Stefan Gwildis über seinen musikalischen Siegfried Lenz-Abend
Siegfried Lenz gehört zum norddeutschen Literatur-Kanon, wie der Matjes zum Brötchen. Sänger Stefan Gwildis hat den Schriftsteller mit einer Hommage im St. Pauli Theater gefeiert. Ein Gespräch über Lenz, gute Bücher und Musik.
Geboren 1926 im ostpreußischen Lyck, gestorben 2014 in Hamburg, zählt Lenz zu den bedeutendsten Schriftstellern der deutschsprachigen Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur. Seine vielen Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Essays und Hörspiele sind das Ergebnis unermüdlicher Produktivität, Phantasie und des Wunsches, Vergangenes lebendig werden zu lassen. Was Stefan Gwildis unter anderem an der "Deutschstunde" fasziniert verrät er seinem Publikum in dieser Hommage. Dem Musiker geht es um einen ganz persönlichen Zugang zu Lenz, mit dem er nicht nur die Liebe zum Meer teilt.
Stefan Gwildis ist im Studio angekommen. Und er will uns mit Siegfried Lenz abholen.
Stefan Gwildis: Klar, will ich euch für Siegfried Lenz holen. Und nicht nur für die "Deutschstunde", sondern für die Riesenpalette, die er anzubieten hat; mit seinem Werk, was er geschaffen hat. Wenn man sich zum Vergleich das Gesamtwerk von Borchert anschaut, dann sind die gesamten Buchrücken fünf Zentimeter breit und bei Siegfried Lenz sind es 250 Zentimeter. Das ist schon ein ganz schönes Kaliber, was dieser Mann da auffährt und womit er besticht. Das ist ja einfach seine Aktualität und seine Generationen übergreifende Informationen, die er mit seinen tollen Geschichten erbringt.
Du hast einmal gesagt: "Siegfried Lenz ist so ein guter Beobachter, der die Dinge so genau zu beschreiben weiß, dass man das Gefühl hat, man ist direkt mit ihm auf einem Latrinenbalken in den Sümpfen von Ost-Polen." Das gibt ein gutes Versprechen auf deinen Siegfried Lenz Abend ab, im St. Pauli Theater. Mal gucken, ob du das halten kannst.
Gwildis: Das hoffe ich auch stark. Ich bin da guter Dinge, weil wir erst mal mit einer ganz wunderbaren Dramaturgin aufgestellt sind, nämlich mit Sonja Valentin, die ganz viele Texte für dieses Programm zugespült hat. Und ich bin nicht allein auf der Bühne, sondern habe zwei musikalische Mitstreiter dabei: Tobi Neumann am Flügel und Hagen Kuhr am Cello. Beide untermalen das musikalisch so grandios. Da werden ganz viele kleine Kostproben zutage kommen. Für mich ist das so ein kleiner Pralinenkasten mit den schönsten Zitaten von Siegfried Lenz. Und ich habe mich oft gefragt, was sind die Parallelen? Wo streift es mein Leben und wo streift es auch das Leben meiner Familie, meiner Eltern und meiner Großeltern? Ich habe so viele Parallelen dabei festgestellt, die ganz wichtig sind.
Wann hast du das Werk von Siegfried Lenz kennengelernt?
Gwildis: Es gab in den 1970er-Jahren in der Blindenbücherei Kassetten, die mit der Weltliteratur besprochen waren, und darunter war auch eine Kassette mit der "Deutschstunde", so bin ich rangekommen. Ich fand die "Deutschstunde" so unfassbar interessant, weil deutscher als in der "Deutschstunde" die Deutschen beschrieben werden - das geht kaum noch. Das Tolle bei Lenz ist, dass er in seinen tollen Beobachtungen dem Leser das offen lässt, wie das alles weitergehen kann. Und er öffnet Türen und bringt gar nicht die Lösung, sondern er öffnet immer ganz viele Türen. Und das finde ich bei all seinen Geschichten und es speziell auch bei der "Deutschstunde" so toll.
"So zärtlich war der Lenz" heißt das Programm ...
Gwildis: ... Es ist natürlich eine Anspielung auf das Buch "So zärtlich war Suleyken". Er erzählt diese tollen masurischen Geschichten von diesen tapsigen, unterschwellig intelligenten Menschen, die aber ganz tolle Schläue in ihrem Leben beweisen, dass sie eine große Lebensweisheit mit sich tragen. Das wird in jeder der Geschichten klar.
Du hast schon gesagt, dass da auch Musiker mit dabei sind. Was kommt denn da an dem Abend auf uns zu?
Gwildis: Wie gesagt, da kommen ganz viele Pralinen auf uns zu: aus verschiedenen Geschichten, aus Romanen, aus Theaterstücken und auch aus bisher unveröffentlichten Dingen. Es erscheint jetzt bei Hoffmann und Campe ein Buch mit dem Radiowerk von Siegfried Lenz, und daraus wird es auch noch etwas geben. Lenz war ja auch ein Partner von Willy Brandt und Helmut Schmidt und hat damals ganz maßgeblich an der Ostpolitik Willy Brandts mit gearbeitet. Man kann froh sein, dass man nach dem Mauerfall heute wieder dorthin fahren kann. Ich bin übrigens nach Masuren, nach Suleyken gefahren und hab mir das alles angeguckt, um einfach rauszufinden: Wo kommt er her? Es ist wunderschön. Nebenbei bemerkt: Das ist eine echte Reiseempfehlung.
Das Gespräch führte Steffi Banowski.