Klassikwissen leicht gemacht: Was steckt hinter Opus 1?
Woher kommen die Opus-Angaben bei klassischen Musikstücken? Passend zum Jahresanfang beschäftigen wir uns mit den offiziellen Erstlingen von Komponisten und natürlich Komponistinnen.
Was für Schriftstellerinnen und Schriftsteller sowie bildende Künstler und Künstlerinnen kein Thema ist, ist das Werkverzeichnis - wie es in der Musikbranche seit dem 18. Jahrhundert gang und gäbe ist. Mit Ausnahme von Gerhard Richter, der tatsächlich einen "Catalogue raisonné" geführt hat. Es ist eine verlegerische Praxis, die zur genauen Bezeichnung und Unterscheidung von Kompositionen dient, etwa wenn es mehrere Klaviersonaten in G-Dur oder Violinkonzerte in A-Moll gibt. Außerdem würden "jene Werke ohne Opuszahl weit weniger beachtet, und viel früher und häufiger vergessen, als dergleichen mit Opusangaben", stellte schon der Verleger Friedrich Whistling 1842 fest.
Bach, Vivaldi und Mozart: Chronologische oder thematische Sortierung
Manchmal haben Musikwissenschaftler diese Kataloge angelegt, wie im Fall von Ludwig von Köchel, der ein "Chronologisch-thematisches Verzeichniss sämmtlicher Tonwerke Wolfgang Amade Mozart's" verfasste. Dabei ist die Sortierung keineswegs immer chronologisch. Peter Ryom sortierte Antonio Vivaldis Werke nach Gattungen und Besetzung. Auch das Bachwerke-Verzeichnis stammt nicht vom Komponisten selbst, sondern wurde 1950 von Wolfgang Schmieder entwickelt, ebenfalls thematisch geordnet.
Opuszahlen: Ausdruck des Selbstbewusstseins
Aber normalerweise vergeben Komponisten und Komponistinnen selbst ihre Opuszahlen. Und dabei spielt das Opus 1 eine besondere Rolle. Opus 1, das bedeutet: "Hier bin ich! Ich trete an die Öffentlichkeit, ich weiß, was ich wert bin, ich möchte gedruckt und gespielt und am besten sogar rezensiert werden."
Robert Schumann hatte schon vor seinem ersten Klavierunterricht mit sieben Jahren kleine Stücke geschrieben. In den folgenden Jahren entwarf er Lieder, Kammermusik, ein Klavierkonzert und sogar eine Oper - kaum etwas davon wurde vollendet. Erste seine virtuosen Abegg-Variationen von 1828/1829 hielt Schumann einer Veröffentlichung für würdig und verlieh ihnen die Opusnummer 1.
Kammervirtuosin komponiert für Markgrafen
Auch bei komponierenden Frauen findet sich dieses Selbstbewusstsein, wenn auch naturgemäß seltener. Anna Bon di Venezia, italienische Sängerin, Cembalistin und Komponistin, widmete ihr Opus 1, sechs Flötensonaten, dem Markgrafen Friedrich von Brandenburg-Culmbach-Bayreuth. "Virtuosa di Musica di Camera all'attuale Servizio dell'Altezza Serenissima sudetta e presentamente in età d'anni sedeci" steht in verschnörkelten Buchstaben auf dem Titelblatt: "Kammervirtuosin im Dienst seiner Hoheit und derzeit im Alter von 16 Jahren".
Weibliche Opus-1-Varianten
Cécile Chaminade, bekannt durch ihr Concertino für Flöte und Klavier oder Orchester, fing bereits mit acht Jahren an zu komponieren. Das Opus 1 des "Petit Mozart", so nannte George Bizet sie liebevoll, ist eine "Frühlingsstudie", "Étude printanière", für Klavier. Clara Wieck-Schumanns Opus 1 bestand aus vier Klavier-Polonaisen, gedruckt 1831, da war die junge Verfasserin gerade mal zwölf und die treibende Kraft ihr ehrgeiziger Vater Friedrich Wieck. Komponiert hatte sie also sicherlich schon vorher.
Joseph Haydns erste Steichquartette
Bei den geselligen Musikabenden eines niederösterreichischen Adeligen spielte der junge Joseph Haydn in den 1750er-Jahren die Bratsche im Streichquartett. Da lag es nahe, dass er sich irgendwann selbst an dieser Gattung versuchte - mit großem Erfolg, und so folgten innerhalb kurzer Zeit etliche weitere Quartette. Haydn selbst sprach anfangs von "Divertimenti a quattro" und bezeichnete Jahre später die Erfindung der Gattung Streichquartett als "ganz zufälligen Umstand". Sechs dieser ersten Quartette wurden - allerdings nicht vom Komponisten - als Opus 1 zusammengefasst und veröffentlicht.
Paganini widmet erstes Druckwerk Künstlern
Der "Teufelsgeiger" Niccolò Paganiniwurde in ganz Europa bejubelt. Aber erst mit 38 Jahren gab er sein erstes Werk in Druck: 24 Capricen für Violine solo. Jede wartet mit einer besonderen technischen Schwierigkeit auf, aber bloße Etüden sind es trotzdem nicht: "Dedicati agli artisti" - "den Künstlern gewidmet" schrieb Paganini auf das Deckblatt.
Das Opus 1 muss also keineswegs das erste Werk eines Komponisten sein. Béla Bartók, zum Beispiel, hatte vor seiner Rhapsodie op. 1 mehr als 70 Werke geschrieben. Und Gustav Mahler erkannte erst im Rückblick, 16 Jahre nach der Niederschrift von "Das klagende Lied": "Mein erstes Werk, in dem ich mich als Mahler gefunden, ist ein Märchen für Chor, Soli und Orchester. Dieses Werk bezeichne ich als Opus 1."