Die "Alpensinfonie" erobert: Reinhold Messner beim SHMF
Er hat die höchsten Berge der Welt bestiegen. Nun begibt sich der Extrembergsteiger Reinhold Messner auf dem SHMF musikalisch begleitet von Richard Strauss' "Alpensinfonie" zu den Stationen seines Lebens.
Dieses Zusammentreffen ist schon von Weitem zu hören: Auf der Bühne der Thormannhalle in Rendsburg, Schleswig-Holstein, zwei Giganten: Reinhold Messner, Riese des Alpinismus und die "Alpensinfonie", das letzte großen Werk von Richard Strauss.
Messner lässt sich von Andris Poga "dirigieren"
Der Blick auf die Bühne ist eindrucksvoll: 120 junge Musikerinnen und Musiker aus aller Welt sitzen eng gedrängt mit ihren Instrumenten. Darunter: zwei Harfen, vierfach besetzte Bläser, ein Heckelphon, vier Wagnertuben, Orgel, Wind- und Donnermaschinen, Herdengeläute, jede Menge Streicher. Es ist das Festivalorchester des Schleswig-Holstein Musikfestivals.
Eine ungewohnte Rolle für Reinhold Messner, der auf seinen Einsatz wartet. Er erhebt sich auf Zeichen des Dirigenten, kämpft mit seiner Stimme gegen das gewaltige Orchester an. In der Generalprobe klappt das nur bedingt.
Erinnerungen verschmelzen zu einem großen Ganzen
An mehr als 20 Stellen der Sinfonie erinnert sich Messner an Sonnenaufgänge, Irrwege und Momente auf dem Gipfel.
Aber wie passen fast acht Jahrzehnte Extrembergsteigen in einen Abend? Messner hat eine ganz eigene Form der Erzählung gefunden. Bilder auf seinen Handzetteln helfen ihm, die Emotion zu spüren.
"Natürlich sind viele Erinnerungen inzwischen überlappend in mir vorhanden: Ich habe etwas am Everest erlebt, etwas am Nanga Parbat. Aber im Großen und Ganzen sind die einzelnen Stücke noch da", erzählt er am Rande der Proben für die Auftritte im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Ihm aber sei nicht wichtig, die eine Erinnerung etwa vom Mont Blanc im Gedächtnis zu haben. Sie könne sich auch vermischen mit anderen ähnlichen Erfahrungen, die dann zu einer tiefgehenden Erfahrung geworden ist.
Musik und Text müssen sich perfekt ergänzen
Für Dirigent Andris Poga erfordert das viel Fingerspitzengefühl: "Messner improvisiert jedes Mal. Ich muss also den richtigen Moment fühlen, um die Musiker spielen zu lassen." Manchmal trage Messner die Texte in der Stille vor, manchmal zur Musik. "Das muss sich ergänzen. Es ist wie eine Oper zu dirigieren", erklärt der lettische Dirigent.
Auch für die Musiker eine besondere Erfahrung. Die 25 Jahre alte Konzertmeisterin Anaïs Saucier-Lafond ist dafür aus Kanada angereist. Sie findet, dass Bergsteiger und Musiker Gemeinsamkeiten haben: "Wir nehmen jahrelang Musikunterricht bis wir die Chance bekommen vorzuspielen. Das kann man vielleicht mit Bergsteigen vergleichen: Du musst selbstbewusst sein, du musst das Ziel vor Augen haben. Du darfst nicht zurückschauen."
Nach jeder Bergtour ein anderer Mensch
Einiges lässt sich aus diesem Zusammenspiel mit Messner lernen. Zum Beispiel, dass eine Bergtour erst dann gelungen ist, wenn man wieder unten angekommen ist. Und, warum Messner nach jedem Überlebenskampf in der Höhe als ein anderer zurückkommt. So heißt es auch in einem seiner Texte: "Und es ist diese Wiedergeburt in mir, die mir klarmacht, dass ich das Leben noch vor mir habe."
Ein Wagnis für Messner
"Ich wünsche mir nur, dass die Menschen, die das hören emotional nachempfinden können, was ich sage", erklärt der 79-Jährige. Natürlich sei die Musik die stärkere Seite, auch der längere Teil. "Aber ohne diese Texte haben viele Menschen, die selber nie am Berg waren, keinen Zugang dazu." Die "Alpensinfonie" sei lange Zeit nicht unbedingt ein Lieblingsstück gewesen bei Festivals. "Jetzt kommt das mehr und mehr und es wird auch mehr und mehr gesucht und anerkannt."
Das Projekt war ein Wagnis für den Extrembergsteiger, der gar keine Noten lesen kann. Auch das hat er bezwungen. "Für mich ist es eine neue Form des Erzählens. Ich werde es in Zukunft bei Einladungen, nicht häufig, aber zwei, drei Mal im Jahr machen", kündigt er an.