Der Schlagersänger Ingo ohne Flamingo © picture alliance/dpa/Revierfoto | Revierfoto
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AUDIO: Nur vermeintlich trivial - Schlager in der Wissenschaft (3 Min)

Schlager gewinnen in der Wissenschaft an Popularität

Stand: 08.05.2024 06:00 Uhr

In diesen Wochen starten gleich zwei neue Schlager-Podcasts: Bei SR 2 "Marmor, Stein und Inéz spricht" und bei Deutschlandfunk Kultur "Polaks Schlagertalk". Der Schlager als Gegenstand der kulturellen Betrachtung scheint an Popularität zu gewinnen. Auch in der Wissenschaft?

von Joschka Brings

Ein Hit auf Social Media: Der Arrangeur und Hochschuldozent Simon Mack vertont die Texte von Ballermann-Hits wie "Saufen" von Ingo ohne Flamingo als klassische Musikstücke.

Ein ungewöhnlicher Brückenschlag, ist die sogenannte Hochkultur an Universitäten doch oft auf Distanz zu den Party-Songs gegangen. So giftete zum Beispiel Theodor Adorno gegen Schlager:

"Sie rechnen mit Unmündigen; solchen, die des Ausdrucks ihrer Emotionen und Erfahrungen nicht mächtig sind; sei es, dass Ausdrucksfähigkeit ihnen überhaupt abgeht, sei es, dass sie unter zivilisatorischen Tabus verkrüppelte. Sie beliefern die zwischen Betrieb und Reproduktion der Arbeitskraft Eingespannten mit Ersatz für Gefühle überhaupt, von denen ihr zeitgemäß revidiertes Ich-Ideal ihnen sagt, sie müssten sie haben." aus Theodor W. Adorno, "Einleitung in die Musiksoziologie"

Forschende sind dem Schlager gegenüber offener geworden

Doch in den letzten Jahren gibt es an den Universitäten einen Kurswechsel. So forscht der Musikwissenschaftler Dr. Felix Christian Thiesen unter anderem an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock zu Schlagern. "Forschende sind viel offener geworden, was das vermeintlich Triviale angeht", sagt er. "Wo man sich dezidiert mit diesen Genres beschäftigt, die vielleicht früher den Duktus des Anrüchigen hatten, da gibt es inzwischen sehr viel mehr Offenheit. Es gibt auch mehr Publikationen, aber je weiter weg die Musik von unserem Kunstmusik-Begriff ist, desto weniger erforscht ist sie in der Regel auch."

Anscheinend gibt es noch einiges nachzuholen

Im vergangenen Jahr ist ein wissenschaftlicher Sammelband unter dem Titel "Schlager erforschen" erschienen. Darin geht es um politische, wirtschaftliche und mediale Aspekte des Genres - ein Rundumschlag. Anscheinend gibt es im Schlager aus wissenschaftlicher Sicht noch einiges nachzuholen. "Ich würde mir eine weniger unkritische Betrachtung der historischen Quellen zum Schlager wünschen", sagt Thiesen. "Da sind auch in der eigentlich sehr offenen Musikpsychologe Glaubenssätze gefallen wie: 'Schlagerhörer*innen wenden sich ihrer Form der Musik zu, weil sie nicht imstande sind, die Bach'sche Polyphonie zu verstehen'. Das hat ein ganz berühmter Musikpsychologe gesagt: Klaus Ernst Behne - vor 30, 40 Jahren."

Vorliebe für Schlager hat nichts mit Intelligenz zu tun

Denn längst ist klar: Die Vorliebe für Schlager hat nichts mit Intelligenz zu tun. Dr. Felix Christian Thiesen hat mit dem Kommunikationswissenschaftler Dr. Holger Schramm eine Studie durchgeführt: Welcher Nutzen und welche Belohnungen ziehen Menschen aus ihrem Musikkonsum? Gleichzeitig haben sie auch Persönlichkeitsmerkmale erfasst. "Schlagerhörer*innen sind nicht dümmer, sie sind nicht emotionaler, sie neigen nicht dazu, sich stärker in andere Realitäten zu flüchten, als das Hörer*innen anderer Genres sind", stellt Thiesen fest. "Das ist etwas, das man häufig unterstellt hat - und das ist eben nicht der Fall. Ich finde, deswegen hat auch die Forschung rund um den Schlager eine starke Berechtigung. Weil es natürlich auch darum geht, Vorurteile vielleicht mal einer genaueren Prüfung zu unterziehen, die so seit Jahrzehnten in der Musikwissenschaft umhergeistern."

Und damit eine Form des Musikhörens anzuerkennen, die einen nicht geringen Anteil der Bevölkerung berührt, erfreut - oder aus dem Alltag flüchten lässt. So entsteht auch eine Grundlage für weitere Diskussionen: Zum Beispiel über die teilweise sexistischen oder alkoholverherrlichenden Texte in Teilen des Genres - denn über die kann auch eine hochkulturelle Bearbeitung nicht hinwegtäuschen.

 

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