Gefeiert oder vergessen? Komponistinnen aus Norddeutschland
Komponistinnen aus dem Norden: Davon gab und gibt es einige - bekannte, fast vergessene und noch zu entdeckende. Ein Überblick.
Dunkel und kantig beginnt die siebte Sinfonie von Emilie Mayer - eine prägende Figur im Musikleben des 19. Jahrhunderts. Mayer, geboren 1812, stammt aus Friedland in Mecklenburg. Sie studiert in Berlin und Stettin und bezeichnet sich selbstbewusst als "Berufskomponistin" - damals noch eine Provokation. Und das ist nicht die einzige: Emilie Mayer pfeift auf gesellschaftliche Erwartungen. Sie bleibt lebenslang unverheiratet und widmet sich der Musik. Ihre Sinfonien werden in ganz Europa aufgeführt. Dass man sie gern als "weiblichen Beethoven" etikettiert, zeigt vor allem die Hilflosigkeit einer auf Männer fixierten Musikwelt.
Werke vieler Komponistinnen heute unbekannt
Auch Louise Reichardt bricht aus dem traditionellen Rollenbild ihrer Zeit aus. Die Tochter des Komponisten Johann Friedrich Reichardt veröffentlicht eigene Lieder und geht 1809 von Halle nach Hamburg, wo sie später die erste Singschule der Stadt gründet. Ihr Schaffen umfasst rund 100 Lieder in deutscher und italienischer Sprache und ist bis heute kaum bekannt.
Das Schicksal, dass ihre Musik, wenn überhaupt, nur selten aufgeführt wird, teilt Louise Reichardt mit einigen Kolleginnen, unter ihnen etwa die in Greifswald geborene Spätromantikerin Luise Greger oder die 2001 verstorbene Felicitas Kukuck, die das Hamburger Musikleben auch als Chorleiterin mitgestaltet hat. Kukuck hatte bei Paul Hindemith studiert, ebenso wie die Komponistin Ruth Schönthal, die vor 100 Jahren in Hamburg geboren wurde.
Auch das Schaffen der Hamburgerin Ilse Fromm-Michaels ist heute weitgehend vergessen. Dass sie mit einem jüdisch-stämmigen Mann verheiratet war, machte sie unter dem NS-Regime zur unerwünschten Künstlerin, deren Werke nicht aufgeführt werden durften. Gebrochen von den fortwährenden Drohungen, den Lebensumständen und dem Tod ihres Mannes im Jahr 1946, verstummte Fromm-Michaels als Komponistin. Die "Drei Rilke-Gesänge" von 1948/49 sind ihr letztes Werk.
Komponistin Sofia Gubaidulina: "Ich baue nicht, sondern züchte"
Anders als Ilse Fromm-Michaels oder Ruth Schönthal muss Sofia Gubaidulina nicht erst dem Vergessen entrissen werden. Die aus der Tatarischen Republik stammende Russin gehört zu den bedeutendsten und am meisten aufgeführten Komponistinnen und Komponisten der Gegenwart. Sie lebt seit 1992 in Deutschland und wohnt im kleinen Dorf Appen in Schleswig-Holstein, wo sie die Nähe zur Natur genießt. Auch ihre Musik sei davon inspiriert. "Ich baue nicht, sondern züchte", sagt Gubaidulina über ihr eigenes Wirken.
Sofia Gubaidulina hat im Oktober ihren 92. Geburtstag gefeiert. Ende Mai würdigt sie das NDR Elbphilharmonie Orchester mit einem Porträtkonzert. Die Wahl-Appenerin ist die große alte Dame der Neuen Musik. Aber es gibt auch spannende Komponistinnen jüngerer Generationen im Norden wie Snežana Nešić, Lehrbeauftragte an der Musikhochschule Hannover und künstlerische Leiterin beim Nachwuchsprogramm der "Musik 21 Niedersachsen" und die kasachisch-stämmige Aigerim Seilova, die an der Hamburger Hochschule unterrichtet und 2019 den Paul-Hindemith-Preis beim Schleswig-Holstein Musik Festival bekommen hat.