wo hest du dat? Ik mutt di wat vertellen. Op den Weg na de Arbeit kumm ik immer wedder an twee Klocken vörbi. De eene flankeert en Bumarkt an en orrig befahren Krüüzung. De annere steiht gegenöver vun de Kunsthochschool. An beide düsen Dag för Dag Dusende vun Autos vörbi. Junge Öllern mit ehre Kinner in Lasten-Rööd krüzen de Klocken, jüst so as Angestellte un Arbeiders op ehrn Padd na de Innenstadt oder na dat Ostufer hen. De meisten hemm dat hild, bet op de Lüüd, de mit Inkoops-Chopper un Rollatoren ünnerwegens sünd. Jichenswann Anfang Januar 2024 heff ik anfungen, de Klocken to fotograferen. Nich, wiel se en besünnern Chic opwiest.
Welke Funktion hem öffentliche Klocken noch?
Nich, wiel se as symbolisch machtvull historisch Monumente in‘t öffentliche Stadtbild thronen. Stell di dor blots mal den Klockentorn vun "Big Ben" vör, oder de mächtigen Karktoornklocken, de siet Hunnerte vun Johrn vörgeven, wannehr to beden un to arbeiden weer. Nee, ik heff de beiden Klocken op mien Weg fotografeert, wiel mi opfullen is, dat se jümmers verkehrt, oder gar ni lopen doon. Nich blots eenmal verkehrt, nich tweemal verkehrt, sünnern över Daag, över Weken, bet nu. Mi stört dat. Woso deit dor nüms wat?
Villicht lesen de Verantwortlichen vun de Stadt Kiel hier mit un regeln dat?
Villicht leest een vun de Verantwortlichen vun de Stadt Kiel düsse Blog un korrigiert dat bitiden? Dat worr mi freun. Man de egentliche Schandal is en annere. Woans kann dat angahn, dat veele Lüüd gar ni mehr to interesseren schient, wenn de Klocken verkehrt lopen? Schietegal, wat düsse beiden öffentlichen Klocken de richtige Tied wiesen, oder nich? Wenn nu jedeen al sien egen Tied mit dorbi hett, an‘t Handgelenk oder op dat Display vun‘t Smartphone, denn brukt een dor villicht keen Tied mehr, de an sülvige Stee för vele Lüüd antokieken is. Ik seh ok nüms, wat den Kopp schüttelt un sik över de verkehrt lopende Tied argert.
Verkehrte Tiet, verkehrtes Leven
Oder is de laxe Ümgang en Utdruck vun liberalet Weltbürgertum? So kunn man je seggen de Klock wiest wull de richtige Tied, se steiht blots an‘n verkehrten Platz op düssen Globus. Un wiest nu, wo laat dat in Singapur oder Sydney is? So as dat keen Telefonzellen mehr brukt, oder Pyramiden, brukt dat villicht ok keen övermannshoge Stratenklocken mehr. So kiekt de Autofahrer na den Horizont. De Fohrradfahrer kiekt na vörn un de "Smombie" (1) kriggt so un so nix mehr mit. Ganz schön mall düsse Menschen, oder, wat meenst du, Pepper?
(1) "Smombie", Jugendwort des Jahres 2015, gebildet aus "Smartphone" und "Zombie". Typische Verhaltensweisen: Starrer, nach unten gerichteter Blick, schlurfender Gang.