Album der Woche: Das Philadelphia Orchestra spielt Rachmaninow
Ein doppeltes Jubiläum: 2023 ist Sergej Rachmaninows 150. Geburtstag und sein 80. Todestag. Anlass genug für das Philadelphia Orchestra die sinfonischen Werke von Rachmaninow neu aufzunehmen.
Nach der russischen Revolution lebte Rachmaninow seit 1918 in den USA. Mit dem Philadelphia Orchestra war er schon als Pianist 1909 aufgetreten, er leitete es selbst als Dirigent und er widmete ihm Werke. Insofern hat das Philadelphia Orchestra eine lange Tradition mit der Musik Rachmaninows.
Die leidvolle Geschichte von Rachmaninows Sinfonien
So viel tänzerischen Aufschwung wie im Finale der dritten Sinfonie a-Moll hört man in Rachmaninows Sinfonien nicht allzu oft. Aber wenn, dann kostet das Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin das aus. Kraftvoll und präzise, sehr energetisch gehen das traditionsreiche Orchester und sein Musik-Direktor das an.
Mit seinen Sinfonien hat Rachmaninow ein wenig eine leidvolle Geschichte: Die erste wurde von Kritikern 1897 gewissermaßen in der Luft zerrissen, die dritte, vom Philadelphia Orchestra unter dem legendären Leopold Stokowski uraufgeführt, wurde verhalten aufgenommen. Nur die zweite Sinfonie erhielt eine positive Resonanz.
Yannick Nézet-Séguin ist ein Meister der Balance
Kritiker schrieben nach der Uraufführung 1908, dass in Rachmaninows zweiter Sinfonie "Mütterchen Russlands gesammelter Weltschmerz" zu hören sei. Da kann man schon zustimmen: Ein klagender, fast durchweg melancholischer Ton prägt das Stück. Aber Yannick Nézet-Séguin versinkt mit dem Philadelphia Orchestra nicht in triefendem Pathos. Im Gegenteil: Die elegischen Passagen werden unglaublich detailreich und fein gestaltet. Die langen Steigerungswellen verlieren nie die Spannung.
Das klingt wild und entfesselt, aber Yannick Nézet-Séguin ist ein Meister der Balance: Er treibt sein Philadelphia Orchestra zwar mit Verve an, doch die Zügel entgleiten ihm nie, da ist nichts überzogen. Und im nächsten Moment spüren die Musiker wieder Rachmaninows lyrischem, nach innen gekehrtem Ton hin. Doch auch hier wird alles mit Maß serviert. Besonders gut gelingt es Nézet-Séguin auch, Rachmaninows spannende Orchesterfarben leuchten zu lassen.
Das Philadelphia Orchestra erzeugt eine gespenstisch-schaurige Stimmung
Voller Farben steckt auch die Sinfonische Dichtung "Die Toteninsel" von 1909. Rachmaninow hat sich hier von dem gleichnamigen Bild des Schweizer Malers Arnold Böcklin inspirieren lassen: in der Mitte Zypressen, rechts und links hoch aufragende Felsen mit Grabkammernischen, davor ein Boot mit einer weißen Gestalt. Ein düsteres, niederdrückendes Bild. Das Boot scheint sich in Rachmaninows musikalischer Umsetzung der Insel zu nähern; hier wird noch einmal mit dem Tod gekämpft, bevor Ruhe einkehrt.
Das erzeugt eine gespenstisch-schaurige Stimmung. Auch dieser Facette von Rachmaninows Musik spüren Yannick Nézet-Séguin und das Philadelphia Orchestra ungeheuer sensibel nach. Sie machen mit diesem dritten Album zu Rachmaninows sinfonischen Werken ihrer langen Tradition und einstigen fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Komponisten alle Ehre.
Rachmaninow: Sinfonien Nr. 2 und 3, Toteninsel
- Genre:
- Klassik
- Zusatzinfo:
- Philadelphia Orchestra/Yannick Nézet-Séguin
- Label:
- Deutsche Grammophon