Debussys Prélude: Beginn der modernen Musik
Welche Werke der klassischen Musik sollte man kennen? Die Antwort auf diese Frage kann man in Lexika suchen oder in Lehrplänen für die Schule. Oder man kann Musiker fragen. Im Weltwissen Musik stellen die Mitglieder des NDR Sinfonieorchesters ihre Lieblingsstücke vor. Dieses Mal: Der Flötist Jürgen Franz erzählt, was ihn an der "Prélude à l'après-midi d'un faune" von Claude Debussy fasziniert.
Mit seinem Orchesterstück "Prélude à l'après-midi d'un faune" - auf Deutsch "Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns" bringt Claude Debussy Ende des 19. Jahrhunderts einen neuen Klang in die Musik. Er setzt ganz auf weiche Farben und fließende Formen. Dabei spielt die Flöte eine wichtige Rolle: Mit ihrem Solo etabliert sie gleich zu Beginn den Grundton des Stücks. Eine anspruchsvolle Aufgabe für die Flötisten.
Ein anspruchsvoller Konzertbeginn
"Oft ist 'L'après-midi' am Anfang des Konzerts und man ist derjenige, der das Konzert beginnt. Das ist mental nicht so einfach", sagt Jürgen Franz vom NDR Sinfonieorchester über das Flötensolo am Beginn von Debussys Prélude. "Was ganz entscheidend ist, ist die richtige Stimmung zu finden, die richtige Farbe zu finden und dann über diesen mentalen Druck, der in der Situation entsteht, den Atem so ruhig fließen zu lassen, dass man die Farbe, die man sich zurechtgelegt hat, nicht zerstört." Jürgen Franz packt sein schönes goldenes Instrument aus und demonstriert im Studio, wie er sich den Klang vorstellt.
Musik, die "auch eine gewisse Realität in sich trägt"
Mit dieser weich fließenden Melodie stimmt Claude Debussy seine Hörer auf die Atmosphäre des Stücks und dessen Hauptfigur ein.
Sein "Prélude à l'après-midi d'un faune" nach einem Gedicht von Stéphane Mallarmé beschwört eine Szenerie aus dem Reich der mythischen Fabelwelt. Im Zentrum steht der Hirtengott Pan, mit lateinischem Namen Faun, ein Zwitterwesen aus Jüngling und Ziegenbock, mit kleinen Hörnern auf der Stirn und Ziegenschwanz. Die Klangsignatur dieses Pan ist die Flöte. In der Hitze des Nachmittags dämmert er vor sich hin und entwickelt lüsterne Fantasien von verspielten Nymphen. Dabei ist nicht ganz klar, "ob diese Begierden, ob das eine wirkliche Geschichte war, oder ob das eben nur Träume waren. Später, wenn die Musik auch bewegter wird und in der Dynamik gewinnt, merkt man schon, dass es auch eine gewisse Realität in sich trägt."
Eine Klangsprache der Andeutungen
Auch wenn Claude Debussy die sinfonische Dichtung in sinnliche Steigerungen führt, bleibt die Musik doch immer flirrend und schwebend. Kantige Höhepunkte wie in der deutschen Romantik gibt es hier nicht. Es ist eine Klangsprache der Andeutungen, der Stimmungsbilder und der wolkigen Formen. Deshalb hat man den Begriff des Impressionismus aus der Malerei entlehnt, um den Stil von Debussy zu beschreiben. Auch Jürgen Franz vom NDR Sinfonieorchester fühlt sich an die Meister des feinen Pinselstrichs erinnert: "Dann kommen einem sofort der Monet und diese ganzen tollen impressionistischen Bilder in den Kopf. Da sieht man schon, dass Konturen nicht mehr so stark sind, es vermischt sich alles so ein bisschen."
Ein Prélude als Wegbereiter der modernen Musik
Die besonderen Klangmischungen und Harmonien in Debussys Meisterwerk bilden einen Wendepunkt in der Musikgeschichte, markiert vom Solo der Flöte. Der Anfang 2016 verstorbene Komponist und Dirigent Pierre Boulez etwa sah Debussy als wichtigen Wegbereiter der Avantgarde: "Nach der Flöte des Faunes atmet die europäische Musik anders. Man kann sagen, dass die moderne Musik mit 'L'Après-midi d'un Faune' beginnt."