Meisterhafte Harfenmusik mit Anaëlle Tourret
Schon mit 25 Jahren wurde die Französin Anaëlle Tourret Soloharfenistin des NDR Elbphilharmonie Orchesters. Zuvor hatte die Schülerin Xavier de Maistres bereits mehrere große internationale Musikwettbewerbe gewonnen.
Sie gilt seitdem als eine der besten Harfenistinnen der Welt und ist in vielen verschieden Besetzungen zu erleben. Mit ihrem ersten Soloalbum "Perspectives" wurde Anaëlle Tourret im vergangenen Jahr für die renommierten International Classical Music Awards 2023 nominiert - eine besondere Auszeichnung. In ihrem Livekonzert bei NDR Kultur EXTRA hat sie unter anderem Musik von Mozart, Britten und Caplet gespielt.
Wie hat sich der Blick der Komponistinnen und Komponisten auf die Harfe im 20. Jahrhundert verändert?
Anaëlle Tourret: Die Harfe gehört zwar zu den ältesten Instrumenten, aber das modernste Modell, das wir heute spielen, ist vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Es gab für dieses Instrument ein neues Interesse von den Komponisten dieser Zeit, dazu gehören Debussy, Ravel und Fauré. Diese Komponisten, die auf diesem Album sind, haben alle ein einziges Stück für Soloharfe komponiert und in jedem Stück präsentiert sich die Harfe in neuen Farben. Ich fand das sehr interessant, diese Komponisten zusammen zu präsentieren, denn sie haben mit ihren Stücken neue Perspektiven eröffnet und damit wollte ich ein anderes Bild der Harfe zeigen und selbst auch neue Perspektiven für das Publikum öffnen. Man hat dieses Bild von einer Harfe, von einem Salon-Instrument, das märchenhaft ist. Das stimmt auch und gehört zu unserer Geschichte, aber das ist sie nicht nur. Ich wollte diese Perspektive weiter öffnen.
Du hast eben schon einige französische Komponisten genannt. Das ist sehr auffällig, dass es gerade in Frankreich besonders viele hervorragende Harfenistinnen und Harfenisten gibt. Womit hängt das zusammen?
Tourret: Ich glaube, für alle Instrumente gibt es berühmte pädagogische Schulen in verschiedenen Ländern, abhängig vom Instrument. Für die Harfe gibt es eine sehr berühmte französische Harfenschule und die französischen Harfenisten haben immer sehr eng mit französischen Komponisten gearbeitet. Deshalb fand man auch nicht viele Werke, die für die Harfe komponiert waren, außer von Debussy, Ravel und Fauré, aber ich denke auch von Jolivet. Die französische Harfenschule ist sehr berühmt, das ist wahr, es gibt auch eine russische, eine italienische und auch eine deutsche Harfenschule.
Du selbst siehst dich aber schon in dieser französischen Schule. Du hast unter anderem bei Xavier de Maistre studiert. Bist du in dieser Tradition unterwegs?
Tourret: Ich bin sehr glücklich, mit wirklich sehr guten Professoren studiert zu haben. Ich schätze aber vor allem die Gelegenheit, neue Länder und neue Traditionen kennenzulernen. Ich würde sagen, ich habe wahnsinnig viel in der französischen Harfenschule gelernt, aber als ich in Deutschland angekommen bin - das war Hamburg, mein erstes Mal in Deutschland - da habe ich auch eine ganz andere Musizier-Tradition entdeckt. Dieses Zusammenspielen und wirklich auf seine Weise zu spielen und es zu einem gemeinsame Klang werden zu lassen, das finde ich in Deutschland einzigartig und das schätze ich sehr.
Ist das was, was dich auch speziell zum NDR Elbphilharmonie Orchester gezogen hat, diese Art des Zusammenspiels?
Tourret: Ich finde, das ist eine sehr große Besonderheit von diesem Orchester. Das ist ein ziemlich altes Orchester, das sehr gut Brahms oder Bruckner spielen kann, aber nicht nur. Diese Brücke zwischen Tradition und Modernität, natürlich mit unserem Saal, aber auch mit wahnsinnig neuen Impulsen und neuer Energie, zum Beispiel mit unserem jetzigen Chefdirigenten Alan Gilbert, mit neuem Programm, neuen Solisten, mit einer neuen Art und Weise, wie ein Konzert konzipiert wird. Ich finde diese Zeit extrem interessant und ich bin immer sehr glücklich mit diesem Orchester arbeiten zu dürfen.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.