Reeperbahn Festival - Tag 1: Wieder mittendrin auf St. Pauli
In den Clubs auf und um Hamburgs Amüsiermeile steigt Europas größtes Clubfestival: das Reeperbahn Festival. Im Blog erzählt NDR Musikjournalist Matthes Köppinghoff von den Festivaltagen auf dem Hamburger Kiez - und von großen und kleinen Entdeckungen in der Popkultur.
Wer mich noch nicht kennt: Ich bin Matthias Köppinghoff, genannt Matthes, und schreibe für den NDR den Reeperbahn Festival-Blog. In den letzten Jahren bin ich bis tief in die Nacht bei Europas größtem Clubfestival durch St. Pauli gezogen … und in diesem Jahr, bei der 18. Ausgabe, darf ich zum neunten Mal von hier für euch bloggen. Herzlich Willkommen also zum Reeperbahn Festival 2023!
Die erste Station: Der N-JOY Reeperbus
Der Festivalstart ist in diesem Jahr angenehm sonnig und warm: Ungeduldig stehe ich in der Warteschlange für meine Pressebändchen, um dann doch schon wenig später über den Spielbudenplatz zu schlendern. Wie in den letzten Jahren ist das meine erste Anlaufstelle, weil sich das immer als gute Strategie herausgestellt hat: Erstens kann man sich hier prima verabreden, zweitens gibt's hier auch Livemusik, sogar für Leute ohne Festivalbändchen. Und weil ich auch ein paar der Leute beim N-JOY Reeperbus kenne, kann ich direkt zum Radiopreis gratulieren - denn damit wurden die Kolleg*innen vor kurzem ganz frisch in der Kategorie "bestes Musikformat" ausgezeichnet.
Ein sonniger Start ins Festivalwochenende
Mein musikalischer Start besteht in diesem Jahr aus Damona und Jolle, später schaue ich mir auch noch ein wenig Antje Schomaker und Picture This aus Irland an. Hier ist schon ganz gut was los; eigentlich geht es mittwochs eher noch gemächlich zu, aber heute ist hier bereits recht viel Publikumsverkehr. Das mag einerseits am guten Wetter liegen, aber hier sind auch viele mit einem Eintagesticket angereist, die "einfach mal gucken wollen".
Okay, die Jahre 2020 und 2021 waren Corona-bedingt furchtbar für das Reeperbahn Festival, im vergangenen Jahr musste man sich dann wieder etwas eingrooven. In diesem Jahr scheint es endgültig zur Normalität und zum Standard vor der Pandemie zurückzufinden, als man noch ohne größere Planung hier hingefahren ist. Laut Presseinfo werden so knapp 50.000 Besucher*innen und 4.000 Fachbesucher*innen 2023 erwartet. Mal schauen, wie viele also in den nächsten Tagen vorbeischauen werden und wie voll es wirklich wird!
Auf geht's in die Clubs!
Auch wenn es schön ist, bei herrlichstem Herbstwetter auf dem Spielbudenplatz rumzusitzen und sowohl meinen Hut als auch meine Lederjacke durchzuschwitzen, ist das Reeperbahn Festival vor allem ein Clubfestival und davon soll ich schließlich auch berichten. Daher finde ich mich wenig später im Chikago (ja, das ist kein Tippfehler, sondern heißt wirklich so, zu finden kurz hinter dem Hans-Albers-Platz, schräg gegenüber von der Herbertstraße) bei Spill Tab ein. Dahinter steckt die französisch-koreanische Musikerin Claire Chicha, die ich auf Platte eigentlich mochte. Hier in dem verwinkelten Laden versinkt die Musikerin samt Band aber leider in einem furchtbar dumpfen Soundmatsch. Passiert schon mal, denke ich mir achselzuckend, und ziehe weiter. Eine Lehre der letzten Jahre: Im Zweifel zum nächsten Konzert gehen, schließlich findet zeitgleich ein besserer Auftritt von irgendwem statt.
Indie-Pop-Rock aus Köln mit Sparkling
Das erste richtig gute Konzert sehe ich später in der Kastanienallee, konkreter: in der Prinzenbar. Hier spielt die dreiköpfige Band Sparkling aus Köln, die aufmerksame Leser*innen vielleicht schon von mir kennen: Wenn ich mich nicht täusche, habe ich schon im Blog 2019 von denen geschwärmt, von Songs, die meistens auf Englisch, aber auch auf Deutsch oder Französisch gesungen werden. Ende Oktober bringen Sparkling jedenfalls ein neues Album raus, ein paar neue Songs davon gibt's heute Abend auch. Und der Laden ist voll, ganz so falsch kann ich also damals nicht mit meiner Meinung gelegen haben. Hinter mir rechts höre ich Arctic-Monkeys-Vergleiche, vor mir links ist man erstaunt, dass die drei aus dem rechtsrheinischen Köln-Kalk kommen - so geht dieses Konzert sehr kurzweilig schnell vorbei.
Flanieren über den Kiez und Glück bei Arlo Parks
Wieder draußen, lasse ich mich etwas treiben; vorbei an Kneipen, Bistros und Kiosken, die von Anhänger*innen der Musikbranche geflutet sind: Musikjournalist*innen, Label-Leuten und Künstler*innen - das Reeperbahn Festival ist vor allem auch ein Knotenpunkt zum Netzwerken. Auf das kultige Abhängen an Kiosken im Kontext der allmächtigen Musikindustrie komme ich bestimmt noch in den nächsten Tagen zu sprechen - aber jetzt nehme ich euch erstmal mit ins Operettenhaus.
Eigentlich hatte ich gar nicht mehr damit gerechnet, reingelassen zu werden, aber als ich sehr pünktlich eintreffe und mein Glück versuche, werde ich noch durchgelassen und kann mir Arlo Parks anschauen. Zwei Alben hat die Künstlerin aus London bisher veröffentlicht, "Collapsed In Sunbeams" wurde sogar mit dem renommierten Mercury Prize ausgezeichnet. Ihre Musik kann ich allen von ganzem Herzen empfehlen, daher will ich heute wissen, wie ihre Songs live wirken.
Ein echtes Highlight: Arlo Parks
Das Negative vorweg: Der Sound ist hier heute recht dünn. Schade, denke ich mir, auch dieses Sitzen passt irgendwie nicht so recht (zugegebenermaßen hatte sich da mein 40-jähriger Musikjourno-Körper darauf sehr gefreut), da hätte ich mich schon lieber ein bisschen bewegt. Dennoch, mein Urteil: Wer Arlo Parks und ihre Musik nicht mag, ist ein schlechter Mensch. Die Musikerin aus London erzählt, dass sie sehr dankbar ist, hier zu sein, auch in dieser Location und zu dieser Uhrzeit - sie hätte schon hier beim Reeperbahn Festival gespielt, umso schöner, nun ganz prominent am Eröffnungstag auftreten zu können.
An ihrer Performance gibt's nichts auszusetzen, bei "Too Good" stehen die Leute sogar auf, um zaghaft zu tanzen (endlich!), wobei bei meinem Favoriten "Black Dog" dann doch wieder an die Etikette gedacht und sich hingesetzt wird. Und der Sound bekommt auch nicht mehr Wumms. Nun ja. Ich nörgle aber auch gern, und hey: Was für ein Glück, ich bin reingekommen, ohne mich vorher in die endlos lange Schlange stellen zu müssen!
Das letzte Konzert für heute: Shitney Beers
Bisher zufrieden, mache ich mich auf zum Headcrash auf dem Hamburger Berg, zu meinem letzten Termin für den ersten Festivaltag. Shitney Beers treten hier heute auf. Dahinter steckt vor allem die Musikerin Maxi Haug aus Hamburg, das zweite Album "This Is Pop" ist im Dezember beim Label Grand Hotel van Cleef erschienen. Singer-Songwriterinnen-Indie-Rock, mal augenzwinkernd-selbstironisch, mal zerbrechlich-zart - das ist genau meine Art von Feierabendsoundtrack. Und wie man schon zwischen den Zeilen bemerkt, gefällt mir auch dieses Konzert - vor allem der Song "Keys" vom ersten Album. Und so ist auch schon der erste Tag vorbei, und ich mache mich auf den Weg nach Hause, um diesen Text hier in meinen Laptop zu tippen.
Meine Tipps für den Donnerstag
Zu allererst: Keine Panik vor unbekannten Namen! Da müssen sich alle anderen auch durchhören und die Musik für sich entdecken, und genau das macht ja auch den Reiz dieses Festivals aus. Meine Empfehlungen sehen in etwa so aus: Vermutlich fange ich mit Goldkimono um 14 Uhr im Molotow an; am gleichen Ort würde ich mir gern anderthalb Stunden später Loupe anschauen. In der Großen Freiheit gibt's dann einmal Antje Schomaker (19:30 Uhr) und Grandbrothers (21:20 Uhr). Luna Morgenstern (19:30, Prinzenbar) finde ich auch spannend, neugierig bin ich auch auf Loveless - die spielen aber zeitgleich im Uebel & Gefährlich, das wird wohl leider nix. Mein großer Tipp für das Wochenende sind Lena&Linus, die spielen noch mehrfach in den nächsten Tagen, am Donnerstag aber zum ersten Mal - gibt's um 20:40 Uhr beim N-JOY Reeperbus.
Und ansonsten rate ich zu: Hansemädchen (20:30 Uhr, Festival Village), Moss Kena (20:40 Uhr, Spielbude XL), von Thala hatte ich bereits vor zwei Jahren geschwärmt, sie spielt dieses Jahr um 20:45 Uhr im Sommersalon. The Last Dinner Party (sogar eine Empfehlung von Festivalboss Alex Schulz) und The Staves habe ich geistig auch unter "gut" einsortiert - mal schauen, ob ich das auch noch schaffe, und dann wäre da auch noch der voraussichtliche Abschluss um 23 Uhr in der St. Pauli-Kirche mit Bernhoft … ach Mensch, oder Hannes (23:20 Uhr, Gruenspan).
Aber wer weiß: Vielleicht kommt es auch ganz anders. Wäre ja nichts Neues. Jetzt gehe ich kurz schlafen - in diesem Sinne: Bis später!