Kreative Unruhe
Das finnische Improvisations-Label TUM würdigte seinen Künstler, den Trompeter Wadada Leo Smith, mit einer ganzen Serie von Alben und Box-Sets. Ein Jahr lang - zur Feier von Smiths 80. Geburtstag.
Eine CD verschenken? Bisschen altbacken als Idee. Oder eine CD-Box? Immerhin schon mal mehr Substanz. Warum aber nicht gleich 23 CDs, die Du erstmal selbst füllen musst? Was für ein Geschenk! So sah man das auch bei TUM: Das finnische Improvisations-Label würdigte eins seiner Zugpferde - den US-Trompeter Wadada Leo Smith - mit einer ganzen Serie von Alben und Box-Sets. Ein Jahr lang - zur Feier von Smiths 80. Geburtstag. Streichquartette, Symphonien, eine Liebeserklärung an Billie Holiday, heilige Zeremonien mit Bill Laswell und dann als Höhepunkt die "Emerald Duets": Begegnungen mit vier der wichtigsten Schlagzeuger der Jazz-Avantgarde auf fünf CDs: Andrew Cyrille, Jack DeJohnette, Pheeroan akLaff und Han Bennink.
So ein Plan läuft natürlich nur, wenn der Jubilar überhaupt in der Lage ist, genug Stoff beizusteuern. Für Wadada Leo Smith kein Problem. Familie hat er nicht, lebt allein - was bleibt? "Ich bin jedes Jahr sechs bis acht mal im Studio", so sagt er. Summa summarum: "Ich nehme Jahr für Jahr acht Alben auf". Bei TUM hat man den Überfluss ventiliert und dem Trompeter mit edel aufgemachten Editionen seinen Unruhestand veredelt.
Dass dieser Respekt nun ausgerechnet aus Finnland kommt, ist kein völliger Zufall: Mag ja sein, dass Wadada Leo Smith seit mehr als einem halben Jahrhundert einer der wichtigsten Vordenker der US-Avantgarde ist - gewürdigt wurde seine explosive Kreativität in der Heimat nicht immer gebührend: In den Neunzigern lebte Smith daher auch mal eine Weile in Island.
"Creative Music" nennt der Trompeter sein Werk und das wurzelt in Smiths Arbeit im Chicagoer Unruhekollektiv AACM Ende der 60er. Manche Namen aus jenen Jahren sind heute noch feste Größen an seiner Seite - darunter Anthony Braxton und Jack DeJohnette. Noch weiter zurück geht aber Smiths Liebe zum Schlagzeug und den Schlagzeugern: "Als Kind habe ich mir die Trompete nicht ausgesucht", so sagt er. "Sie wurde mir in der Schule zugeteilt. Ich wollte Schlagzeug spielen, aber das wollten alle und am Ende hatten die Lautesten den Erfolg - die, die ganz vorn standen".
Smith wollte nie laut sein
Sein Spiel ist bei aller Abstraktion oft lyrisch und poetisch und seine Kompositionen leben eben auch von den Pausen - auf die Spitze getrieben in "Silence" für Anthony Braxton, das 1975 immer wieder auf genau das setzte: vollkommene Stille. Jetzt hat Smith vier Schlagzeug-Legenden zu vier Sessions eingeladen. Warum gerade diese? Smith sagt: "Ganz wenige Schlagzeuger trommeln so, wie ich das Trommeln getrommelt haben möchte. Diese Schlagzeuger haben den Sinn für meine Musik. Ich wollte sehen, wie ich auf jeden der Musiker anders reagiere."
Im Begleittext zur Box schreibt der Pianist und Smith-Vertraute Vijay Iyer: "Smith hört wirklich Schlagzeuger. Er hat ein tiefes Empfinden für die Unterschiede bei jedem Einzelnen und er reagiert auf diese Unterschiede." Zum Maßstab wird dabei Smiths politische Kampfansage "The Patriot Act, Unconstitutional and a Force that Destroys Democracy" - gleich dreimal erscheint das Stück in dieser Box, einmal aufgenommen mit DeJohnette, einmal mit akLaff, einmal mit Cyrille: "Was mache ich mit der gleichen Situation und dem gleichen Material? Für mich war das eine Studie des Lebens".
Vier Sessions mit vier höchst unterschiedlichen Freidenkern (plus eine fünfte CD mit Smiths Suite "Paradise: The Gardens and Fountains", aufgenommen mit Jack DeJohnette). Bei denen dann Han Bennink tut, was er meisterhaft beherrscht: Porzellan zerschlagen, kreativen Widerspruch hervorrufen und die Reaktion studieren. Während Pheeroan akLaffs Spiel selbst den Gastgeber noch kalt erwischte: "die ganz große Überraschung dieser Sammlung", wie Smith zu den oft geradezu magischen Aufnahmen mit akLaff sagt.
Smiths "Creative Music" kommt aus dem Momentum
Die "Emerald Duets" sind der Höhepunkt im Reigen der TUM-Veröffentlichungen zu seinem 80. Geburtstag - doch längst ist Smith wieder ein paar Schritte weiter: Vier Streichquartette und eine ganze Reihe neuer Sessions warten auf die Veröffentlichung - eins der Quartette wurde inspiriert durch den Sturm des Trump-Mobs auf das Kapitol am 6. Januar 2021.
Smith sagt: "Ich benutze keine Begriffe wie Swing, Groove oder Takt - ich spreche vom Momentum, also davon, dass etwas sich nach vorn bewegt oder entfernt. Das ist für mich der Schlüssel. Creative Music ist für alle und vor allem für jene, die sich die Mühe machen, sich auf der Suche nach der Wahrheit mit sich selbst auseinanderzusetzen. Was wir dann entdecken, liegt genau vor uns. Und es liegt in unseren Herzen". Wadada Leo Smiths "Emerald Duets" sind eine wahre Herzensangelegenheit für den kreativen Altmeister.
"The Emerald Duets"
- Genre:
- Jazz
- Zusatzinfo:
- Label:
- TUM Records Oy
- Veröffentlichungsdatum:
- 24.06.2022
- Preis:
- 49,99 €