NDR Musikredakteur Matthes Köppinghoff steht vor seinem Plattenregal. © NDR

Von The Boss bis Ziggy Stardust: Männlichkeitsbilder in der Popmusik

Stand: 17.11.2022 12:54 Uhr

"Männer sind Schweine!" haben die Ärzte gesungen. Inszenierung von Männlichkeit in der Popmusik: Es braucht einen zeitgenössischen Blick auf Männlichkeitsbilder. Matthes Köppinghoff hat ein paar Alben zur Hand.

von Matthes Köppinghoff

"Männer sind Schweine!" Das sangen die Ärzte 1998. Aber ist es "a Man's World", wie es James Brown 1966 behauptete, und wie soll die aussehen? Und gilt das The Cure-Kredo "Boys Don’t Cry" von 1980 immer noch? "Neue Männer braucht das Land" sang hingegen Ina Deter 1982. Vielleicht braucht es hier stattdessen einen zeitgenössischen Blick auf Männlichkeitsbilder. Von früher über zwischendrin bis in die Jetztzeit, Matthes Köppinghoff hat ein paar Alben aus seinem Plattenregal gezogen.

Das Chamäleon des Rock: David Bowie - Ziggy Stardust

Eine Schallplatte liegt auf einem Tisch © NDR/ Matthes Köppinghoff
David Bowie - Ziggy Stardust (1972)

"I’m gay, and always have been." Mit solchen Aussagen schockiert man heute glücklicherweise in der Popmusik niemanden mehr. Doch am 22. Januar 1972 erstarrte die Popwelt: Was hatte David Bowie da gegenüber der britischen Musikgazette Melody Maker behauptet? Bowie, das Chamäleon des Rock und Pop, liebte das Spiel mit verschiedenen Identitäten, auch mit Geschlechterrollen.

Später wurde ihm seine Bisexualität als Marketingmasche ausgelegt. Dennoch: Der Glam, das Androgyne, die Schminke, das Experimentieren mit Klamotten - verbunden mit seinen Songs, prägte Bowie die Musik, wie kaum jemand anders. Bis heute ist er ein Paradebeispiel für Ausbruchversuche in der Männlichkeit.

Männlichkeit als Facettenreichtum: Lou Reed - Transformer

Eine Schallplatte liegt auf einem Tisch © NDR/ Matthes Köppinghoff
Lou Reed - Transformer (1972)

"Shaved her legs, and then he was a she..." sang Lou Reed in "Walk On The Wild Side" über Transvestiten und Homosexuelle der 60er und 70er in New York, rund um Andy Warhols "Factory". Schon während seiner Zeit bei The Velvet Underground bevorzugte Reed Lederoutfits, sein kommerzieller Durchbruch erfolgt anschließend solo.

Widersprüchlich, unvorhersehbar, streitlustig - ein mitfühlender Pessimist mit Leidenschaft für Literatur. Männlichkeit als Facettenreichtum - übrigens nicht nur im angesprochenen Song und dem fantastischen Album "Transformer", sondern auch in seinem kompletten Oeuvre.

"Wann ist ein Mann ein Mann?": Herbert Grönemeyer - 4630 Bochum

Eine Schallplatte liegt auf einem Tisch © NDR/ Matthes Köppinghoff
Herbert Grönemeyer - 4630 Bochum (1984)

"Männer haben's schwer, nehmen's leicht / außen hart und innen ganz weich." Was denn jetzt: Sind Männer nun verklemmte Chauvinisten, oder doch stets falsch verstanden und müssen mal dringend in den Arm genommen werden?

Die ironische Betrachtung und die offen gelassene Frage "Wann ist ein Mann ein Mann?" war für Herbert Grönemeyer der Durchbruch. Sein Song "Männer" samt dem dazugehörenden Album "4630 Bochum" sind Klassiker der deutschen Popmusik.

Spiel mit der Mehrdeutigkeit: Prince - Parade

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Prince - Parade (1986)

"Am I black or white, am I straight or gay? Controversy!" Zugegeben stammt das von Prince 1981er-Album "Controversy" und nicht dem abgebildeten "Parade", dennoch war der Künstler schon Anfang der Achtziger eine Ikone der LGBTI*-Kultur. Queer, mal mit Strapsen oder geschminkt, dann aber auch gern maximal bauchnabelfrei wie im Video zu "Kiss", ließ er immer offen, wie seine sexuelle Orientierung denn nun wirklich aussah.

Das Spiel mit dem Mehrdeutigem und der Androgynität, in Verbindung mit der unglaublich vielschichtigen Musik macht den Reiz an Prince aus. Um die Jahrtausendwende wurde Prince Zeuge Jehovas, sein neuer Glauben war nicht mehr vereinbar mit seinem Image und den sexuellen Anspielungen. Sogar Homophobie wurde ihm vorgeworfen, und: seine Alben wurden dazu auch schlechter.

Wandel bei den Beastie Boys - Licensed To Ill

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Beastie Boys - Licensed To Ill (1986)

Ursprünglich sollte die Platte "Don't Be A Faggot" heißen, den Song "Girls" haben die Beastie Boys übrigens nie live aufgeführt. Zu Beginn ihrer Karriere ging es schwer pubertär zu, später gab es auch Entschuldigungen seitens Ad-Rock, MCA und Mike D für den anfänglich geplanten Albumtitel und das vorherrschende Frauenbild.

Doch nicht nur bei den Beastie Boys gab es Stereotypen. Hip-Hop hat bis heute ein recht homophobes, misogynes Image: Das Positionieren als extrem heterosexueller Mann-Mann ist mehr als nur ein Stilmittel. Immerhin gab es bei den Beastie Boys schon bei dem folgenden Album einen Wandel, so gilt "Paul's Boutique" als Meilenstein des Hip-Hop - und die Band engagierte sich über Jahre für Frauenrechte.

Subversive Gesellschaftskritik: Pet Shop Boys - Actually

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Pet Shop Boys - Actually (1987)

Laut Benjamin von Stuckrad-Barre ist das Werk von Neil Tennant und Chris Lowe doch "eine Sammlung von Antworten auf die Welt". Oder auch: "Die Pet Shop Boys haben für jede Lebenslage ein Lied geschrieben." Zum Beispiel "Rent" vom Album "Actually", darin geht's um eine finanziell einseitige Beziehung.

Das Synth-Pop-Duo widersetzt sich seit Jahren der Schublade, eine "schwule Band" zu sein - obwohl sie es sind. Vielmehr wollen sie vielseitig, vielschichtig und universell sein, und das sind die Pet Shop Boys auf jeden Fall. Ihre etlichen Hits stecken voller künstlerischer Raffinesse sowie subversiver Gesellschaftskritik.

Ikonen einer Generation: Nirvana - MTV Unplugged In New York

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Nirvana - MTV Unplugged In New York (1994)

In die Liste der 100 größten Musiker aller Zeiten des Rolling Stone schafften es gerade mal acht weibliche Sängerinnen und Bands. Kurt Cobain hat so etwas genervt, wie auch Homophobie, oder wenn Schwächere... Wenige Jahre nachdem posende Über-Männer wie Axl Rose Stadien füllten, brachte er die innerliche Verunsicherung in den Rock.

Breitbeiniger Sound, ja, Gefühle zeigen aber auch. Als Mensch, als Mann, darf man auch mal leiden, am Ende sein und darüber singen. Oder in Kurts Fall schreien. Cool und kaputt, damit wurde Cobain zur Ikone für eine Generation. Wer die volle Dröhnung Nirvana-Gefühl haben möchte, hier der Anspieltipp "Where Did You Sleep Last Night" vom legendären MTV Unplugged.

Maskuline Boys-Gang der alten Schule: The Strokes - Is This It

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The Strokes - Is This It (2001)

Verwegene Typen in schwarzen Lederjacken, zu engen Hemden und sehr enganliegenden Jeans: Das Bild eines männlichen Rockstars ist auch ein modisches. Die Indie-Rocker The Strokes sind beim besten Willen nicht die letzte Rockband, die das so durchgezogen hat, aber die Positionierung als maskuline Boys-Gang der alten Schule hat in den letzten zwei Jahrzehnten nachgelassen.

Auch wenn es schrammelnde Gitarren bis heute gibt. Das abgebildete Cover durfte die Band zu Hause in den USA übrigens so nicht veröffentlichen, im Rest der Welt dagegen schon.

"Bin ich was, was du nicht kennst": Tocotronic - Die Unendlichkeit

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Tocotronic - Die Unendlichkeit (2018)

"Bin ich was, was du nicht kennst, dass du mich Schwuchtel nennst / ist mein Stil zu ungewohnt, für den Kleinstadthorizont". Kommerziell ist in der deutschen Popmusik Hip-Hop seit Jahren dominant; als Indie-Schluffi-Band muss man sich da auch erst mal positionieren.

Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow singt in "Hey Du" vom Album "Die Unendlichkeit" über das, was sich in Großstädten vermeintlich schon gebessert hat, im Ländlichen jedoch nicht: Als Mann erwartungsfrei so sein zu dürfen, wie man es möchte, egal ob als ziemlich testosterongeladener Cis-Mann oder belesener, ruhiger, weltoffener Indie-Musiker.

Bruce Springsteen - Born In The USA 1984

Warum ist das siebte Album vom Boss sein meistverkauftes: Durch die Hits "Born In The U.S.A", "I'm On Fire" und "Dancing In The Dark" - oder weil sein Hintern in Bluejeans das Plattencover ziert? Bei der Fotosession zur Hülle gab es übrigens auch Fotos von seinem Gesicht, doch man entschied sich für Springsteens Hinterteil. Böse oder toxisch männlich ist das nicht, aber natürlich zählt Bruce Springsteen zu den klassischen, breitbeinigen, sehr maskulinen Rockern.

Ein Mann aus der Arbeiterklasse! Jemand der anpackt, die Ärmel hochkrempelt und das Musikmachen noch als körperlichen Job versteht! Aber der Boss ist auch deshalb der Boss, weil er sich gerade macht und bis heute dafür sorgt, dass sein "Born In The U.S.A." nicht missbraucht wird - beispielsweise in amerikanischen Wahlkämpfen.

Sexsymbol mit Vorbildfunktion: Harry Styles - Harry's House

Eine Schallplatte liegt auf einem Tisch © NDR/ Matthes Köppinghoff
Harry Styles - Harry's House (2022)

Vielleicht ist Harry Styles der aktuell der größte Pop-Star der Welt. Scheidungskind, einstiges Boyband-Mitglied, heute reichster britischer Promi unter 30. Daneben ist er auch eine Stilikone: Ihm ist es völlig egal, ob er einen Anzug oder einen Rock trägt. So schaffte er es als erster Mann (im weißen Kleid) auf das Cover des Vogue-Magazins.

Neben den Outfits, der hervorragenden wie auch spannenden Musik, inspiriert von Funk, R&B, Rock und Pop, begeistert Styles also sowohl Kritiker*innen wie auch seine Fans. Die sind vermeintlich nicht nur Teenies - auch die Eltern kommen mit zu den Konzerten (und finden es gut). Bei den Auftritten wird einbezogen, interagiert, gefeiert, geliebt, akzeptiert. Für sein Publikum ist Harry Styles ein Sexsymbol mit Vorbildfunktion, zeitgeistig wie kaum ein anderer Künstler.

Weitere Informationen
Eine Montage mit den Beatles und Harry Styles (rechts). © Picture Alliance / ASSOCIATED PRESS / Photoshot

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 17.11.2022 | 16:00 Uhr

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