"Junges Mädchen": NS-Raubkunst in der Hamburger Kunsthalle?
Das Gemälde "Junges Mädchen" von Paula Modersohn-Becker gehörte womöglich einst dem jüdischen Kaufmann Robert Graetz, in der NS-Zeit gelangte es in die Hände eines NSDAP-Mitglieds. Seit den 50er-Jahren hängt es in der Hamburger Kunsthalle. Die Erben von Robert Graetz fordern es nun zurück.
Der Fall hat ein Gesicht: Das eines jungen Mädchens. Das Porträt von Paula Modersohn-Becker hängt in der Hamburger Kunsthalle und gehört der Stadt Hamburg. Schon seit mehr als 20 Jahren wird das Gemälde "Junges Mädchen" in der Datenbank "Lost Art" gelistet: als mutmaßliche NS-Raubkunst. "Das Bild ist 1958 ins Haus gekommen. Als Geschenk. Und es ist ein zu beforschendes, schwarzes Loch", sagt Kunsthallen-Direktor Alexander Klar.
Die Kunsthalle bekam es als Geschenk von Else Doebbeke, Witwe des NSDAP-Mitglieds und Kunsthändlers Conrad Doebbeke. Er soll während der NS-Herrschaft viele Gemälde, vor allem von jüdischen Besitzern, günstig erworben haben.
Robert Graetz musste Besitz weit unter Wert veräußern
Der jüdische Kaufmann und Textilunternahmer Robert Graetz besaß damals eine große Kunstsammlung. "Mein Großvater war ein wichtiger Kaufmann in Berlin. Ein jüdischer Kaufmann. Er war ein Kollektionist, er war ein Mäzen", erklärt sein Enkel Roberto Graetz. Als die Nazis an die Macht kamen, musste er seine Firma schließen. Aus finanzieller Not sah er sich gezwungen, einen Großteil seines Besitzes weit unter Wert zu veräußern. Auch wertvolle Kunstgegenstände. Im April 1942 wird Robert Graetz deportiert. Danach verliert sich seine Spur. "Er hat alles verloren: Sein Haus, seine Villa, sein Geschäft, seine Geschwister. Und zum Schluss ist er umgekommen", erzählt sein Enkel.
Erben bemühen sich um Rückgabe des Gemäldes - seit drei Jahren
In seiner großen Villa hing, so bezeugen die Nachfahren, auch dieses Gemälde: "Junges Mädchen" von Paula Modersohn-Becker. Die Erben von Robert Graetz wollen es zurück. Seit Dezember 2020, seit nunmehr drei Jahren. "Wir haben einen sogenannten Claim verfasst, ein Restitutionsbegehren an die Hamburger Kunsthalle (…) und dann haben wir erstmal lange nichts gehört“, erzählt Rechtsanwalt Ewald Volhard. Roberto Graetz sagt, man könne sich nicht an die Verzögerung gewöhnen. Die Hamburger Kunsthalle habe drei Jahre lang nichts gemacht - sie würde die Familie als Gegner sehen, nicht als Opfer. "Wir müssen zusammenarbeiten", sagt er weiter. "Und das geschieht nicht."
Die Hamburger Kunsthalle äußert sich auf NDR Anfrage nur schriftlich: "Wir standen immer wieder im Laufe des (…) benannten Projektes bzw. stehen im Rahmen der Anspruchsstellung zum Werk 'Junges Mädchen' in Kontakt und haben auch Quellen von unserer Seite hier zur Verfügung gestellt."
Kunsthalle forscht weiter an der "Werksidentität"
Längst haben die Anwälte der Erben ein eigenes Forschungsprojekt in Auftrag gegeben, das Licht ins Dunkel bringen soll: "Rekonstruktion der Sammlung Robert Graetz und Forschung zum Verbleib der vermissten Werke". Seitens der Hamburger Kunsthalle wollte man die Ergebnisse dieses Projektes abwarten und mit der eigenen Forschung abgleichen. Erst seit Ende Dezember liege der Bericht nun in Hamburg vor. Man forsche weiter an der Werksidentität: "Viele Werke von Paula Modersohn-Becker haben in der Vergangenheit unterschiedliche Titel getragen. Zudem fehlen oft in den historischen Quellen konkrete Angaben zur Technik, zu den Maßen und zu den Materialien, sodass sich die Zuordnung dieser Information zu den heute noch vorhandenen Werken sehr schwierig gestaltet."
Bewusste Verzögerung oder fundierte Recherche? Die Erben fühlen sich von der Hamburger Kunsthalle hingehalten. Eine dritte Partei soll den Konflikt nun lösen: Die unabhängige Beratende Kommission. Sie vermittelt zwischen möglichen Erben und Institutionen, wenn es um Kunstwerke geht, die in der NS-Zeit unrechtmäßig erworben wurden. Damit sie tätig werden kann, müssen allerdings beide Seiten zustimmen.
Enkel Roberto Graetz hofft auf "ein bisschen Gerechtigkeit"
Nachdem die Erben die Beratende Kommission angerufen hatten, willigte drei weitere Monate später auch die Stadt Hamburg als derzeitiger Besitzer des Gemäldes ein. Die Behörde für Kunst und Medien teilt uns mit: "Zur Klarstellung sei nochmal darauf hingewiesen, dass für uns eine Zustimmung zum Mediationsverfahren auch nicht in Frage stand. Dass in diesem Fall unsere formale Zustimmung zum Mediationsverfahren erst Ende Dezember erfolgt ist, bedauern wir (…)." Roberto Graetz sagt, man könne die Zeit nicht zurückdrehen. Aber man könne ein bisschen Gerechtigkeit in diese Welt bringen.