Albertine Sarges an einem analogen Synthesizer. © NDR Foto: Mischa Kreiskott

Bunker.Lab Residency: Der analoge Synthesizer lebt - und wie!

Stand: 09.04.2024 06:00 Uhr

Der Hamburger Musikclub Uebel & Gefährlich bietet Residenzen im eigenen Synthesizer-Studio und anschließende Konzerte. Die Instrumente der 70er- und 80er-Jahre sind so gefragt wie lange nicht.

Beitrag anhören 6 Min

von Mischa Kreiskott

Die analogen Synthesizer versprechen einzigartige Klänge und verbreiten Aura und Charme der frühen Jahre elektronischer Klangerzeugung. Kurz: Sie stehen für Kraftwerk-Zauber. Nur wer kann so einen pflegeintensiven Instrumentenpark schon besitzen? Der Hamburger Musikclub Uebel & Gefährlich hat welche - und ein neues Projekt.

Schatzkammer kurz vor den Toiletten

Clubtoiletten sind magische Orte. Die des Uebel & Gefährlich im Hochbunker an der Feldstraße in Hamburg St. Pauli haben einen besonders rohen Charme. Dicke graffti-chaotische Betonwände, mächtige Stahltüren, auch tagsüber kaum Licht, wer hier nachts feiert, ahnt nicht, dass es kurz vor den Toiletten links in eine Schatzkammer geht. Selten wird man als Reporter mit einem Lied begrüßt.

Auftakt mit Albertines Sarges, Lo Selbo und Isabel Ment

Albertine Sarges, 'Izzy' Isabel Ment und Lo Selbo mit ihrem Setup neuer und historischer Synthesizer. © NDR Foto: Mischa Kreiskott
Albertine Sarges, 'Izzy' Isabel Ment und Lo Selbo mit ihrem Setup neuer und historischer Synthesizer. Schon das Spielgefühl beeinflusst den kreativen Prozess.

Albertines Sarges, man kennt sie aus den Bands von Kat Frankie oder Alli Neumann, probt hier mit Lo Selbo von der Ostia und "Izzi" Isabel Ment. Sie machen Auftakt bei der Bunker.Lab Residency. "Jeder bringt so drei bis vier Tracks mit, die aber alle noch ganz ungeschliffen, noch im Entwurfsstadium sind. Und diese rohen Entwürfe entwickeln wir jetzt hier, sie bekommen praktisch ein neues Gewand mit Synthesizern erstmalig für die Bühne", beschreibt Albertine die Arbeit im Klang-Labor. Die Drei sitzen sich gegenüber an unterschiedlichen Instrumenten mit Reglern, bunten, schwarzen und weißen Tasten und Schalttafeln.

"Ich sehe so ein Synthesizer-Studio wie eine Art Lego-Kollektion, wo du reingehst und erst mal denkst: Oh mein Gott, so viel Lego!", sagt Albertine. "Dann fängst du an, was zu bauen und plötzlich hast du etwas Sinnvolles konstruiert. So sind wir nach und nach zu dieser Konstellation an Instrumenten gekommen, womit wir alles umsetzen konnten, was wir mitgebracht haben."

Wie im Orchester, bei dem man die Besetzung selber bestimmt

"Izzi" Isabel Ment hat ihr Lieblingsinstrument aus der Sammlung gefunden: den Korg Lambda. Sebastian Lo Selbo wummert am legendären Minimoog. © NDR Foto: Mischa Kreiskott
"Izzi" Isabel Ment hat ihr Lieblingsinstrument aus der Sammlung gefunden: den Korg Lambda. Sebastian Lo Selbo wummert am legendären Minimoog.

Jedes der Instrumente spielt schließlich seine Rolle im Arrangement: Bässe, Melodien, Klangfarben - letztlich genau wie im Orchester, nur das man hier die Besetzung selber bestimmt. Die Räume, die Bass und Melodien entwerfen, füllt Izzy aus, mit den magischen Klängen eines legendären Synthesizers: "Der hier ist der ein ganz seltenes Exemplar eines wunderbaren Korg analog. Was ich an dem besonders liebe, sind die Flächen und dieser Knopf. Der heißt Chorus. Auch alle E-Pianos sind ganz toll, sie sind noch unterschiedlich regelbar - und das macht sehr viel Spaß!"

Haptik macht die alten Synthesizer bis heute so beliebt

Es ist dieses Unmittelbare, die Möglichkeit jederzeit haptisch über Regler und Schieber in die Klangerzeugung einzugreifen, die diese alten, pflegeintensiven Klangerzeuger bis heute so beliebt macht. Viele kosten inzwischen hohe fünfstellige Summen. "Die Verfechter des analogen Synthesizers sagen natürlich, dass, nichts die Emotion so gut einfängt wie ein analoges Instrument", sagt Izzy. "Es ist wie ein Lebewesen, das atmet. Es ist nicht immer ganz gestimmt, es wabert ein bisschen - ich finde das macht die ganze Magie aus, vor allem Oberheim hat so viele Emotionen, da sage ich immer: Emotion in the Ocean. Wir haben was von Moog, wir haben was von Roland, wir haben was von Korg, also wir haben wirklich die Creme de la Creme hier!"

Was einzigartig klingt und toll aussieht, darf bleiben

Sunny Vollherbst ist der Meister der Bunkerinstrumentenkollektion, die größtenteils aus den Beständen des inzwischen geschlossenen Altonaer Geschäfts Subraum stammt. Die Geräte stapeln sich jetzt bis zur Bunkerdecke - der Hüter der Sammlung muss genau auswählen: "Es darf halt nur das Instrument bleiben, was erstens einzigartig klingt, zweitens toll aussieht und drittens halt auch eine Geschichte hat."

Analoge Synthesizer müssen gereinigt und gestimmt werden

Malte von der Lancken organisiert die Bunker.Lab Residenz (links). Sunny Vollherbst ist technischer Leiter des Uebel & Gefährlich und Analogliebhaber. © NDR Foto: Mischa Kreiskott
Malte von der Lancken organisiert die Bunker.Lab Residenz (links). Sunny Vollherbst ist technischer Leiter des Uebel & Gefährlich und Analogliebhaber.

Sunny hält die empfindlichen Lebewesen in Schuss. Er lötet, reinigt und stimmt - ja das muss man, bei analogen Synthesizern: "Aber genau das macht ja den Klang lebendig, dass diese drei Oszillatoren, die analogen Klangerzeuger, alle so ein bisschen 'herumeiern', atmen und dann kommen halt schwebende Flächen zustande und ohne dieses Instabile würde er halt auch nicht so toll klingen!"

Sebastian, Lo Selbo, spielt die Bässe am Minimoog. "Der ist einer der berühmtesten Synthesizer der Welt", erklärt er. "Der kann immer nur einen Ton gleichzeitig spielen, aber das kann er sehr, sehr gut!"

Minimoog in Songs von Yes, Kraftwerk und ABBA zu hören

1970 stellte Robert Moog den Mini vor, das erste Instrument, dass in Serie gebaut wurde und in einen Kofferraum passte. Rick Wakeman von Yes hatte Moogs auf der Bühne, der Jazzmusiker Sun Ra, Kraftwerk, Hans Zimmer, Air, Jean Michel Jarre, ABBA - man hört ihn in unzähligen Songs. "Der hat so viel Dreck mit in dem Ton", meint Sebastian. "Viele Computer versuchen das nachzumachen, das geht wahrscheinlich auch irgendwie, aber hier muss man sich nur davorsetzen und der Klang ist da."

"Analoge Instrumente bedeuten auch Spontanität"

Wenn man die drei beim Improvisieren beobachtet, ist er schon zu erkennen, der Regelkreis aus Instrumenten, Klängen und Musikideen. Beim Konzert im Turmzimmer des Bunkers soll genau das auch sichtbar werden. "Da wir in dieser Konstellation noch nie gespielt haben, können wir spontan Dinge auf der Bühne machen, die sonst nicht möglich sind", sagt Izzy. "Analoge Instrumente bedeuten eben auch Spontanität. Und da die Bühne in der Mitte des Raums sein wird, können die Leute um uns herum schauen, was wir da überhaupt machen."

Bunker.Lab bringt versteckte Studioarbeit auf die Bühne

360-Grad-Konzert heißt das. Die Idee zum Bunker.Lab hatte Uebel & Gefährlich-Booker Malte von der Lancken. Warum nicht die versteckte Studioarbeit im Bunker auf die Bühne bringen? Die Gäste, die er einlädt, sollen das breite Spektrum des Clubs abbilden: Techno, HipHop, Jazz, Rock. "Wir haben quasi mit den vorgegebenen Synthesizern, die den roten Faden ergeben, schon einen großen Sound-Akzent gesetzt", sagt er. "Die Idee ist, aus verschiedenen Ecken Leute einzuladen. Dadurch macht jeder ein bisschen was anderes daraus und es klingt jedes Mal anders."

Ende April kommen dann Produzent Farhot, der für Nneka, Lizzo und Haftbehl arbeitet und der Jazz-Keyboarder Moses Yoofee, Leiter der Band von Peter Fox. Mit der üppigen Bunkersammlung werden sie noch ganz andere Synthesizer-Sphären entstehen lassen.

Weitere Informationen
Blick auf den Grünen Bunker am Heiligengeistfeld (September 2023) © picture alliance/dpa Foto: Markus Scholz

Musikclub Uebel & Gefährlich in Hamburg

Homepage und Veranstaltungen im Musikclub im Flakturm IV auf dem Heiligengeistfeld. extern

Musikerin Albertine Sarges mit Moderatorin Charlotte Oelschlegel vor einer Hecke © NDR Foto: NDR

NDR Kultur Neo: Die große Vogelshow mit Musikerin Albertine Sarges

Die große Vogelshow zum Frühlingsanfang mit Musikerin Albertine Sarges mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 09.04.2024 | 06:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Rock und Pop

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Porträt von Philipp Schmid © NDR Foto: Sinje Hasheider

Philipps Playlist

Philipp Schmid kennt für jede Lebenslage die richtige Musik. Egal ob Pop, Klassik oder Jazz. Träumt Euch zusammen mit ihm aus dem Alltag! mehr

Peter Urban © NDR Foto: Andreas Rehmann

Urban Pop - Musiktalk mit Peter Urban

Spannende Stories, legendäre Konzerte, bewegende Begegnungen: Peter Urban hat viel erlebt und noch mehr zu erzählen. mehr

Mehr Kultur

Zwei Männer und zwei Frauen in Glitzerkostümen umgarnen eine blonde Frau im blauen Kostüm. © Schmidt Theater / Morris Mac Matzen Foto: Morris Mac Matzen

"Winterglitzer": Fröhliche Abwechslung für nasskalte Abende

Die Revue im Hamburger Schmidt Theater verbreitet mit Comedy, Akrobatik und Musik famosen Unsinn - und gute Laune. mehr