Hurricane Festival-Blog 2023: So war der Freitag!
Auch in diesem Jahr bloggt NDR Musikjournalist Matthes Köppinghoff wieder beim Hurricane in Niedersachsen. Tag zwei trumpfte mit Peter Fox, Kraftklub und vielen weiteren Highlights auf.
Endlich muss ich nicht mehr darüber schreiben, dass ich nur im Weg rumsitze: Das Hurricane Festival 2023 ist gestartet! Die traditionelle Eröffnung am Festivalfreitag gibt es einmal mehr vom #HurricaneSwimTeam auf der Forest Stage (die große Bühne). Da es hier bisher ja vor allem staubig war, freuen wir uns über vereinzelte Regentröpfchen und ein paar Wolken: Man steht weder knietief im Matsch und friert, noch wird man von der Sonne geröstet. Normalerweise gibt's hier eigentlich nur diese beiden Extreme, daher ist der Start vor allem eins: Angenehm.
Ein paar Zahlen zum Angeben
Während ich über das Gelände schlendere, mal bei Deaf Havana, dann bei Sondaschule und den DMA's vorbeischaue, danach noch auf dem Campingplatz (= Mordor) Leuten beim Flunkyballspielen zuschaue, blättere ich in der Presseinfo das Kapitel "Zahlen und Fakten" durch. Und die sind für Euch ja vielleicht auch interessant: Laut Presseinfo rechnet man hier mit etwa 78.000 Besucher*innen. Dazu kommen knapp 5.000 Leute Personal. Allein zwölf Kilometer Lichterketten wurden auf dem Gelände aufgehängt. Noch ein kurzer Faktencheck; die Anzahl der Toiletten ist im Vergleich zum letzten Jahr gleichgeblieben: 700 mit Wasserspülung, 1.200 von "den anderen". Und sonst so? Wer ganz viel Langweile hat, kann gern nachzählen, ob die Angabe "48 Gondeln" beim Riesenrad stimmt. Oder mit mir zu Betterov hetzen!
Betterov stellt neue Single vor
Der Marsch zur Wild Coast Stage (von mir künftig der Einfachheit halber "Zelt" oder "Zeltbühne" genannt) lohnt: Hier ist es proppenvoll. Der Künstler aus Thüringen (deutschsprachiger Indie à la Interpol) ist sichtlich erfreut, dass so viele hier sind: Sein eigentlich noch frisches Debütalbum "Olympia" kommt super an. Tatsächlich stellt Betterov mit seiner Band aber schon eine neue Single vor, benannt nach einem penetrant-süßen Parfum, die dem Festivalpublikum gefällt - auch wenn der Sound zugegebenermaßen recht matschig ist. Aber ja nun, man kann ja nicht alles haben.
"Ein Traum" am frühen Abend mit Bosse
Weiter geht's - Freunde zitieren mich vor die Hauptbühne, auf der jetzt gerade Bosse sein wohl bisher größtes Konzert gibt. Ein 19 Uhr-Slot bei so einem großen Festival: da ginge schon ein Traum in Erfüllung, sagt er, reißt anschließend seine Hits runter - und alles ist schön, inklusive seines neuen Songs "Ein Traum", mitgesungen sowohl vom Publikum, als auch vom Chor Hansemädchen. Die Zwischenbilanz am frühen Abend: bestes Sommerwetter, prima Stimmung, verboten charismatisch-sympathischer Künstler, alles ist toll. Es ist das erste Konzert beim Hurricane, zu dem so viele Leute geströmt sind.
Gute schlechte Laune mit Sleaford Mods
Und weiter geht's. Leider haben die von mir angepriesenen Sleaford Mods ordentlich Verspätung, aber: Das Warten lohnt sich. Das Duo aus Nottingham ist prinzipiell schnell beschrieben: Andrew Fearn ist der Musiker von den beiden, sieht aus wie ein hipper Waldschrat, drückt auf der Bühne aber nur schlicht auf eine Laptoptaste und tanzt anschließend wild rum oder spielt Luftgitarre. Sein Kollege Jason Williamson hat den Part des Sängers: Er sieht so aus, als könne er potenziell eine nächste Pubschlägerei beginnen - aber seine Wut, seinen Frust, meinetwegen auch Aggression, all das lässt er lieber in Texten aus.
Der Brexit, eine verkorkste Corona-Politik und überhaupt: korrupt-falsche Politiker, gefühlt zwei Dutzend Premierminister in kürzester Zeit, da gibt's vieles, worüber man sich als Brite aufregen kann. Und das beschimpfen die Sleaford Mods auf ihrer aktuellen Platte "UK Grim" - und eben auch beim Hurricane. Live ist die schlechte Laune … interessanterweise ein Fest. Ja, man muss sich drauf einlassen, aber schade, dass ich mir das Konzert nicht ganz anschauen kann und wieder weiter muss. Aber ich bin ja auch nicht zum Spaß hier!
Der Publikumsmagnet: Peter Fox
Ein bisschen aber doch, schließlich steht nun Peter Fox auf dem Zettel: Wegen ihm haben sich wohl viele ein Ticket für das diesjährige Hurricane gekauft. Sein Album "Stadtaffe" ist mittlerweile 15 Jahre alt; eine irrsinnig erfolgreiche Platte, mit Hits wie "Alles Neu", "Haus am See" oder "Schwarz Zu Blau". Trotzdem ließ Pierre Baigorry, alias Peter Fox, sein Solo-Projekt außerhalb seiner Stammband Seeed ruhen. In diesem Jahr kam aber die "Comeback"-Platte "Love Songs" raus, die bisher gut ankam. Am heutigen Festivalfreitag kloppt Herr Fox ziemlich zackig durch sein Set: Oft nur unterbrochen durch ein gebrummeltes "Next One!", gibt es sowohl neue Songs als auch alte Lieblinge wie "Schüttel Deinen Speck". Bei Letzteren wird zwar deutlich mehr mitgefeiert und -gesungen, aber den Leuten gefällt's insgesamt trotzdem. Kein Wunder, die Texte des Berliners sind zum Anbeten gut. Dazu gibt’s eine Menge Profitänzer, dazu dürfen etliche eingeladene Fans auch auf der Bühne mitmachen - das ist schon echt stark.
Mein Tageshighlight bisher: Tash Sultana
Bisher waren schon relativ viele Superlative dabei, oder? Dann viel Spaß mit diesem Absatz. Mein Tageshighlight ist Tash Sultana aus Australien. Wer bei Ed Sheeran beeindruckt ist, wie er live seine Songs allein mit einer Loopstation spielt, der kann sich vor Tash Sultana nur ehrfurchtsvoll verbeugen. In dieser Form habe ich das noch nirgendwo gesehen. Zwar kommen gegen Ende noch ein paar Menschen auf die Bühne, um Tash zu unterstützen, aber das meiste macht Sultana dann doch selbst - also Gitarre, Bass, Drums, sogar Saxofon, Trompete und Flöte. Mir fällt als Vergleich hier nur Prince ein, der auch an schier jedem Instrument ein Ausnahmekünstler gewesen ist. Jetzt höre ich aber auf mit der Lobhudelei, nur kurz ein weiteres Fazit: Tash Sultana, gesegnet mit Talent und fantastischen Songs, solltet ihr euch bei nächster Gelegenheit anhören oder, noch besser, live anschauen.
Gelungener Tagesabschluss mit Billy Talent und Kraftklub
Mittlerweile ist es schon dunkel geworden. Ich lasse mich während Billy Talent vor der Hauptbühne durch die Menschenmassen treiben und dabei von der netten kanadischen Alternative-Rock-Band ankreischen. Songs wie "Try Honesty" sind mittlerweile schon stolze 20 Jahre alt, aber mag ich das quäkende Gebell von Sänger Benjamin Kowalewicz. Ist vielleicht auch Nostalgie, aber sei's drum. Den Abschluss - beziehungsweise Abriss - bildet heute Kraftklub: Vor der River Stage stehen die Leute bis zum Horizont.
In Sachen Stimmung sind die Jungs aus Chemnitz aktuell das Maß aller Dinge; sie hüpfen mit den Fans, Stagediving gibt's auch und während ihres Auftritts spielen sie sogar mal mitten im Publikum. Kraftklub feuern ihre Hits und Konfetti ab; dass das hier gut werden würde, war aber auch eigentlich zu erwarten. Beim Klassiker "Ich Will Nicht Nach Berlin" mache ich mir also brav meine Notizen, schmunzele in meinem Oasis-T-Shirt einmal mehr über "Songs Für Liam". Später verziehe ich mich in den Backstagebereich, um diese Zeilen zu tippen und um dann bald ziemlich gerädert ins Bett zu fallen: der erste Festivaltag ist geschafft!
Meine Empfehlungen für den Sonnabend
Aber noch schnell ein Absatz mit Tipps für morgen, naja, ehrlicherweise ist es schon heute, jedenfalls Samstag: Wer sich gepflegt und stilvoll anschreien lassen möchte, dem kann ich Fjørt empfehlen. Bukahara und Two Door Cinema Club fehlen noch auf meiner Hab-ich-schon-mal-gesehen-Liste, haben aber beide einen guten Live-Ruf. Von My Ugly Clementine hatte ich letzte Woche einen Ohrwurm, da muss ich also auch hin … und naja: Ehrlich gesagt ist morgen überhaupt sehr viel los. Unter anderem gibt's Alli Neumann, Madsen, ebenso die Lumineers, natürlich Muse - und dann wären da ja noch die ganzen Rapper: Auf Trettmann bin ich gespannt, und Casper ist auch ein Pflichttermin. Vorher gehe ich aber mal schlafen, und wenn ich so an meiner verstaubten Gestalt runterblicke, vielleicht davor sogar noch intensiv duschen. Wie dem auch sei: Wir lesen uns später, ich freu mich!