Lilit Grigoryan: Virtuos und leidenschaftlich am Flügel
Nur eines der November-Konzerte von Lilit Grigoryan fällt nicht aus: das bei NDR Kultur à la carte Extra. Ein Porträt der Rostocker Pianistin.
Vor fünf Jahren, bei einem gemeinsamen Auftritt zum Gezeitenkonzert in Ostfriesland, sagte Maria João Pires über ihre Schülerin: "Sie ist so begabt und sicher und kann sich schnell anpassen." Die Erinnerung an die Worte ihrer Mentorin lassen Lilit Grigoryan kurz strahlen.
Sie sitzt in ihrer Zweiraumwohnung. Küche, Bad - nichts ist hier mehr als drei Meter von dem Flügel im Wohnzimmer entfernt. Er ist das Zentrum. In ihren Gedanken sogar schon, seit sie sich mit sieben zum ersten Mal an das Instrument setzte.
"Sich anpassen können" auch an einen Kultur-Lockdown, das fiel und fällt der quirligen kleinen Frau mit den lockigen schwarzen Haaren schwer. Und trotzdem ist sie pragmatisch: "Die Realität bleibt die Realität und solange man sich dagegen wehrt, hat man eher Probleme als Lösungen. Es ist wichtig, sich umstellen zu können, denn wir leben in einer Welt, wo jeden Tag was anderes passieren kann."
Lilit Grigoryan: Wohnhaft in Rostock, zu Hause in Armenien
Es ist nicht nur die konzertlose Zeit, die sie solche Sätze sagen lässt. Es ist vor allem der Krieg in ihrem Heimatland Armenien. Im September brach der Konflikt in Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan wieder aus: "Ein Cousin wurde gleich an die Front geschickt, auch familiär war ich sehr nah dran."
Und die 35-Jährige tat das, was zu diesem Zeitpunkt noch möglich war: Sie spielte. Und organisierte an der Rostocker Hochschule für Musik und Theater ein Benefizkonzert: 10.000 Euro kamen zusammen, die nun in armenische Hilfsprojekte fließen.
2021 wird Lilit Grigoryan die Hälfte ihres Lebens in Deutschland verbracht haben. Wenn sie in Jerewan in ein Taxi einsteigt, fragt der Taxifahrer sie mittlerweile, wo sie herkomme; als Armenierin erkennt er sie nicht mehr. In Rostock aber, da hat sie ihre Heimat an der Wand: Berge in orange: "Das sind zwei Bilder von meinem Opa. Er war ein sehr großer armenischer Maler, Alexander Grigoryan, und ich bin unter seinen Bildern aufgewachsen."
Wenig Konzerte: Jede Möglichkeit dankend annehmen
Und dann schließt sie die Wohnzimmertür, obwohl sie großes Glück hat mit ihren Rostocker Nachbarn, die grüßen sie nämlich immer noch freundlich, trotz der vielen, vielen Stunden, die sie in diesem Jahr übend zu Hause verbracht hat: "Ich muss sagen, die sind wahnsinnig tolerant und ich bin wahnsinnig glücklich. In Berlin hatte ich damals wahnsinnige Probleme."
Ohne Zeitdruck sich neues Repertoire erarbeiten, dass ist die positive Seite dieses wirtschaftlich für sie so schwierigen Jahres, sagt Lilit Grigoryan. Mehr Konzerte und größere Häuser, diese Überschrift hatte ihr Leben bisher. Dass sie es als Glück empfinden konnte, auch für einen Freund in ihrem Wohnzimmer zu spielen, ist die Erkenntnis dieses Jahres. Und dass man Musikerin auch ist, wenn der Konzertkalender leer bleibt: "Jetzt ist mein Motto, jede Möglichkeit dankend anzunehmen und zu gucken, wie es weitergeht."