Stimmvirtuosin Anna-Maria Hefele erklärt den Obertongesang
Die Stimme ist das älteste und wahrscheinlich auch das vielfältigste Instrument der Menschen. Damit kann man sogar zweistimmige Sounds erzeugen - und das beherrscht kaum jemand so virtuos wie Anna-Marie Hefele.
Wenn Anna-Maria Hefele einen einfachen Grundton singt und darüber einzelne Obertöne isoliert, klingt das faszinierend. Ein Sound, als würde jemand noch zusätzlich zum gesungenen Ton in eine Art magische Flöte blasen. Aber diese zwei verschiedenen Klänge kommen tatsächlich nur aus einer einzigen Kehle. "Da macht man einen kräftigen Grundton mit der Stimme. Und in der Stimme sind sowieso immer ganz viele Obertöne drin", erklärt Anna-Maria Hefele.
Von diesen Obertönen kann man dann einzelne rausfiltern und andere verstärken. Das passiert im so genannten Vokaltrakt des Menschen. "Das ist der luftgefüllte Raum zwischen Stimmband und Lippen", so die Sängerin. In diesem Raum formt jeder Mensch den Klang seiner Sprache und damit auch der Obertöne, etwa wenn man die Vokale a, e, i, o und u bildet.
Obertongesang in anderen Regionen der Welt fest verwurzelt
Dabei spielt die Haltung der Zunge eine zentrale Rolle - und zwar der ganzen Zunge, wie Anna-Maria Hefele betont: "Was man so im Allgemeinen denkt, was die Zunge ist, dann ist das nur die Hälfte von der Zunge - und zwar der vordere Teil. Der hintere Teil, der hängt hinten im Hals drin, im Rachen. Der ist fürs Obertonsingen ganz wichtig und ganz essentiell. Das lernen wir im Obertongesang sehr präzise anzusteuern und da passiert dann eben das Filtern der Frequenzen."
Anna-Maria Hefele beherrscht diese Technik so virtuos, dass sie sogar mit den Obertönen eine Volksliedmelodie , wie "Komm lieber Mai und mache", pfeifen kann. Die verschiedenen Arten des Obertongesangs oder auch Kehlgesangs, auf Englisch "Throat singing", sind in anderen Regionen der Welt schon seit Jahrhunderten fest verwurzelt, etwa bei den Inuit in Kanada, bei den Sami in Nordeuropa oder auch in verschiedenen Nomadenvölkern in Zentralasien. In Mitteleuropa ist der Obertongesang noch vergleichsweise neu und weniger verbreitet.
Auch für Laiensänger machbar
Anna-Maria Hefele trägt dazu bei, den Gesang bekannter zu machen und das Repertoire zu erweitern. Sie hat schon eine Reihe von Komponistinnen und Komponisten zu neuen Werken inspiriert. Die Stimmkünstlerin arbeitet mit professionellen Chören wie dem SWR Vokalensemble zusammen und vermittelt ihr Können auch in zahlreichen Workshops. Sie ist eine Ausnahmeerscheinung; ihr Niveau erreicht kaum jemand sonst.
Aber die ersten Schritte zum Obertongesang sind auch für Laiensängerinnen und -sänger machbar. Für den Einstieg hat Hefele einen Tipp: "Die Anfangsübung ist ganz einfach. Also da singen wir Vokalübergänge zwischen U und I, also ein französisches OUI. Es ist genau diese Bewegung, nur ganz langsam. Also richtig in Zeitlupe. Wenn man jetzt zwischendrin vergessen hat, wie die Bewegung geht, dann kann man einfach zum Sprechen zurückkommen und sagen: UUUI und IUU. Und dann macht man es wieder langsamer."