Vienna 1913: Kilian Herold und Hansjacob Staemmler
Fast vergessene Musik und die klassische Moderne - die Musik dieser Epoche haben sich Klarinettist Kilian Herold und der Pianist Hansjacob Staemmler auf die Fahne geschrieben.
Kurz vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich in Paris, Sankt Petersburg, Berlin und Wien eine Avantgarde, die die Musikgeschichte prägen sollte. Komponisten wie Alban Berg, Arnold Schönberg und Igor Strawinsky brachen mit alten Konventionen und schufen bislang Unerhörtes: die Geburt der klassischen Moderne in der Musik. Auf ihrem Album "Vienna 1913" widmen sich der Klarinettist Kilian Herold und der Pianist Hansjacob Staemmler dieser ungemein fruchtreichen Epoche. Entdeckt und erstmals eingespielt haben sie dabei auch eine Sonate des weitgehend vergessenen Komponisten Egon Kornauth. Bei NDR Kultur haben sie dieses Werk und andere Kompositionen vorgestellt, welche die musikalische Aura im Wien des frühen 20. Jahrhunderts spürbar machen.
Ihr Beiden seid ein wirklich gut eingespieltes Team und ihr habt schon gemeinsam ein Album veröffentlicht: "Composing Beethoven". Kürzlich ist euer zweites Album erschienen, "Vienna 1913", es geht also um die Musikmetropole Wien im Jahr 1913. Darüber wollen wir sprechen, denn ihr spielt Sachen daraus, unter anderem ist auf dem Album eine Weltersteinspielung von Egon Kornauth. Ehrlich gesagt, ist das jemand, der mir gar kein Begriff war. Wie seid ihr denn auf diese Sonate gekommen?
Hansjacob Staemmler: Egon Kornauth ist tatsächlich in der Versenkung verschwunden. Das war eigentlich ein ganz bekannter und vielgespielter Komponist. Für uns ist es eine Entdeckung der Corona-Zeit gewesen. Wir wohnen beide in Freiburg, wir sind sogar fast Nachbarn. Die erzwungene Pause in der Corona-Zeit haben wir genutzt, um diesen Schatz zu heben, der in Klarinettisten-Kreisen kursiert, aber keiner spielt ihn wirklich. Wir hatten einfach mal Zeit, das zu proben und haben festgestellt, dass es ein ganz großartiges Stück ist, ein wirklich spätromantischer Schinken. Der füllt eine Lücke aus, die im Klarinetten-Repertoire besteht und macht einfach Spaß.
Ich finde das wirklich klasse, dass ihr das aus der Versenkung geholt habt. Das ist auch ein Stück, wo für den Pianisten ordentlich was drin steckt. Du begleitest Kilian nicht nur, sondern es ist wirklich absolut auf Augenhöhe, oder?
Staemmler: Es ist auf jeden Fall ein Duo-Stück, eine Sonate für Klarinette und Klavier, und ich höre da sogar ganz viel Orchester raus. Es ist total orchestral geschrieben. Da klingt Strauss raus und Mahler und die ganzen Einflüsse, die es damals gab. Es macht einfach physisch Freude, das zu spielen.
Vielleicht merkt man auch, dass Egon Kornauth offenbar auch selber Pianist war.
Staemmler: Der hat auch Klavier gespielt, wo er auch sehr gut ist, und er ist vor allem als Pianist weltweit getourt. Er hat ein Klaviertrio gehabt und ist als Virtuose durch die Gegend gereist.
Das ist eines der zentralen Stücke auf eurem Album "Vienna 1913", also Wien 1913. Warum Wien? Warum 1913?
Kilian Herold: Ich denke, das ist einfach ein unglaubliches Jahr. Gerade auf musikalischer Ebene ist es auch das Jahr der Skandale, das muss man auch sagen. In Paris gab es den großen Skandal mit Strawinskys "Le sacre du printemps", in Wien 1913 gab es das berühmte Watschenkonzert, wo zwei Lager sich gegenseitig in einem öffentlichen Konzert ausgebuht haben und am Schluss endete es in einer Ohrfeige. Es waren auch die Werke der Komponisten, die auf dieser CD zu hören sind, zum Beispiel Alban Berg. Die Stadt Wien um 1913 war voll mit Einflüssen, die gleichzeitig stattgefunden haben, die sich aber gleichzeitig voneinander abgegrenzt haben. Diese Einflüsse der Moderne und des Romantischen waren gar nicht so, wie wir das vielleicht heute beurteilen möchten. Die wussten voneinander und haben sich geschätzt. Das ist einfach eine unglaublich spannende Zeit.
Ihr stellt Egon Kornauth Alban Berg gegenüber. Kornauth ist Spätromantiker und Alban Berg hat eine ganz andere musikalische Sprache. Seine vier Stücke sind auch im Original für diese Besetzung Klarinette und Klavier komponiert. Was ist jetzt so anders bei Alban Berg als bei Egon Kornauth?
Staemmler: Ich finde es spannend, dass Alban Berg auch ein Spätromantiker ist, aber dafür eine ganz andere Form und eine ganz andere tonale Sprache, atonale Sprache gefunden hat. Auf eine Art ist es wahnsinnig modern, dass er ebenso einen nachhaltigen Einsatz der Zeit wählt und die Aussage, die Komponisten mit einer halbstündigen Sonate treffen, packt er in vier kurze Stücke. Die entsprechen letztendlich auch dem Schema einer Sonate. Die Satzfolge und der Ausdrucksgehalt sind hochromantisch. Er bezieht sich auf die Vorbilder.
Herold: Spannend ist aber auch, das Alban Berg nur drei Jahre zuvor noch wie Egon Kornauth komponiert hat. Das ist auch spannend, dass die Komponisten ab diesem Moment in unterschiedliche Richtungen gehen.
Das Interview führte Friederike Westerhaus.