Pierre Boulez ist tot
Der französische Komponist und Dirigent Pierre Boulez ist am Dienstag im Alter von 90 Jahren in Baden-Baden gestorben. Er galt als einer der bekanntesten zeitgenössischen Komponisten der Welt. Ein Nachruf.
Die Gründung des IRCAM 1977 in Paris, eines der heute führenden Institute zur Erforschung der Musik und ihrer Akustik, brachte ihm zunächst den Ruf eines dickköpfigen Querdenkers ein, dann aber internationale Anerkennung. "Wenn man einen Schock hat, fängt man an, sich zu bewegen." war einer seiner Leitgedanken. "Ich denke immer an Sisyphus", sagte er einmal. "Der Stein rollt immer abwärts und man muss immer den Stein aufwärts rollen, das ist das Leben. Man denkt manchmal, ja, ich habe den Stein nach oben gebracht und so muss das jetzt für die Ewigkeit bleiben. Aber nein, man muss jeden Tag wieder neu anfangen. Ich finde, wenn Gedanken am Anfang neu sind, brauchen sie eine bestimmte Zeit bis sie akzeptiert sind."
Eine historische Aufnahme zeigt Pierre Boulez beim Dirigieren von Stravinskys "Sacre du Printemps" bei Radio-Canada in Montreal 1963.
Impulse aus der bildnerischen Kunst
Pierre Boulez wurde am 26. März 1925 in Montbrison an der Loire als Sohn eines Stahlarbeiters geboren. Er studierte Komposition bei Olivier Messiaen und Dirigieren bei René Leibowitz. Seit der Uraufführung seines "Marteau sans Maitre" ("Hammers ohne Meister“) nach Gedichten von René Char 1955 in Baden-Baden, gehörte Pierre Boulez als ein prägender Komponist zum inneren Kern der neuen Musik-Szene in Europa. Seine Impulse fand er im bildnerischen Werk und in den Schriften von Paul Klee und in der Literatur der französischen Symbolisten wie Stéphane Mallarmé, erzählte er: "Ich spiele mit dem Gedächtnis. Man glaubt, das habe ich schon mal gehört, aber wie klingt es genau. Man muss sich immer wieder Fragen stellen."
"Tradition ist ein totes Museum."
Pierre Boulez gehört zu den Pionieren der Musikelektronik. Mit ihrer Hilfe wollte er die Möglichkeiten der Instrumente erweitern. Auch als Dirigent hat Pierre Boulez Maßstäbe gesetzt und, wie er selbst erklärte, "das Publikum geschüttelt”. Sein Skandal-Ring aus Bayreuth mit Patrice Chérau (der 68 Mal zwischen 1976 und 1980 aufgeführt wurde) genießt als "Jahrhundert-Ring" Kultstatus. Hinter allem stand der Gedanke: "Geschichte verlangt nach einer gegenwärtigen Befragung, Tradition ist ein totes Museum."
Leitlinien für die Neue Musik
Pierre Boulez Visionen werden noch lange Leitlinien für die Neue Musik sein. Seit Anfang der Neunzigerjahre hatte Pierre Boulez wieder verstärkt am Dirigentenpult gestanden. Zu seinen Lieblingsorchestern gehörten die Berliner und die Wiener Philharmoniker sowie die Staatskapelle Berlin. Im Jahr 2004 gründete er die "Lucerne Festival Academie", weil er fand, dass die Musik von heute in der Ausbildung an den Hochschulen generell zu kurz käme.
Seither arbeitete er jährlich beim Sommerfestival in Luzern mit mehr als 130 Studentinnen und Studenten an Werken des 20. und 21. Jahrhunderts und führte sie in die Kunst des Partiturlesens und des Dirigierens aktueller Werke ein. Damit hat er auch ein Modell für eine neue Orchesterpädagogik geschaffen.