"Ich glaube nicht an Genialität": Carsten "Erobique" Meyer im Gespräch
Der Hamburger Musiker Carsten Meyer gilt als Live-Genie, hat aber auch schon Soundtracks wie zum Beispiel den für den "Tatortreiniger" geschrieben. Als Erobique hat er jetzt sein zweites Album "No. 2" veröffentlicht - 25 Jahre nach seinem Debütalbum.
Im Interview mit Alexandra Friedrich spricht Carsten "Erobique" Meyer über seine neue Platte, warum er so lange dafür gebraucht hat und was in der Zwischenzeit passiert ist. Es geht um seine Arbeit als Filmkomponist, die Kunst der Improvisation, die Sehnsucht nach der Ferne und die Liebe zur Musikszene Hamburgs. Einen Auszug lesen Sie hier. Das 30-minütige Gespräch ist in der ARD Audiothek oder als Podcast hören.
Herr Meyer, mit Ihrer neuen Platte feiern Sie gerade die "Silberhochzeit mit sich selbst", so heißt es im Pressetext - und alle feiern gefühlt mit. Ich habe sehr viel Überschwängliches gelesen. War das ein von langer Hand geplantes Medienereignis?
Carsten Meyer: Ich weiß nicht, ob es ein Medienereignis ist. Es ist erst einmal etwas, was ich meinen Zuhörern schuldig war nach 25 Jahren. Ich habe sehr viele andere Projekte gemacht seit meinem ersten Album: Musik für Filme und Theaterstücke, für die Serie "Tatortreiniger", einmal auch Musik für den NDR Tatort. Aber das, was ich auf meinen Konzerten mache, habe ich lange nicht mehr auf Platte gepackt. Deswegen war es wirklich an der Zeit, die Silberhochzeit mit sich selbst zu feiern - auch für die Zuhörer und Fans.
Wenn jetzt nach 25 Jahren ein neues Album herauskommt, ist da ja vielleicht auch ein gewisser Erwartungsdruck. Waren Sie vorher nervös, wie die Platte aufgenommen werden würde?
Meyer: Es gab schon eine Nervosität. Denn ich hatte die Platte schon im letzten September fertig, wollte aber gern, dass es die auch auf Vinyl gibt, also als Schallplatte im altmodischen Sinne. Deswegen musste ich recht lange warten, bis sie herausgebracht werden konnte.
Beim Warten habe ich mich gefragt: Ist das jetzt richtig? Es ist aber auch ganz gut, wenn man die Sachen etwas liegen lässt. Dann habe ich mir die Musik Anfang des Jahres angehört, als ich in Australien war. Ich bin mit meiner Freundin durch die Gegend gefahren und habe gedacht: Alles klar, das ist genau das, was ich haben wollte. Eine tolle Platte, um im Urlaub herumzufahren. Und weil sie mir selbst gefällt, bin ich auf der sicheren Seite. Denn wenn sie anderen Leuten nicht gefällt, muss ich nicht an mir selbst zweifeln.
"No. 2" ist stilistisch ziemlich heterogen. Man hört verschiedene Genres, von House über Disco, von Boogie bis Schlager. Dabei eint die Songs, dass sie meist warme und geschmeidige Melodien haben, groovy und tanzbar sind. Ich würde fast sagen: Sie drücken die pure musikalische Freude aus. Ihr Glas ist halb voll, oder?
Meyer: Ja. Ich mag es auch total gerne, wenn Künstler oder Künstlerinnen eine dunkle Kunst machen. Ich finde das als Konsument auch spannend, dass es diese ganzen Farben gibt und das reizt mich dann auch. Ich selber habe das Gefühl, dass ich die Leute am besten erreiche, indem ich ihnen Freude bereite. Mit dieser Aufgabe komme ich mittlerweile ganz gut klar und die nehme ich auch sehr ernst. Das heißt, ich will auf der Bühne eine Party feiern, mit den Musikerinnen und Musikern auf der Bühne und den Leuten im Publikum zusammen. Das soll auf dieser Platte auch übertragen werden: ein gutes Gefühl.
Ich habe den Eindruck, dass der Text dabei häufig mehr als Klangmittel funktioniert und es gar nicht unbedingt so sehr um den Inhalt der Worte geht.
Meyer: An diesen kurzen Texten, die vielleicht auch gar nicht so geplant sind, mag ich, dass sie Assoziation freisetzen. Genau wie bei dem Lied, was vielleicht am bekanntesten von mir ist, "Urlaub in Italien". Das ist ja nur eine Ahnung. Dadurch kann jeder seine eigenen Erfahrungen und Gefühlswelten mit aufnehmen.
"Urlaub in Italien" ist einer Ihrer Hits, der beim Live-Spielen entstanden ist. Sie improvisieren sehr viel, haben auch einmal für diese TED-Konferenz-Reihe aus den USA einen Vortrag darüber gehalten, wie Sie unvorbereitet auf die Bühne gehen und dann sozusagen aus nichts Gold machen. Haben Sie dabei nicht Angst vor einem Blackout?
Meyer: Ich habe keine Ahnung. Viele andere Menschen trauen sich Sachen, die ich mir im Leben nicht zutrauen würde: Allein durch die Alpen fahren, in Kriegsgebiete gehen oder auf eigene Kosten anderen Leuten zu helfen, wo es wirklich gefährlich wird für Leib und Leben. Ich habe halt diese harmlose, aber irgendwie gute Gabe, auf eine Bühne gehen zu können.
Mein Vater hat mich mit sieben Jahren auf eine Bühne geschleppt, zum 50. Jubiläum der Freiwilligen Feuerwehr in Saerbeck im Münsterland. Dort musste ich Witze vorlesen, und das hat mir total Spaß gemacht. Ich glaube, es hat mich darauf vorbereitet, was ich heute mache. Ich mag es richtig gerne, ganz nonchalant auf große Bühnen zu gehen, wie zum Beispiel bei Festivals, wo ein paar tausend Leute vor der Bühne stehen. Das ist schon wieder so absurd, dass ich es einfach toll finde, das erleben zu können. Ich habe meine Keyboards da, weiß, dass ich die Situation immer musikalisch retten kann, aber ich gucke erstmal: Was passiert hier eigentlich? Was passiert, wenn man vielleicht auch mal die Regeln bricht und nicht wie so ein Rockstar auf die Bühne kommt und überall gehen Feuerwerke los? Sondern man geht da einfach hin und sagt: Ich bin eigentlich wie einer von euch. Nur dass ich jetzt hier oben stehe und ihr da unten.
Sie sind kein Mensch der großen Gesten, keine Rampensau. Ein Kollege meinte einmal, sie wirkten fast ein bisschen linkisch. Haben Sie eine Idee, warum es trotzdem so gut funktioniert auf der Bühne?
Meyer: Ich weiß es auch nicht. Ich bin da ganz langsam und behutsam reingewachsen. Ich habe das früher auf Partys gemacht für Freunde, wurde dann auch mal gebucht für irgendwelche Kunstveranstaltungen. Dann gab es auch in der Techno- und Nachtleben-Szene Platz für mich. Und so wurden es immer mehr. Erst vor ein paar Jahren, mit Mitte 40, ging es los, dass ich auch mal an Orten wie dem Hamburger Stadtpark spiele. Da kommen dann wirklich sehr viele Leute zusammen, auch Familien mit Kindern. Ich finde das total herrlich, bin da aber einfach reingerutscht, ohne mir viele Gedanken darüber zu machen.
Bei diesen großen Bühnen will ich dann auch Kollegen und Kolleginnen dabei haben und nicht alleine stehen, denn das ist dann auch ein bisschen schwierig. Ich versuche, so entspannt wie möglich zu sein und bin trotzdem randvoll mit Adrenalin. Dann kann ich mich selber gar nicht mehr so mit Abstand sehen.
Wie im Rausch?
Meyer: Früher war das wirklich so, dass ich mich danach nicht mehr erinnern konnte. Dann kam nach dem Konzert jemand an und meinte: Du hast so ein tolles Lied über Bielefeld erfunden! Und ich so: Ich habe keinen blassen Schimmer, ich weiß es nicht mehr. Mittlerweile versuche ich, das mit einzufangen. Vor allen Dingen, wenn man mit anderen Menschen auf der Bühne steht, sich anlächelt, Spaß hat und es gute Momente gibt. Es hört sich kitschig an, aber das sind Sachen, die man gerne mit seinem Herzen fotografiert, dann in sich trägt und auch gerne teilt.
Das Gespräch führte Alexandra Friedrich.