Annett Louisan feiert 20 Jahre ihres Debütalbums "Bohème"
Vor 20 Jahren gelang Annett Louisan der Durchbruch. Seitdem ist die Sängerin aus der deutschen Popszene nicht wegzudenken. Wie sich ihre besondere Stimme und ihr Leben als Mutter verändert haben, erzählt sie Yared Dibaba beim Studiokonzert.
Als damals 27 Jahre alte Kunststudentin und Studiomusikerin brachte Annett Louisan mit spielerischer Leichtigkeit Chanson, Jazz und Pop zusammen. 2004 kam ihr erfolgreiches Debütalbum "Bohème" heraus, das sich mehr als eine halbe Million Mal verkaufte. Inzwischen hat die 47-Jährige zehn Studioalben veröffentlicht und zahlreiche Tourneen veranstaltet.
In diesem Jahr feiert die Wahlhamburgerin deutschlandweit 20 Jahre "Bohème", auf dem auch ihr Song "Das Spiel" erschienen ist. Dieser hielt sich 19 Wochen in den deutschen Singlecharts und zählt zu Louisans größten Erfolgen.
Ich erinnere mich noch genau daran, wann und wo ich das Lied zum ersten Mal hörte. Der Text von "Das Spiel" provozierte und blieb im Gedächtnis. Wie bewertest du die Resonanz, die du damit erzeugt hast?
Annett Louisan: Es war ein Album, ein Lied seiner Zeit. Ich habe "Das Spiel" immer als sehr feministisch empfunden. Es war der Feminismus Anfang der 2000er-Jahre. Das Lied erzählt von einer Frau, die sich in eine Rolle steckt, die man eher einem Mann zuschreibt. Das war das Ungewöhnliche. Das wäre es heute nicht mehr, aber es hat viel gemacht.
Ich habe den Leuten damit einen Spiegel vorgehalten. Die waren verwirrt. Ich habe alles gehört: Ist sie nun männerfeindlich, frauenfeindlich? Oder was ist sie denn? Aber sie sieht doch gar nicht so aus! Hä? Dieses Lolita-Image, das hat dem Ganzen noch das I-Tüpfelchen aufgesetzt. Man war komplett verwirrt. Das fand ich richtig gut.
Es wirkte sehr selbstbestimmt und auch empowert, wie man heute so schön sagt.
Louisan: Ich sah nicht so aus, als würde ich solche Texte singen. Das war so ein Denkzettel. Das hat die Leute ein bisschen durcheinander gebracht, und das war schon schön.
Ich glaube, das war auch dein Erfolgsrezept. Ich habe im Zuge der Vorbereitung auf unser Gespräch das Album noch einmal gehört, habe mir nochmal Konzerte angeschaut. Da ist mir aufgefallen, dass Du immer noch in derselben Tonart singst. Aber deine Stimme hat sich trotzdem verändert. Die ist, finde ich, fester, kräftiger geworden. Sie klingt nicht mehr nach diesem Lolita-Image. Das würden jetzt viele vielleicht aufs Alter beziehen. Aber ich glaube, das hat etwas mit Reife zu tun, die sich über 20 Jahre entwickelt hat. Wie empfindest du diese Veränderung?
Louisan: Ich glaube, dass man einer Stimme sehr viel anmerkt, nicht nur dem Gesicht. Die Stimme zeigt, ob man sich wohlfühlt oder nicht. Darüber wird viel zum Ausdruck gebracht. Ich mag meine Stimme heute lieber als früher. Wenn ich die Aufnahmen von damals höre, denke ich "wie süß". Das war alles richtig. Aber ich merke, dass da heute mehr Farben sind. Das ist auch ein tolles Geschenk vom Leben.
2017 bist du Mutter geworden. Wie hat das dein Leben verändert?
Louisan: Komplett. Es hat mich und mein Leben komplett verändert, zum Besseren. Es ist eine unglaubliche Reise, ist spirituell. Es macht viel mit einem Menschen, wenn man das zulässt. Viele Schubladen hat das Muttersein bei mir noch einmal aufgemacht. Ich muss da noch mal reinschauen, ein bisschen was hinterfragen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so eine Mutter bin.
Was bist du denn für eine? Das wüsste ich jetzt gerne.
Louisan: Ich bin eine ängstliche Mutter. Ja, das würde ich sagen, wenn ich mit dem Negativen anfangen müsste. Aber Gott sei Dank gibt es Mutter und Vater. Das ist das Schöne. Wenn es möglich ist, hat man dadurch einen Ausgleich. Es gibt immer positive oder negative Aspekte, die man mitbringen kann.
Ich kann mir schon vorstellen, dass man sich als Eltern Sorgen macht. Das Elternsein ist immer präsent.
Louisan: Ich habe mir noch nie so viele Sorgen in meinem Leben gemacht. Und sogar um mich selbst mache ich mir jetzt mehr Sorgen. Das kannte ich bisher nicht.
Das hat ja auch etwas mit einer gewissen Verantwortung zu tun. Hat das auch Einfluss auf deine Kreativität? Und wenn ja, in welcher Form?
Louisan: Ich weiß meine Zeit jetzt viel mehr zu schätzen. Es ist ein anderes Zeitgefühl entstanden als Mutter. Auch die Tagesabläufe haben sich verändert. Dann genießt man diese Stunde, die man für sich hat. Das Musikmachen bekommt eine Qualität. Das ist Luxus.
Das Gespräch führte Yared Dibaba. Annett Louisan spielt vom 25. bis 29. September fünf Konzerte im Hamburger St. Pauli Theater. Am 14. Oktober tritt sie in Hannover im Theater am Aegi auf und am 17. Oktober im Europa-Saal der Osnabrück-Halle.