SHMF: Komponistin Lisa Streich will Zeit und Raum auflösen
Im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals wurde zum 35. Mal der Hindemith-Preis vergeben. Preisträgerin in diesem Jahr: die Schwedin Lisa Streich. Ausgezeichnet wurde sie für ihr handwerklich überragendes Niveau, so die Jury.
Zeit und Raum für ein paar Momente auflösen - nicht mehr und nicht weniger möchte Lisa Streich mit ihren modernen Kompositionen erreichen: "Musik kann nie explizit etwas ausdrücken, aber ich finde, es gibt die Momente, in denen Kunst oder Musik einem den Moment schenken können, indem man das Leben oder die Welt für einen Moment begreifen kann. Wenn ich das einem Menschen schenken könnte, wäre das wunderbar", sagt Lisa Streich.
Um das zu schaffen, streifen ihre Werke oft die Extreme durch schnelle Tempowechsel und Dissonanzen. Inspiriert wird die 39-jährige Lisa Streich vor allem durch die banalen Dinge des Alltags, erzählt sie: "beiläufig beim Leben, beim Rezipieren, beim Hören, beim Denken. Es ist natürlich von menschlichen Relationen geprägt oder auch von dem, was in der Welt passiert - der Einfluss von allem, was es in meinem Leben gibt."
Lisa Streich: "Das Orchester ist wie ein Monster"
Die Komponistin spielt Geige und Klavier und hat Orgel studiert. Ihre Stücke schreibt sie aber für ganze Orchester. Erst kürzlich hat sie ein Trompetenkonzert arrangiert. Ihre Werke werden europaweit aufgeführt. "Je mehr, desto besser. Ich arbeite mit großen Akkorden - je größer, desto mehr kann man in die Harmonie gehen oder in die Akkorde und die ausarbeiten", erklärt Streich. "Zum anderen ist das Orchester ein so großer Apparat - wie ein riesiges Tier, wie ein Monster. Das ist so spannend."
Wichtig ist für sie aber vor allem das Publikum. Ihre Musik soll möglichst viele Menschen ansprechen und nicht nur andere Musiker und Experten, sagt sie. Denn manchmal habe sie das Gefühl, dass gerade moderne Musik nur für Kollegen geschrieben wird. "Mir liegt es sehr am Herzen, dass auch Nicht-Musiker im Publikum sitzen und dass alle Altersgruppen abgedeckt sind - alle Berufsgruppen am besten auch. Ich glaube, das ist leider überhaupt nicht so, aber die Vielfalt ist größer in den größeren Häusern, habe ich das Gefühl", sagt Streich. "Mir geht es auch darum zu sehen: Was macht die Musik mit Menschen, die ein ganz anderes Leben haben als ich selber? Wenn es etwas mit einem Zuhörer macht, dann gibt es einem den Mut, weiterzumachen."
Einmal um die Welt auf Gotland
Lisa Streich ist in Schweden geboren und in der Nähe von Hamburg aufgewachsen. Studiert hat sie in Berlin, Stockholm, Salzburg, Paris und Köln. Mit ihrem Mann und ihren drei Kindern lebt sie auf der schwedischen Ostseeinsel Gotland, denn am Meer zu leben, ist ihr wichtig. "Das ist ein spannender Ort, weil er gar nicht so schwedisch wirkt", erklärt sie. "Man sagt, man kann um die Insel fahren und gleichzeitig um die ganze Welt kommen, weil die Küsten so unterschiedlich aussehen. Es ist tatsächlich so."
Auf Gotland ist auch ihr Streichquartett "Sternenstill" entstanden, 2020, zu Beginn der Pandemie: "Ich lebe sehr nah am Flughafen. Normalerweise flogen immer sehr viele Flugzeuge über mein Haus. Das fiel auf einmal ganz weg. Es war eine ganz andere Stille. Dadurch gab es eine ganz andere Ruhe, die Natur anzusehen, wahrzunehmen und zu schauen. Dann habe ich gemerkt, dass Schmetterlinge, wenn die sich auf eine Blume setzen, ihre Flügel sehr langsam bewegen. Das hatte ich nie gesehen vorher. Darum geht es eigentlich in dem Stück."
Kompositionsauftrag und Preisgeld
"Sternenstill" wurde in Kiel gespielt, als Lisa Streich den Hindemith-Preis bekommen hat. Mit Hindemiths Musik selbst verbindet sie nicht viel, sagt sie, "aber bestimmt haben wir mit ähnlichen Kompromissen oder Träumen oder Problemen gearbeitet." Das Preisgeld sind 20.000 Euro - und die Komponistin bekommt den Auftrag für ein neues Werk. Das soll im nächsten Jahr beim Schleswig-Holstein Musik Festival uraufgeführt werden. Was sie mit dem Preisgeld macht, weiß sie noch nicht. Ihre drei Kinder wüssten schon etwas: Sie wünschen sich einen Jacuzzi im Garten.