Komponist Clemens K. Thomas über die Verniedlichung des Krieges
In seiner Musik kommen Panzer mit Frauen zusammen, der Krieg und das Niedliche. Inwieweit diese Gegensätze zusammenpassen und wie und wo die Verniedlichung des Krieges schon Realität ist, darüber spricht der Komponist Clemens K. Thomas.
Clemens K. Thomas ist ein viel gefragter Komponist und Kurator. Unter anderem hat er eine Oper geschrieben, die Ende 2024 an der Opera Stabile der Staatsoper Hamburg uraufgeführt wurde: "Dollhouse". Bekannt durch seine Arbeit mit dem Ensemble Resonanz oder dem Göttinger Sinfonieorchester, verhandelt Clemens K. Thomas in seinen Werken die drängenden und aktuellen Fragen der Zeit. Dabei arbeitet er spielerisch mit wiederkehrenden Motiven aus der modernen Gegenwart, dem medialen Alltag oder er unternimmt nostalgische Rückblicke und verbindet so Popkultur mit europäischer Musiktradition.
Am 4. Mai wird in Göttingen das Stück "Girls und Panzer" zu hören sein. Was sich dahinter verbirgt, wie er das Werk angelegt hat, wodurch er inspiriert wurde - darüber spricht Clemens K. Thomas in NDR Kultur à la carte mit Friederike Westerhaus.
"Girls und Panzer", da stolpert man sofort über den Titel. Es ist klar, da werden sehr unterschiedliche Sachen und sehr unterschiedliche Sphären zusammengebracht. Was hat es mit dem Stück auf sich?
Clemens K. Thomas: Ich bekam 2023 vom Ensemble intercontemporain und Patricia Kopatchinskaja den Auftrag, mich mit dem Thema Krieg und Frieden für eine Aufführung in der Pariser Philharmonie zu beschäftigen. Ich finde, dieses Thema ist sehr herausfordernd, weil es nicht so schwarz-weiß ist, wie der Titel vermuten lässt, sondern sehr vielschichtig. Unsere Debatte, die gerade öffentlich geführt wird, hat mich auch sehr bewegt und nimmt mich mit. Ich glaube, ich wurde sehr pazifistisch erzogen, vielleicht ist das üblich, wenn man kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs geboren wurde. Ich war der erste Jahrgang, der nicht mehr zur Musterung musste. Jetzt erleben wir wieder so eine Diskussion über die Frage nach Kriegstüchtigkeit, nach Aufrüstung und nach Wehrpflicht. Da stellt sich für mich die Frage, wie nehmen wir eigentlich diese Debatte wahr, oder wie wird Krieg verpackt, dass er konsumierbar wird?
Ich beschäftige mich sehr mit Netzkulturen. Ich erlebe auf Instagram, YouTube und TikTok, wie sich zum Beispiel junge Frauen als Soldatinnen in der Ukraine propagandistisch verhalten, um dem Krieg ein hübsches Gesicht zu geben. Dieser Titel "Girls und Panzer" ist eine Anime-Serie. Das ist eine japanische Produktion, die in einer Welt spielt, in der an Mädchenschulen Panzer fahren, und es das Unterrichtsfach "mit Panzern kämpfen" gibt. Das ist insofern noch mal schräger, weil die verschiedenen Schulen für verschiedene Nationen stehen.
Dann gibt es zum Beispiel die Schwarzwaldgipfel-Mädchen, das sind Mädchen in klassischem Manga-Look mit Schuluniform und kurzem Rock, die sehr sexualisiert sind. Gleichzeitig fahren Panzer der deutschen Wehrmacht. Wenn diese Schwarzwaldgipfel-Mädchen in die Schlacht ziehen - in der übrigens niemand sterben kann, sondern es ist ein Sport - dann läuft das "Panzerlied" oder "Erika". Das sind Kriegslieder, die vor allem mit SS- oder NS-Konnotation sind. Diese Lieder sind teilweise aber auch in der Bundeswehr noch bis vor kurzem gespielt worden. Die Lieder haben jetzt wieder auf den sozialen Medien eine starke Renaissance. Sie stehen mit kriegstreibender Propaganda, aber auch national identitären Inhalten, wie zum Beispiel AfD-nahen Inhalten in Verbindung.
Das ist total verstörend, solch ein Anime in unserer Zeit zu haben. Es sind extreme Kontraste, die aufeinandertreffen. Du sagst, du bist in einer Zeit groß geworden, in der die Frage des Krieges und der Aufrüstung überhaupt keine Rolle gespielt hat. Jetzt hat sich das alles gedreht. Du als Kunstschaffender bringst das in deine Musik mit ein. Soll das in gewisser Weise ein politisches Statement sein? Oder worum geht es dir im Kern dabei?
Thomas: Ich würde sagen, dieses "Girls und Panzer" ist eines meiner politischsten Stücke, aber im Sinne von Realpolitik, die immer voller Kompromisse und Widersprüche steckt. Es ist kein politisches Stück im Sinne von politischem Aktivismus, wo ich ganz klar für die eine oder andere Seite die Fahne oder das Signal hebe. Sondern ich möchte, diese Widersprüchlichkeit und vielleicht auch die Schwierigkeiten, die wir gerade in der Debatte haben, künstlerisch verarbeiten.
Ich benutze in diesem Stück die Mittel der Niedlichkeit, der Cuteness, als subversive Kraft. Ich habe mir von diesem Anime, dieser japanischen Produktion, etwas abgeschaut und mich inspirieren lassen, was in Deutschland, glaube ich, bisher wenig gemacht wird, zumindest im Bereich der Kunst, nämlich Krieg zu verniedlichen. Die Niedlichkeit hat hier ihr subversives Potenzial, weil sie klebrig, süß und ansprechend ist, gleichzeitig hat etwas Unheimliches. Sie hat hübsche Augen, aber spitze Zähne. Ich habe diese Kriegslieder, wie das "Panzerlied" und "Erika" genommen und habe sie beschleunigt, habe sie höher transponiert und sie in kleine Fragmente zerteilt. Am Schluss hört man in diesem Stück die Zitate eher undeutlich, aber trotzdem bekommt man das Gefühl von einem sehr aufgeregten und fröhlichen Marsch oder Kriegstreiben.
Ich hatte die Vorstellung einer kleinen Maus, die in den Krieg zieht. Kurioserweise ist "Maus" auch der Name des größten deutschen Panzers, der je gebaut wurde. Die Wehrmacht hatte ein Projekt von einem Riesenpanzer mit dem Decknamen "Maus". Man kann sagen, Niedlichkeit ist hier eine Tarnung. Kurioserweise war dieser Panzer "Maus" so schwer und so groß, dass er nie zur Front kam, weil er nie durch die Eisenbahntunnel gepasst hat. Das ist grotesk. Aber ich glaube, das ist das Potenzial, das Niedlichkeit hat, wenn es auf diese Form der Konsumierbarkeit von Krieg kommt.
Hat für dich die Niedlichkeit und Verniedlichung auch was mit Verharmlosung zu tun?
Thomas: Ich glaube, was aktuell geschieht, zum Beispiel in den sozialen Medien, ist auf jeden Fall eine Verharmlosung. Die Schrecken des Krieges und das Leid der Menschen wird ausgeblendet, wenn man Soldaten mit Katzen sieht oder wenn Soldatinnen in enger Uniform Tänze aufführen. Dann wird diese ganze Katastrophe und das Schrecken der Menschen ausgeblendet und verharmlost. Von daher hat Verniedlichung auf jeden Fall etwas mit Verharmlosung zu tun. Zugleich hat Verniedlichung auch etwas mit Konsumierbarkeit zu tun. Sie wird so geschmeidig gemacht, dass wir dem Aufmerksamkeit widmen - vielleicht sogar, als wenn es drastische oder gewalttätige Bilder wären.
Gespräch führte Friederike Westerhaus. Einen Ausschnitt davon lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite und in der ARD Audiothek hören.
