Hurricane 2016: Zum Abschluss kommt der Trecker
Gebirgig ist es eigentlich nicht in der Heide. Beim Hurricane Festival in Scheeßel (Landkreis Rotenburg) sind in diesem Jahr trotzdem Kräfte der Harzer Bergrettung zum Einsatz gekommen. Denn man brauchte diesmal Fahrzeuge, die durch jedes Gelände kommen: Laut Deutschem Wetterdienst waren in der Region von Donnerstagabend bis Sonntagmorgen um die 100 Liter Regen pro Quadratmeter gefallen und hatten das Festivalgelände in eine Schlammwüste verwandelt. Auch am Montag, dem Abreisetag, war schweres Gerät gefragt: Zahlreiche Autos steckten auf den Parkplätzen im Schlamm fest - eine letzte Geduldsprobe für die erschöpften Festivalbesucher. Die Fahrzeuge konnten nur mit Treckern an Ketten aus dem tiefen Matsch gezogen werden. Etwa 20 Landwirte aus der Region, die ihre Ackerflächen als Parkplätze an den Veranstalter verpachtet hatten, kamen mit ihren Treckern zur Hilfe. Doch damit sind längst nicht alle Autos raus aus dem Dreck: Es werde vermutlich ein bis zwei Tage dauern, bis alle Fahrzeuge weg sind, so die Polizei.
"Wettervorhersagen sehr kurzfristig geändert"
Immerhin: Am regenfreien Sonntag ging das Konzert-Programm ohne Einschränkungen über die Bühne. "Mit sehr schwerem Herzen" habe man zuvor den zweiten Festivaltag wegen Dauerregens ganz absagen müssen. Verkündet wurde das allerdings erst am Abend - über den Tag wurde der Einlass lediglich immer weiter nach hinten verschoben. "Morgens um 8 Uhr sind wir davon ausgegangen, dass wir spielen können", sagt Folkert Koopmans vom Veranstalter FKP Scorpio. Zwischendurch sei es gelungen, die Flächen wieder einigermaßen trocken zu legen, doch dann kam stets neuer Regen nach. Frustrierend auch für die Besucher, die immer wieder die Mitteilung bekamen, dass es später losgeht, nur um am Ende doch eine vollständige Absage zu bekommen. "Die Wettervorhersagen wurden in den letzten Tagen sehr kurzfristig geändert - von wem auch immer", lautet Koopmanns Erklärung.
"Man muss von Stunde zu Stunde arbeiten"
"Alle haben an einem Strang gezogen und ihr Möglichstes getan, um trotz widriger Umstände einen möglichst planmäßigen Verlauf möglich zu machen", erklärt Scheeßels Bürgermeisterin Käthe Dittmer-Scheele (CDU). Und Koopmans ergänzt: Schon morgens oder mittags hätte der Veranstalter den Tag abgesagt, "wenn wir es uns leicht gemacht hätten". Doch das sei nicht die Aufgabe des Teams. "Man muss von Stunde zu Stunde arbeiten."
Freiwillige arbeiten die ganze Nacht
Die Verantwortlichen von FKP Scorpio, von der Gemeinde, von Feuerwehr und Polizei bemühten sich am Sonntag, die positiven Seiten des Wetterdesasters hervorzuheben. Heiner van der Werp von der Polizei Rotenburg lobt das "ausgesprochen souveräne Krisenmanagement". Der Einsatz des Technischen Hilfswerks (THW), der freiwilligen Feuerwehrleute und vielen anderen sei bemerkenswert gewesen, sagen alle, die Zusammenarbeit großartig. Auf dem Festivalgelände ist in der Tat unübersehbar, wie viel Arbeit dort die ganze Nacht über geleistet wurde. Klar, es ist noch viel Schlamm da, sehr viel Schlamm. Doch es ist auch wieder Erdboden zu sehen, wo zuvor Teiche waren.
"Gestandene Rapper mit Pipi in den Augen"
Lob gibt es von Veranstalterseite auch für die zahlreichen Künstler, deren Auftritte gestrichen wurden. Die seien "cool" gewesen, wenn auch sehr traurig: "Da sah man gestandene Rapper und große Rocker, die plötzlich Pipi in den Augen hatten", erzählt Stephan Thanscheid von FKP Scorpio. Auch Bands, "die als schwieriger gelten", hätten den Ausfall klaglos hingenommen. Die Aussage macht natürlich neugierig - Namen nennt Thanscheid jedoch nicht. Das bleibt Firmengeheimnis.
Entschädigung? Das kann dauern
Musik und Jubel erfüllen am letzten Tag wieder das Hurricane. Doch ist der Jubel nicht so laut, wie er sein könnte: Folkert Koopmans zufolge sind rund 10.000 Fans vorzeitig abgereist. Es hätten angesichts der Situation aber noch viel mehr sein können, meint er. Bei diesen 10.000 und auch bei vielen, die den Sonnabend durchnässt im Zelt abgewartet haben, wird nach diesem Festival die Enttäuschung überwiegen. Nicht nur hatten sie sich auf die Auftritte gefreut, sie haben auch viel Geld bezahlt. Ob es eine Entschädigung geben wird, lässt Koopmans vorsichtig offen. "Es ist zu früh, das zu sagen", sagt er, schließt eine Wiedergutmachung für die Fans aber auch nicht aus. "Wir werden uns da schon etwas ausdenken, das muss aber auch praktisch umsetzbar sein." Es könnte allerdings Wochen dauern, bis darüber entschieden ist. Zunächst müsse die Entschädigung für die Besucher des komplett abgesagten Zwillingsfestivals Southside geklärt werden, hieß es am Montag vom Veranstalter, der beide Festivals organisiert.
15 bis 20 Millionen Euro Verlust
Klar ist, dass die Frage der Entschädigung für FKP Scorpio nicht an erster Stelle steht. "Wir werden die Leute um Geduld bitten, weil ein unglaublicher Wust an Arbeit auf uns zukommt." Insbesondere sind das Verhandlungen mit der Versicherung: Mit dem abgesagten Southside Festival und dem eingeschränkten Hurricane habe FKP Scorpio 15 bis 20 Millionen Euro Verlust eingefahren. Nun müsse man mit den Versicherungen sprechen, welche Schäden von ihnen übernommen werden. Ob die Bands ihre Gagen erhalten, hängt laut FKP Scorpio von den jeweiligen Verträgen ab.
Nächstes Mal, bei der 21. Ausgabe, soll alles anders werden. Vor allem das Wetter. Ob's klappt? Fest steht bisher lediglich das Datum: Vom 23. bis 25. Juni 2017 geht die Party in Scheeßel von vorne los. Nächstes Projekt der Veranstalter: das Deichbrand-Festival, das vom 21. bis 24. Juli auf dem Segelflughafen Cuxhaven/Nordhorn steigt.
Zahlen, Daten, Fakten
Noch ein paar Zahlen und Fakten der diesjährigen Ausgabe: 144.000 Quadratmeter maß das Veranstaltungsgelände bei der 20. Auflage des Hurricanes. Etwa 100 Konzerte waren eigentlich angekündigt, von denen aber viele wetterbedingt ausfallen mussten. Ungefähr 5.000 Menschen haben beim Festival gearbeitet. Besucher waren zirka 75.000 auf dem Eichenring - geschätzte 10.000 reisten allerdings vorzeitig wegen des schlechten Wetters ab. Das Deutsche Rote Kreuz zählte 75 Krankenhaustransporte - angesichts der Zehntausenden Besucher eine geringe Zahl. Zufrieden ist auch die Polizei - sie spricht am Montag von einer "äußerst friedlichen" Veranstaltung. Weniger als 100 Diebstähle und nur zehn Körperverletzungen seien angezeigt worden. "Der ungewöhnliche Verlauf des Festivals dürfte auch möglichen Diebesbanden die Arbeit erschwert haben", sagte ein Polizeisprecher. Außerdem registriert: knapp 100 Rauschgiftdelikte und 40 Blutproben nach Drogen- und Alkoholfahrten.