Mit der Kippa unter der Basecap: Jüdische Popmusik in Hannover
In einem musikalischen Salongespräch in der Villa Seligmann in Hannover haben zwei jüdische Sängerinnen und ein Sänger erzählt, was ihre Musik ausmacht, welche Themen sie umtreiben und was sie geprägt hat.
Wut bricht sich Bahn in den Songs von Ben Salomo. Neben der historischen Synagogal-Orgel im holzgetäfelten großen Saal derVilla Seligmann steht der Rapper in blauer Trainingsjacke, die Kippa am Anfang noch unter seiner Basecap verborgen. "Kämpf allein" heißt sein Rap, mit dem er zeigt, wie Widerstand gegen Antisemiten geht.
Ben Salomo: Mit Musik aus der Lethargie reißen
Geboren in Israel, aufgewachsen in Berlin, ist Musik für Ben Salomo Empowerment. Vor allem Eines ist ihm wichtig. "Dass wir aus unserer Lethargie und der Stille rauskommen", betont der Rapper. "Wir alle kennen dieses 'nie wieder'. Was ist denn das? Das ist nicht 'nie wieder Krieg'. Nie wieder Antisemitismus, denn der führt zu Krieg." Wenn Ben Salomo nicht gerade in Schulen über Antisemitismus aufklärt, schreibt er seine Songs - vor allem, wenn er etwas zu verarbeiten hat. Das laute Schweigen nach dem 7. Oktober etwa.
Ben Salomo ist einer der ersten Rapper, die sich zum "Jüdischsein" bekannt haben. Ein Wort, das auch Mascha Raykhman benutzt. Lieber als das Wort Judentum, weil sie selbst nicht religiös sei. Mit jüdischen Studien habe sie gerade erst begonnen, sagt die in Kiew geborene Sängerin, Sprecherin und Songwriterin.
"Sheyne Ziere" - wunderbares Geschöpf - Musik für die Babuschka
"Jüdisch sein, Jüdin sein, ist ja eben nicht nur die Religion", sagt sie. "Das ist auch so ein Punkt, der in Deutschland ganz viel unter den Teppich gekehrt wird. Jüdischsein ist eben auch eine Volkszugehörigkeit." Ihr Gefühl fürs Singen hängt auch mit ihrer deutsch-russischen Zweisprachigkeit zusammen. Jetzt lernt sie jiddisch, hat ihr Debutalbum ihrer Großmutter gewidmet: "Sheyne Ziere" - wunderbares Geschöpf.
Gern hätte man noch etwas mehr über ihre Kastenzitter "Autoharp" erfahren, einem Instrument, das über den Saiten Knöpfe hat, die Akkorde erzeugen. Doch die jüdische Musik an diesem Abend erklärt sich vor allem über die Gefühle, die sie formen, dem Entsetzen über die Sprachlosigkeit der Freunde nach dem Terroranschlag der Hamas etwa.
Lieder von Hoffnung und Angst
Die Sängerin Noam Bar ist in Tel Aviv aufgewachsen, in den 1990er-Jahren, zur Zeit der Intifada. Die ständigen Detonationen haben sich in ihr Gedächtnis gegraben. Der Anschlag vom 7. Oktober wirkte da posttraumatisch auf sie. "Ich hatte einfach Angst vor allem. Ich war vier Wochen zu Hause", berichtet sie. "Immer, wenn ich irgendwelche Geräusche im Treppenhaus oder so gehört habe, dann musste ich die Lichter ausmachen. Es war wirklich, wirklich schlimm."
Das Überleben, Thema in den Texten der Blues- und Jazz-Sängerin aus Hannover. Das habe mit ihrer jüdischen Identität zu tun. Während Ben Salomo darüber nachdenkt, Deutschland zu verlassen, hat Noam Bar Pläne für ein erstes Soloalbum. Sie will die Hoffnung nicht aufgeben, "Better days" heißt einer ihrer Songs.