Sensationeller Bossard-Fund: Was zeigt das Monumentalgemälde?
In einem Gebäude der Kunststätte Bossard wird gerade das Dach neu gemacht. Dabei haben Dachdecker ein verschollenes Gemälde von Johann Bossard entdeckt. Um was es sich dabei handelt, erklärt Museumsdirektorin Heike Duisberg-Schleier.
Wie ist das passiert? Wie ist das Gemälde entdeckt worden?
Heike Duisberg-Schleier: Das war für uns wirklich sensationell. Die Mitarbeiter der Dachdeckerfirma haben am Donnerstag gemeldet, dass sie ein Gemälde unter dem Dachboden gefunden haben. Da waren die Sensation und die Aufregung schon groß. Wir dachten also, es wäre ein Gemälde. Dann stellten wir fest: Da ist noch viel mehr. Insgesamt haben wir 26 Leinwände gefunden, die größtenteils zu einem Monumentalgemälde gehören, aber auch einige Frühwerke Bossards, ein Werk aus dem Jahr 1918 und die dazugehörigen Keilrahmen und weitere Schmuckrahmen - also ein richtiger Schatz auf diesem bis dahin unbekannten und vom Haus aus unzugänglichen Dachboden.
Waren die nicht bekannt oder galten die als verschollen?
Duisberg-Schleier: Wir hatten Kenntnis! Gerade von dem Monumentalgemälde wussten wir sehr gut. Es gibt historische Abbildungen. Dieses Werk wurde 1907/1908 von Johann Michael Bossard erstellt, als er nach Hamburg kam. Es wurde in Hamburg ausgestellt, später auf der Großen Kunstschau in Berlin und sehr vermutlich auch in Chemnitz, Danzig und Zug in den Jahren 1909 und 1910. Was danach geschah, wissen wir nicht. Wir wissen, dass Bossard dieses Monumentalgemälde - 18 Meter in der Breite und fünf bis sechs Meter der Höhe - gerne verkauft hätte. Dieser Verkaufserfolg stellte sich nicht ein. Deswegen gehen wir davon aus, dass er die Leinwände von den Keilrahmen nahm, sie einrollte und hier vor Ort auf dem Dachboden lagerte. Dann geriet es in Vergessenheit. Wie wussten von diesem Werk, aber es galt für uns als verschollen.
Was zeigt dieses Monumentalgemälde?
Duisberg-Schleier: Das zeigt typische Bossard-Motive, aber auch einen Hinweis auf die Stadt Hamburg. 1907 kam Johann Michael Bossard nach Hamburg. Er begann zunächst als Lehrbeauftragter, später arbeitete er als Professor an der Kunst- und Gewerbeschule in Hamburg. Es zeigt Hamburg-Motive, maritime Motive, die wir sonst in seiner Kunst eigentlich nicht finden. Das macht es auch so besonders und stellt diesen Hamburg-Bezug her. Ansonsten ist es ein ziemlich vielfältiges Gemälde, das die typischen Körperdarstellungen Bossards - also große, kräftige Körper - darstellt, aber auch Weiblichkeit, eine Frau mit Kind. Das ist ein ziemlich vielschichtiges Gemälde, das wir da gefunden haben, das den Namen "Tatkraft" trägt.
Haben Sie die Leinwände schon begutachten können? Wie gut sind die erhalten?
Duisberg-Schleier: Das letzte Werk, das wir gefunden haben, ist "Die Heiligen Tage" - ein sehr farbenprächtiges Werk aus dem Jahr 1918. Deswegen wissen wir, dass die Dinge nach 1918 eingelagert worden sind und damit an die hundert Jahre dort oben gelagert haben. Dafür sind sie in einem unglaublich guten Zustand. Natürlich besteht Restaurierungsbedarf, ganz klar, aber die Farben sind unheimlich gut zu erkennen und die Leinwände sind - für die lange Lagerungszeit auch in nicht-klimatisch optimalen Bedingungen - in sehr gutem Zustand. Das ist wirklich die nächste Sensation.
Johann Michael Bossard hat den Nationalsozialisten nahe gestanden. Sie haben gerade ein Gutachten zu dem Thema in Auftrag gegeben. Könnte die Bossard-Forschung sich durch den Fund nochmal verändern oder in ein neues Licht gerückt werden?
Duisberg-Schleier: Wir haben eine Forschung in Auftrag gegeben und im April diesen Jahres die Ergebnisse veröffentlicht. Wir haben einen ganz konkreten Blick auf die Person Johann Michael Bossard geworfen und haben ihn in den Kontext seiner Zeitgenossen gesetzt. Das heißt, wir haben ihn und die völkische Kunstszene seiner Zeit durch eine wissenschaftlich fundierte Untersuchung beleuchten lassen. Wir ordnen Johann Michael Bossard der völkisch-konservativen Szene zu. Wir ordnen ihn nicht als einen Menschen ein, der ein überzeugter Nationalsozialist war. Er stand in dieser völkisch-konservativen Kunstszene auf einer Ebene mit Künstlern wie Fritz Höger, Paul Schultze-Naumburg und Ludwig Fahrenkrog. Die Studie hat ergeben, dass Bossard keine Ausnahmeerscheinung ist, sondern recht typisch in seiner Zeit.
Er unterscheidet sich von anderen Künstlern dieser Zeit, weil er sich nach einer Zeit - vielleicht auch, nachdem er wirtschaftlich unabhängig war durch seine Anstellung in Hamburg ab 1911 - komplett zurückzog und sich auf seine Kunststätte hier in Lüllau-Wiedenhof bei Jesteburg konzentrierte. Dieses Gemälde ist ein Puzzlestück des großen Projekts, das wir hier vor Ort haben. Wir haben die Forschungsergebnisse, aber unser Auftrag ist es, die Inhalte zu vermitteln, unsere Besuchenden an die Hand zu nehmen und ihnen möglichst leicht auf eine einfache Art und Weise diese vielen inhaltlichen Ebenen, die Kunstgeschichte, die Kunst Johann Michael Bossards, aber auch die Zeitgeschichte und seine politische Gesinnung zu vermitteln. Da spielt dieser Fund ganz sicher eine Rolle und wird ein Puzzlestück in unserer Vermittlung sein.
Wann können wir uns das Ganze ansehen?
Duisberg-Schleier: Jetzt haben wir es erst einmal gefunden. Wir sind froh, dass die Funde in so gutem Zustand sind. Wir haben ein wunderbares Schaumagazin in Jesteburg, wo die Dinge erstmal eingelagert werden, denn wir können sie hier vor Ort weder lagern, noch zeigen. Ich weiß nicht, ob wir jemals dieses große Gemälde zeigen werden, aber natürlich sprechen wir jetzt schon über unser Ausstellungsprogramm im nächsten Jahr und werfen da einiges über den Haufen. Wir möchten diesen Fund natürlich unseren Besucherinnen und Besuchern zeigen. Ich denke, dass wir in der Herbstausstellung im kommenden Jahr zumindest Teile dieses Fundes und die unglaubliche Geschichte des Auffindens werden zeigen können.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.