"Alcina": Eine der aufregendsten Händel-Aufnahmen der letzten Jahre
Marc Minkowski hat Händels "Alcina" mit seinen Musiciens du Louvre und einer namhaften Solistenriege aufgenommen. Das Album fesselt mit seiner Ausdruckskraft und lotet ein breites Spektrum an Emotionen aus.
Georg Friedrich Händel bezirzt sein Publikum mit einer Fülle an Affekten und Farben. Auch in der Oper "Alcina" über eine Zauberin, die lange Zeit alles im Griff zu haben scheint, vor allem die Männer - und die dann plötzlich erkennt, wie ihre Macht erlischt.
"Alcina" - Aufnahme fesselt mit ihrer Ausdruckskraft
Am Ende des zweiten Akts ist Alcinas Zauber gebrochen. Der geliebte Ruggiero hat sich aus ihrem Bann gelöst und wendet sich von ihr ab. Das erwischt sie kalt. Alcinas Schockstarre ist in den Staccati des Orchesters zu hören.
Les Musiciens du Louvre spielen das unter Marc Minkowski wie eingefroren. Und Magdalena Kožená offenbart, wie verletzlich Alcina plötzlich ist. Wenn sie Ruggiero als Verräter anklagt, als "traditore", scheint ihre Stimme vor Schmerz zu beben.
Die tschechische Mezzosopranistin verkörpert die Titelpartie mit großer Intensität. Ihre Arie "Ah, mio cor", "Ach, mein Herz" ist ein ergreifender Moment. Und das bleibt nicht der einzige. Die neue Aufnahme von Händels "Alcina" fesselt mit ihrer Ausdruckskraft, sie lotet ein breites Spektrum an Emotionen aus, von tiefer Verzweiflung bis zur überschwänglichen Vorfreude auf die Liebe.
Herausragende Frauenstimmen
Marc Minkowski hat ein Spitzenensemble an der Seite. Vor allem die Frauenstimmen sind herausragend. Die Sopranistin Erin Morley trifft den Ton der jungen, ihrer Gefühle noch nicht ganz sicheren Morgana, mit einem flexiblen und süßen Timbre.
Die Partie des Ruggiero hatte Händel für Giovanni Carestini geschrieben, einen der berühmtesten Kastraten seiner Zeit. In der neuen Aufnahme ist diese Rolle nicht, wie in manchen anderen Produktionen, mit einem Countertenor, sondern mit einer Frau besetzt, Anna Bonitatibus. Die italienische Mezzosopranistin durchlebt die Gefühlsschwankungen des jungen Mannes empathisch, sie berührt mit wunderbar intimen Momenten. Etwa, wenn sie in der Arie "Verdi prati" die Schönheit der Natur besingt.
Ruggieros Braut Bradamante ist lange Zeit die Verschmähte. Sie kocht vor Eifersucht auf Alcina. Und das demonstriert Elizabeth DeShong mit umwerfender Energie. Ihre Stimme ist eine Wucht, dunkel und satt, und trotzdem sehr beweglich. DeShong entscheidet den Koloraturen-Wettkampf der Sängerinnen knapp für sich.
Marc Minkowski sucht das Risiko
Dass Marc Minkowski das Tempo mit dem Orchester hier so vorantreibt und der Solistin stellenweise fast davonrennt, stört nicht, im Gegenteil. Das zeigt nur, wie mutig der Dirigent das Risiko sucht und den Ausdruck auf die Spitze treibt. Auch deshalb ist diese "Alcina" für mich eine der aufregendsten Händel-Aufnahmen der letzten Jahre.
Georg Friedrich Händel: Alcina
- Genre:
- Klassik
- Zusatzinfo:
- Magdalena Kožená, Anna Bonitatibus, Erin Morley, Elizabeth DeShong, Alois Mühlbacher, Valerio Contaldo, Alex Rosen, Les Musiciens du Louvre
- Label:
- Pentatone