Drama, große Melodien & kleine Widerhaken
Die junge US-Sängerin Chistie Dashiell sorgt mit ihrem improvisatorischen Talent für Aufsehen. Ihr Album "Journey in Black" thematisiert Bindung und Verlust, Rassismus und schwarze Selbstverortung.
Es ist das alte Lied: Eine Sängerin, ein Quartett, paar alte Songs und mehr neue. Viel Tradition, wenig Experiment. Das alte Lied also - aber wie Christie Dashiell es singt! Die junge US-Sängerin greift mit "Journey in Black" unglaublich selbstsicher nach jener Krone, die mal von Sarah Vaughan und Abbey Lincoln an Dianne Reeves und Dee Dee Bridgewater weiter gegeben wurde und um die heute Samara Joy und Cécile McLorin Salvant ringen. Für den Downbeat ist Dashiell "eine der innovativsten Sängerinnen und Komponistinnen dieser Tage", bei der Vergabe des "Next Jazz Legacy"-Awards für weibliche und non-binäre Nachwuchs-Künstler:innen schwärmte die Jury um Terri Lynn Carrington und May Han Oh von Dashiells "kraftvollem Ton, dem improvisatorischen Talent und dem nahtlosen Mix aus Jazz, Rhythm and Blues, Gospel und Soul".
Alle Songs haben Drama, große Melodien und kleine Widerhaken
Und wer so viel Vorschusslorbeer für eine Sängerin misstraut, die es gerade mal auf zwei Alben in acht Jahren gebracht hat, dem sei hier das Intro "Ancestral Folk Song" empfohlen. Wie sie über neun Minuten hinweg dieses kleine Meisterwerk inszeniert, wie sie singt, scattet und flüstert - eine solche Autorität lernt man nicht, die hat man. Sieben der neun Songs ihrer "Journey in Black" hat die Sängerin selbst geschrieben, da ist auch ein ungemein kluges Remake der alten Burt Bacharach/Dionne Warwick-Nummer "Anyone Who Had a Heart" und der Jazz-Standard "Invitation".
Dashiells Songs sprechen von Bindung und Verlust, sprechen von Rassismus und schwarzer Selbstverortung. Und alle diese Songs haben Drama, große Melodien und kleine Widerhaken, bleiben hängen und wirken nach. "Grief" ist eine kunstvoll gewebte Andacht, das textlose "Influence" eine atemberaubende Übung in Scat-Gesang, die eindringliche "Brother Sister" zeigt Dashiell an der Seite schwarzer Aktivist:innen, das schlichte und a capella gesungene "Always Stay" buhlt um die Liebe fürs Leben, "The Things You Do" ist lässiger Jazz-Funk mit Marquis Hill als Gast an der Trompete.
Fünf Sterne für "Journey in Black"
Wobei sich festhalten ließe: Das Handwerk, der Sound, die Themen, die Instrumente - dieses Album hätte weitgehend unverändert auch vor 30 Jahren erscheinen können. Vor 40 Jahren oder vor 60. Was auch an der Sache mit der Wiege liegt: Dashiells Vater Carroll ist Jazz-Bassist, die Mutter klassisch ausgebildete Sängerin und mit ihren Brüdern ging sie zum Üben ins Heimstudio. Abends wurden die Ergebnisse dann am Familientisch debattiert, heute trommelt einer der Brüder, Carroll "CV" Dashiell, in ihrer Band.
Beim Studium an der Howard University begann die Sängerin im Ensemble Afro Blue, wurde von den Vokal-Altmeisterinnen "Sweet Honey in the Rock" eingeladen, stieß zum Kollektiv "Black Lives" und wirkte an der Seite von Marcus Strickland und neben Künstler:innen wie Immanuel Wilkins und Cheick Tidiane Sekh mit am politisch grundierten Sampler "Black Lives from Generation to Generation". 5 Sterne hat der stern-geizige Downbeat ihr jetzt für "Journey in Black" überreicht. Es ist das alte Lied - aber das erklang schon lange nicht mehr mit solchem Weitblick. Lasst uns über Kronen reden.
"Journey in Black"
- Genre:
- Jazz
- Label:
- Crehz Music
- Veröffentlichungsdatum:
- 22.09.2023
- Preis:
- 14,99 €