NDR Vokalensemble Mitglied Catherina Witting, Sopran. © NDR, Peter Hundert Foto: Peter Hundert
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NDR Vokalensemble Mitglied Catherina Witting, Sopran. © NDR, Peter Hundert Foto: Peter Hundert
AUDIO: Catherina Witting: Singen im Ensemble ist emotional und überwältigend (20 Min)

Catherina Witting: Singen im Ensemble ist emotional und überwältigend

Stand: 07.01.2025 14:38 Uhr

Catherina Witting ist Sängerin im NDR Vokalensemble und spricht über das Instrument des Jahres 2025 - die Stimme.

von Friederike Westerhaus

Das Instrument des Jahres 2025 ist ein ganz besonderes: denn jeder und jede von uns verfügt darüber - auch, wenn es nicht immer musikalisch genutzt wird: Die Stimme. Das hat der Landesmusikrat bekannt gegeben. Es ist somit nicht nur das älteste Instrument der Welt, sondern auch eines, was uns seit Jahrtausenden verbindet - über alle Grenzen hinweg. Die Stimme, die durch ein Zusammenspiel von Muskeln, Stimmlippen und Knorpel im Kehlkopf entsteht, hat wahnsinnig viele Facetten. Catherina Witting, Sängerin des NDR Vokalensemble, spricht im Interview über das diesjährige Instrument des Jahres.

Catherina Witting singt professionell. Sie ist Sopranistin und seit 2017 Mitglied im NDR Vokalensemble. Wenn du ganz früh morgens singst, muss die Stimme wahrscheinlich erst einmal aufwachen, oder?

Catherina Witting: Ganz genau, wenn wir um 10 Uhr proben, dann beginnt mein Tag um sieben Uhr, bis ich in die Puschen komme und eingesungen bin.

Was gehört denn stimmlich dazu, bevor du zur Probe gehst?

Witting: Ich mache ein erstes Einsingen zuhause, und das beginnt mit einem schönen warmen Getränk und ganz leichten Stimmenwärm-Übungen, dazu gehören zum Beispiel das Lippenflattern und Gähnen. Dann geht es ans Eingemachte. Alles zusammen dauert ungefähr eine Dreiviertelstunde.

Du hast dich 2017 entschieden, Mitglied im NDR Vokalensemble zu werden. Das ist eine ganz besondere Art des Singens in so einem kleinen, feinen Ensemble. Es gibt natürlich auch die Solokarriere oder das Unterrichten. Was hat dich speziell daran gereizt, in einem Kammerchor zu singen?

Witting: Das fing bei mir schon sehr früh an, schon in Schulzeiten, vielleicht sogar schon früher. Ich hatte das Glück an der Hochschule, an der ich studiert habe, bei einem sehr guten Chorleitungsprofessor Unterricht gehabt zu haben. Bei dem habe ich in dieser Studienzeit schon viele Chorwerke kennenlernen dürfen und im Hochschulchor gesungen. Das war der logische Schluss für mich, dass es professionell weitergeht.

Beim Singen im Ensemble muss es zu einem homogenen Klang kommen. Ihr seid wenige Sängerinnen und Sänger, in jeder Stimmgruppe nur eine Handvoll. Wie passt das, dass man einerseits eine ganz individuelle, persönliche Stimme hat, und dass andererseits diese Homogenität entsteht. Wie gelingt euch das?

Witting: Das ist eine gute Frage und es ist jeden Tag von Neuem eine Herausforderung. Ich glaube, es funktioniert viel über das aufeinander Hören. Es geht viel darum, sich an den Nebensänger anzupassen. Es geht aber auch darum, sich nicht ganz zu verlieren. Es ist natürlich auch ein Reiz, wenn man mit der Stimme bei sich selber bleibt und trotzdem das von den Nebensängerinnen oder Nebensängern mitnimmt, was die stimmlich liefern und anbieten.

Wenn wir mal ganz grob den Operngesang mit dem Kammerchorgesang miteinander vergleichen. Was ist anders im Einsatz der Stimme?

Witting: Wenn ein Opernsänger auf der Bühne steht, dann muss der eine ganz andere Tragfähigkeit darbieten. Er muss ein ganzes Haus alleine füllen. Wir sind eine Gruppe, natürlich müssen wir auch einen Raum, also eine Kirche oder einen Konzertsaal füllen, aber klanglich auf eine andere Art und Weise. Das ist ganz schwierig zu beschreiben. Die Technik an sich, ist dieselbe wie die eines Opernsängers und trotzdem haben wir den Rückhalt der Gruppe und können diesen Klang zusammen erzeugen.

Stellt ihr euch vor, mit "einer Stimme" zu singen?

Witting: Das ist das Ideal, genau.

 

VIDEO: Im Porträt: Catherina Witting - Sängerin aus Begeisterung (3 Min)

Der Chefdirigent des NDR Vokalensembles ist Klaas Stok, vorher war es Philipp Ahmann. Wie wichtig ist der Chefdirigent für den Klang, für das Formen und Gestalten des Klangbildes?

Witting: Sehr wichtig, weil er der Einzige ist, der vor uns steht und den Gesamtklang von außen hören kann. Wir sind oft in unserer Stimmgruppe. Als Sopranistin bin ich in der Soprangruppe und höre dementsprechend vermehrt den Sopranklang. Wenn jetzt zum Beispiel die Tenöre hinter mir sitzen, dann höre ich vermehrt die Terrorgruppe, aber weniger die Bass- und die Altgruppe. Der Chefdirigent ist dafür da, um zu hören, was kommt vorne an? Und wie lotet er das aus. Wo kann ich die Regler setzen, dass ein homogener Gesamtklang entsteht?

"Prayer for the Ukraine" von Valentin Silvestrov habt ihr 20222 mit dem NDR Vokalensemble unter der Leitung von Klaas Stok aufgeführt. Wenn du das Stück reflektierst - was braucht es für einen Klang?

Witting: Das war schon etwas ganz Besonderes, weil es genau zu Beginn des Ukraine-Kriegs war. Es heißt auf deutsch "Gebet für die Ukraine", das geht dann damit einher, dass man auch eine gewisse Stimmung aufbaut. Das Stück spricht schon sehr für sich selbst, aber wir mussten natürlich unser Übliches dafür tun, dass es auch so rüberkommt.

Was mir aufhält, ist, dass hier ein schwebender Klang entsteht, sehr gebunden, sehr weich, trotz der Sprache, die viele Konsonanten hat.

Witting: Da hatte immer wieder eine Stimme die Melodie, und die musste man hervortreten lassen. Das heißt, die anderen mussten sich ein bisschen zurücknehmen und mit diesem sanften Legato singen.

 

VIDEO: NDR Vokalensemble: "Domine deduc me" von Orlando di Lasso (5 Min)

Wie viel Vertrauen braucht es innerhalb des NDR Vokalensembles, innerhalb eines Kammerchores, wenn man miteinander singt?

Witting: Ein sehr hohes Vertrauen und vor allem auch ein gutes Kennen der einzelnen Kollegen. Es ist immer gut zu wissen, wenn ein anderer mal übernimmt, wo ich gerade nicht so viel Stimme geben kann und wo ich dann wiederum helfen kann, wenn ich spüre, dass meine Nebensitzer oder Sitzerin gerade auch Hilfe braucht.

Was euch als Ensemble auszeichnet ist, dass ihr ein sehr breites Repertoire habt: von alter Musik bis zu zeitgenössischer Musik. Da sind immer wieder unterschiedliche Stilistiken gefragt. Ist das auch etwas, was für dich eine besondere Faszination ausmacht?

Witting: Ja total. Weil es zeigt, dass man flexibel mit der Stimme umgehen können muss und auch ein bisschen Gefühl dafür haben muss, wie ich eigentlich einen Bach im Vergleich zu einem Brahms singe oder einen Gabrieli im Vergleich zu etwas ganz Modernem. Diese Reise ist schon spannend.

Ihr habt euch immer wieder neue Felder erobert, und es gibt eine Reihe, die nennt sich voiceXchange, die vom NDR Vokalensemble ist. Das war eine Idee von euch Sängerinnen und Sängern. Ihr macht das in einer kleinen Besetzung, noch kleiner als die Kammerchor-Besetzung. Im Wesentlichen ist das eine Quartett-Besetzung und du bist mit dabei. Was ist das für eine Geschichte? Was reizt dich daran?

Witting: Die Idee entstand, um unsere Arbeit und unsere Konzerte auch einem breiteren Publikum nahbarer zu machen oder auch mal Publikum in unsere Konzerte zu ziehen, die vielleicht von sich aus nicht in die Elbphilharmonie oder in eine Kirche kommen würden. Wir verlassen nicht unser Chor Repertoire. Aber wir lassen uns auf einen Gast ein, den wir von Projekt zu Projekt neu einladen. Dadurch lernen wir seine oder ihre Musik kennen.

 

VIDEO: voiceXchange goes Lateinamerika: Kammerensemble Konsonanz (2 Min)

Diese Musikerinnen und Musiker kommen aus ganz anderen Genres. Das Ganze findet unter anderem in Clubs statt. Am 17. Januar macht ihr ein Konzert im Grünspan auf der Großen Freiheit mitten in St. Pauli. Da geht es darum, dass man gegenseitig in eine Art Dialog tritt?

Witting: Ganz genau. Wir singen zum Beispiel Musik aus der Funk & Soul Richtung. Da ist jetzt die Frage, wie mache ich das als klassischer Sänger? Wie singe ich jetzt diese Art von Musik, weil das ist einfach ein anderes Genre.

Das ist wirklich eine ganz andere stimmliche Sache.

Witting: Ja, und man muss sich in diese neuen Gewässer fallen lassen. Dann sieht man, dass man schwimmen kann und dann geht es. Aber man braucht das Vertrauen darauf.

Jetzt ist Januar - das ist die typische Erkältungszeit. Ich kenne Sängerinnen und Sänger, die sehr aufpassen, dass nichts passiert und sich extrem schützen. Wie ist es bei dir? Was sind deine Tricks?

Witting: Ja, ich war lange auch so. Bis ich gemerkt habe, dass selbst wenn man aufpasst, kann es einen doch erwischen. Deswegen denke ich, dann ist es eben so. Es geht gerade sehr viel rum, viele Kollegen sind krank, habe ich mitbekommen, und mich hat es vor Weihnachten lange erwischt. Was soll man machen? Teetrinken, sehr viel ausruhen, schlafen und hoffen, dass es schnell vorbeigeht. Das Blöde ist, sobald ein Husten dazukommt, der die Stimme sehr beansprucht, dauert es länger als nur eine Woche. Das ist das Nervige.

Also bei Bläserinnen und Bläsern ist es so, dass sie gucken müssen, dass ihre Muskulatur nicht abschlafft. Ist das bei der Stimme auch so?

Witting: Im Optimalfall, zum Beispiel in den Ferien, wenn es einem gut geht und man der Stimme mal zwei Wochen eine Ruhepause gönnt, dann ist es auch mal was Gutes. Aber im Krankheitsfall, bei Husten, ist es nicht so gut, weil diese Feinabstimmung der Nerven und dieser kleinen Muskeln, also die Stimmbänder, sind nur wenige Millimeter lang, die geraten dann schnell durcheinander. Das muss dann wieder aufgebaut werden.

Wenn man zusammen mit dem Ensemble auf der Bühne steht, gibt es bestimmt viele Gänsehaut-Momente, oder? Überwältigt dich das auch manchmal?

Witting: Ja, sehr. Es hat natürlich dann verschiedene Gründe, zum Beispiel hatten wir vor Weihnachten ein Konzert in einem Altenheim für Menschen mit Demenzerkrankungen. Das war etwas ganz Berührendes und Emotionales. Zu sehen, dass die Musik im hohen Alter und mit solch einer Krankheit Dinge weckt.

Vielleicht ist die Stimme auch deshalb das, was sie für uns ausmacht - ein Instrument, dass uns direkt ins Herz trifft.

Witting: Ja, sie kommt wortwörtlich aus unserem Innersten. Die Stimme ist mitten in unserem Körper und als Ausdrucksmittel hat sie so viele Möglichkeiten.

Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Vormittag | 07.01.2025 | 10:20 Uhr

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