Stanislav Kochanovsky über Bartók: "Seine Musik ist unverwechselbar"
Die NDR Ensembles würdigen den Komponisten Béla Bartók derzeit der Konzertreihe "Kosmos Bartók". Am 8. Februar hat die NDR Radiophilharmonie in der Elbphilharmonie unter anderem dessen Violinkonzert Nr. 2 gespielt. Im Interview spricht der designierte Chefdirigent Stanislav Kochanovsky darüber, was Bartóks Musik für ihn ausmacht.
Ab der Saison 2024/25 übernimmt Stanislav Kochanovsky offiziell die Position des Chefdirigenten der NDR Radiophilharmonie. Bereits in dieser Spielzeit dirigiert er das Orchester immer wieder bei Konzerten. So auch am 8. Februar in der Elbphilharmonie. Solist ist der ukrainische Geiger Waleri Sokolow.
Erst zur nächsten Spielzeit fangen Sie offiziell als Chefdirigent bei der Radiophilharmonie an, haben aber jetzt schon mehrere Konzerte dirigiert. Wie haben Sie den Auftakt mit Ihrem neuen Orchester bis jetzt erlebt?
Stanislav Kochanovsky: Ich fühle mich schon wie zu Hause. Es macht so viel Spaß, nach Hannover zu kommen und Musik zusammen zu machen. Obwohl es erst mein drittes Programm ist, verstehen wir uns schon sehr gut. Ich bin sehr gespannt auf unsere zukünftige Zusammenarbeit. Das nächste Mal spielen wir Anfang März in Hannover zusammen - unter anderem die Sinfonischen Tänze von Rachmaninow.
Heute sind Sie zu Gast beim Bartók-Festival. Was interessiert Sie am meisten an der Musik von Béla Bartók?
Kochanovsky: Die musikalische Welt von Bartók ist eines der interessantesten und herausragendsten Phänomene in der Musikwelt des 20. Jahrhunderts. Im Laufe seines Lebens sammelte er bis zu 30.000 Volksmelodien. Er hat klar festgestellt, wie sehr sich die regionalen Kulturen gegenseitig spiegelten und sich gegenseitig beeinflussten. So hat er seinen eigenen einzigartigen nationalen Musikstil gefunden. Seine Musik ist sehr originell und unverwechselbar.
Sie sind genau 100 Jahre jünger als Béla Bartók - was sagt er uns heute? Was an seiner Musik sind aus Ihrer Sicht die aktuellen Aspekte in Bartóks Musik?
Kochanovsky: In einem späten Brief schrieb Bartók: "Mein Ziel ist die Verbrüderung der Völker. In diesen Dienst stelle ich meine ganze Kraft." Das klingt auch heute ziemlich aktuell.
Solist im Violinkonzert ist der ukrainische Geiger Waleri Sokolow. Wie gut kennen Sie ihn?
Kochanovsky: Ich kenne Waleri seit vielen Jahren als einen sehr zuverlässigen und ernsthaften Musiker. Vor genau zehn Jahren haben wir in Moskau zum ersten Mal zusammengespielt. In der letzten Saison sind wir durch Italien getourt und das 2. Konzert von Bartók haben wir vor sechs Jahren in Dublin gespielt. Was ich am meisten an ihm mag, ist, dass er einfach nur vor dem Orchester steht und spielt, so wie früher Dawid Fjodorowitsch Oistrach. Keine visuellen Effekte, alles ist in der Musik. Denn heutzutage ist es oft so, dass die Künstler sehr aktiv sind auf der Bühne; sie springen herum oder spielen mit ihrem Haar.
Was muss ein Geiger aus Ihrer Sicht unbedingt mitbringen, um das Stück überzeugend spielen zu können?
Kochanovsky: Eugene Ormandy schrieb an Bartók, dass "nach Beethoven, Mendelssohn und Brahms kein besseres Violinkonzert geschrieben wurde". Diese Musik erfordert vom Solisten höchste Kunstfertigkeit. Es bietet die gesamte Farbpalette vom zartesten Pianissimo bis zum kräftigsten Fortissimo. Diese Musik begleitet mich seit vielen Jahren und jedes Mal, wenn ich zu diesem Violin-Konzert zurückkomme, bewundere ich ihre Perfektion, Struktur, Harmonie der Formen und außergewöhnliche Schönheit. Es ist erstaunlich, wie eine Zwölf-Ton-Melodie, scheinbar "aus dem Kopf erfunden", eine Reihe sich nicht wiederholender zwölf Töne, wie eine wunderbare Melodie klingt.
Für das Publikum heute Abend ist mit Sicherheit "Der wunderbare Mandarin" das rätselhafteste und auch das "strapaziöseste" Stück. Warum will uns Béla Bartók diese Geschichte überhaupt erzählen - worum geht es ihm?
Kochanovsky: Ich denke, Bartók wollte die unwiderstehliche Gewalt der Natur und den allmählichen Moralverlust in der damaligen Gesellschaft darstellen. Das phantasmagorische Bild des unsterblichen Mandarins kann auf unterschiedliche Weise verstanden werden. Für einige ist es Natur, Religion, bestimmte Zivilisation - für andere sind es Kindheitsängste. Es ist aber wahrscheinlich besser, die Deutung offen zu lassen - das Publikum soll das hören, was es hören will. Es gibt Raum für alle möglichen Interpretationen.
Die "Zwei Bilder für Orchester", mit denen Sie nach der Pause starten, sind klanglich und von der Idee her etwas völlig anderes: zum Teil inspiriert von Claude Debussy, dessen Musik Béla Bartók kurz nach 1900 kennengelernt hat. Wo lehnt sich Bartók an Debussy an, und wo geht er seine eigenen Wege?
Kochanovsky: Im ersten Bild kann man den Einfluss von Debussy hören, allerdings mit sehr herben "ungarischen" Harmonien. Das zweite Bild, "Dorftanz", lässt keinen Zweifel mehr. Dies ist ein echter Dorftanz mit Stampfen, einem starken Rhythmus in Form eines Rondos. Darin gibt es einen Mittelteil - ich liebe diese Stelle -, in dem wir eine lange, endlose Melodie hören, die von zwei Harfen begleitet wird. Es handelt sich um ein eher selten gespieltes Stück, und ich freue mich sehr, es dem Publikum präsentieren zu können.
Das Interview führte Franziska von Busse.