Politisch denkend: Ausstellung entdeckt Henri Cartier-Bresson neu

Stand: 14.06.2024 07:52 Uhr

Henri Cartier-Bresson gehört mit seinen Momentaufnahmen in perfekt komponierten Formen zu den großen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Das Werk des Franzosen schien allgemein bekannt, doch eine Ausstellung in Hamburg belehrt nun eines Besseren.

Henri Cartier-Bresson: Berliner Mauer, Westdeutschland, 1962 © 2024 Fondation Henri Cartier-Bresson / Magnum Photos
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von Anette Schneider

Paris um 1930: Ein Mann springt mit einem Riesenschritt über eine Pfütze. Hunde lungern auf einem Bürgersteig. Vor einer Wand mit Werbeplakaten liegt ein obdachloser Mensch - und der Fotograf höchstpersönlich hält sich breit-verzerrt in einem Rundspiegel fest.

Der entscheidende Augenblick: Ikonische Fotos von Cartier-Bressons

Eine Frau läuft durch die Ausstellung "Watch! Watch! Watch!" © Ulrich Perrey / Bucerius Kunst Forum
Das Bucerius Kunst Forum widmet dem Mitbegründer der legendären Fotoagentur Magnum die erste große Retrospektive in Deutschland seit 20 Jahren.

Mit diesen frühen Aufnahmen eröffnet die chronologisch gehängte Ausstellung "Watch! Watch! Watch! Henri Cartier-Bresson" im Bucerius Kunst Forum mit Fotografien, von denen viele als Ikonen gelten - zeigen sie doch seine Fähigkeit, dank einer kleinen, handlichen Kamera unbeobachtet den "entscheidenden Augenblick" einzufangen. "Seine Bilder sind perfekt komponiert", sagt Direktorin Kathrin Baumstark. "Nicht, dass er etwas inszeniert hätte: Er hatte einen Blick für Geometrie, für den goldenen Schnitt, für perfekte Proportionen. Dann kommt der Mensch ins Spiel - und es wird ein perfektes Ganzes."

Henri Cartier-Bresson als politisch agierender Fotograf

Kathrin Baumstark und Ulrich Pohlmann in der Ausstellung Watch! Watch! Watch! Henri Cartier-Bresson © Bucerius Kunst Forum/ Ulrich Perrey Foto: Ulrich Perrey
Direktorin Kathrin Baumstark und Kurator Ulrich Pohlmann in der Ausstellung "Watch! Watch! Watch! Henri Cartier-Bresson".

Mit dem Aufstieg des Faschismus in Europa und dem Beginn des Spanischen Bürgerkriegs schloss sich Cartier-Bresson - wie viele Künstler - der kommunistischen Bewegung an. Erstmals zeigt jetzt eine Ausstellung, wie dies bei ihm zu einer politisch-humanistischen Haltung führte, die seine Arbeit für immer veränderte. Zu verdanken ist dieser neue Blick dem Kurator Ulrich Pohlmann: "Ich hatte die Gelegenheit, über drei Monate in Paris in der Fondation Cartier-Bresson zu arbeiten und in den Archiven zu stöbern. Ich habe dort Zehntausende von Originalfotografien durchgesehen. Das Anliegen hat sich dann sehr schnell herausgestellt: Cartier-Bresson auch als einen politisch denkenden und agierenden Fotografen zu zeigen. Denn er ist ein bisschen weichgespült worden in den letzten Jahrzehnten."

So umfasst die Ausstellung zahlreiche Fotoreportagen aus den 30er- bis 70er-Jahren: Cartier-Bresson, der für die größten Zeitschriften der Welt arbeitete, war im Spanischen Bürgerkrieg und drehte Filme. Er ging zu den Partisanen, nachdem er aus deutscher Kriegsgefangenschaft fliehen konnte, und fotografierte. Er dokumentierte Armut in Europa, den Machtantritt Maos in China, die Camorra in Neapel, die Technisierung der Arbeitswelt - und immer stehen die Menschen im Mittelpunkt: ihr Leid, ihr Alltag, ihre Hoffnungen. "Diese linke Vergangenheit ist zentral für das Verständnis seiner Arbeit", erklärt Pohlmann. "Das ist leider während der Jahrzehnte immer mehr ins Hintertreffen geraten. Die hat sein Handeln auch als Fotograf bestimmt."

Ausstellung bricht mit dem tradierten Bild des Künstlers

Henri Cartier-Bresson: Krönung Königs George VI, London, Großbritannien, 12. Mai 1937 © 2024 Fondation Henri Cartier-Bresson / Magnum Photos
Henri Cartier-Bresson: Krönung Königs George VI, London, Großbritannien, 12. Mai 1937

Oft lässt sich auch Komisches entdecken: So sollte Cartier-Bresson 1937 in London die Krönung von George VI. fotografieren. "Nur", sagt Ulrich Pohlmann, "interessiert er sich überhaupt nicht für die Krönung selber, sondern er konzentriert sich auf die Passanten, die zu Hunderttausenden an den Straßenrändern warteten, um einen Blick auf den Monarchen zu erhaschen. Er fotografiert deren Verhalten, wie die das Ereignis betrachten."

Das reicht von euphorischem Jubel bis zum betrunkenem Chaos. So wie Cartier-Bresson damals die Erwartungen seiner Auftraggeber brach, so bricht diese großartige Ausstellung mit dem tradierten Bild des Künstlers: Nach diesem Coup lässt sich Henri Cartier-Bresson nie wieder nur auf den Fotografen vermeintlich unpolitischer, genial-skurriler Momentaufnahmen reduzieren.

Politisch denkend: Ausstellung entdeckt Henri Cartier-Bresson neu

Das Werk von Henri Cartier-Bresson schien allgemein bekannt, doch eine Ausstellung im Bucerius Kunst Forum belehrt einen nun eines Besseren.

Art:
Ausstellung
Datum:
Ende:
Ort:
Bucerius Kunst Forum
Alter Wall 12
20457 Hamburg
Preis:
12 Euro, ermäßigt 6 Euro, dienstags 6 Euro
Öffnungszeiten:
täglich 11:00 bis 19:00 Uhr
donnerstags: 11:00 bis 21:00 Uhr
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 14.06.2024 | 07:20 Uhr

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Fotografie

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