Ein Mann mit kurzen hellen Locken lächelt in die Kamera. © picture alliance / Frank May Foto: Frank May
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AUDIO: Charlie Hebdo: Karikaturist Til Mette über den Anschlag auf die Redaktion (6 Min)

Karikaturist Til Mette über den Anschlag auf "Charlie Hebdo"

Stand: 07.01.2025 09:01 Uhr

Vor zehn Jahren, am 7. Januar 2015, drangen islamistische Terroristen in die Redaktion des Satire-Magazins "Charlie Hebdo" ein und töteten zwölf Menschen. Til Mette erzählt, was dieses Ereignis für Karikaturistinnen und Karikaturisten verändert hat - oder auch nicht.

von Philipp Schmid

Außerdem erläutert er seine persönliche Perspektive auf die umstrittenen Mohammed-Karikaturen, die der Auslöser für den istlamistischen Angriff waren. Das Recht der freien Rede, der freien Kunst und der freien Presse sei mit dem Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" auf groteskeste Weise massakriert worden, betont Til Mette.

Wissen Sie noch, was damals Ihre ersten Gedanken waren?

Til Mette: Ich habe das unmittelbar im Radio mitbekommen, als die ersten Meldungen rauskamen. Da ist einem das Blut gefroren. Es war auch sofort klar, welche Dimension das haben würde, weil sofort berichtet wurde, dass zwei Täter mit Maschinenpistolen ein Massaker in der Redaktion verübt und dabei zwölf Menschen erschossen haben. Jeder der Redaktionen kennt, Zeichner oder Journalist ist, wusste, was das auch medial bedeuten würde. 

Was hat sich für Karikaturisten seither verändert?

Mette: Der Anschlag ist jetzt zehn Jahre her. Aber die Zäsur hat tatsächlich 2005 angefangen, mit der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in Dänemark. "Charlie Hebdo" hat eigentlich nur auf das reagiert, was im Zusammenhang mit den Mohammed-Karikaturen passiert ist. Schon bevor es diesen Anschlag gegeben hat, hatte es schon einen Brandanschlag auf die Redaktion gegeben - nur aufgrund der Tatsache, dass sie die dänischen Karikaturen nachgedruckt haben. 

Somit ist die große Zäsur für uns als Karikaturisten eigentlich nicht zehn, sondern 20 Jahre alt. Die Zäsur hat bedeutet, dass irgendjemand zu glauben begann, uns Zeichnern in der westlichen Welt sagen zu dürfen, was wir zeichnen dürfen oder was wir nicht zeichnen dürfen. Das hat es vorher so nicht gegeben. Wir haben uns auch immer auf die Verfassung berufen, dass wir das Recht der freien Rede, der freien Kunst und der freien Presse haben. Und dieses Recht war mit dem Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" auf groteskeste Weise massakriert worden.

Gab es so etwas wie die Lust auf Provokation, solche Dinge erst recht zu zeichnen? 

Mette: Ja, klar. Das war der erste Impuls, den man hatte. Es wurde viel gezeichnet - und jeder hatte Lust, Mohammed zu zeichnen. Ich habe es auch gemacht und ich finde es auch richtig, das zu machen. Wir dürfen uns von Islamisten nicht sagen lassen, was wir tun dürfen und was nicht. Wir haben immer noch die groteske Situation, dass Islamisten auch in Hamburg frei marschieren, dass Sie hier das Kalifat fordern. Mit der Macht, die wir als Karikaturisten haben, machen wir uns in aller Form über diese Idioten lächerlich. 

Was erreicht Sie an Anfeindungen oder Kritik?

Mette: Dazu muss man sagen, ich zeichne für den "STERN" und das ist ein Printheft. Die tatsächlichen Anfeindungen finden eher im digitalen Raum statt. Das heißt, wenn man über eine Online-Plattform öffentlich wird, hat man deutlich härtere und irrere Rückmeldungen als im Print. Dazu muss ich sagen, der "STERN" ist ein linksliberales Magazin, was eine 71-jährige Satire-Tradition hat. Das heißt, die Leser sind geschult, dass es Satire gibt und das Satire anders als eine journalistische Reportage ist. Da sind die Reaktionen nicht so, dass man angefeindet wird.

Hat es Sie ein bisschen genervt, dass immer wieder gefragt wird, was darf Satire?

Mette: Entweder ist diese Frage unglaublich dumm, oder sie ist unverschämt.

Es gibt zum Jahrestag von "Charlie Hebdo" vom Wilhelm-Busch-Museum in Hannover eine künstlerische Intervention, bei der Sie auch etwas gezeichnet haben. Was haben Sie gezeichnet?

Mette: Die Anfrage an die Zeichner war, Zeichnungen abzugeben, die man im Zusammenhang mit diesem Massaker gemacht hat. Bei mir waren es keine aktuellen Zeichnungen, sondern es waren Zeichnungen, die ich im Laufe der Jahre zu dem Thema gemacht habe. Auf einer sieht man diesen berühmten Mohammed, den "Charlie Hebdo" gezeichnet hat. Den habe ich auf eine Couch gesetzt, mit einem anderen, der genauso aussieht. Daneben sitzt Charlie Brown. Der sagt: "Ich bin auch 'Je suis Charlie', aber ich habe Frau und Kinder." Es ging tatsächlich damals darum, wer Solidarität zeigte und wer zu feige war, die zu zeigen. Das ist teilweise heute auch noch ein Thema.

Also war diese große Solidarität zum Teil auch nicht ganz so ernst zu nehmen?

Mette: Direkt nach dem Anschlag gab es eine Demonstration in Paris, bei der sind anderthalb Millionen Leute auf die Straße gegangen. In diese Demonstration haben sich 30 Regierungschefs eingereiht, unter anderem auch Erdogan. Erdogan hatte zu der Zeit, als er für die Pressefreiheit auf die Straße ging, in Solidarität mit "Charlie Hebdo", Karikaturisten in seinen eigenen Gefängnissen sitzen. Das war absurd. Es gab wirklich die irrsten Solidaritätsadressen auch von rechtsradikalen völkischen Nazis, die auf einmal auch für die Pressefreiheit waren, weil sie damit den Islam schädigen wollten. Als Karikaturisten haben wir immer gewusst, dass es eine fürchterliche Melange gibt, die sich diesem Thema annähern.

Das Gespräch führte Philipp Schmid.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 07.01.2025 | 08:10 Uhr

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