Das Bauhaus im Exil: Über Mythen und Wahrheiten in "Der Brutalist"
Der Bauhaus-Architekt Marcel Breuer ist ein loses Vorbild für die Hauptfigur im oscarnominierten Film "Der Brutalist". Joachim Driller hat zu dem echten Architekten geforscht. Ein Gespräch.
Joachim Driller ist Professor an der Hochschule Coburg. 1990 hat er seine Dissertation über den Bauhaus-Architekten Marcel Breuer geschrieben, der unter anderem das Whitney-Museum in der Upper West Side von Manhattan gebaut hat. Driller kennt also den realen Hintergrund hinter der Filmstory "Der Brutalist" genau.
Herr Driller, viele Emigranten sind in Amerika nicht mit offenen Armen empfangen worden. Wie ist es denn Marcel Breuer ergangen?
Joachim Driller: Marcel Breuer ist sicherlich nicht eine Gestalt, auf die man in Amerika gewartet hat. Das kann man nicht sagen, aber es sind ihm von Beginn an in den USA Chancen eingeräumt worden. Denn er kommt natürlich aus einem sehr spezifischen Umfeld, dem Bauhaus. Walter Gropius ist ein Mentor, der ihn über viele Jahre fördert und ihn an verschiedene Orte mitnimmt. Als er 1937 dann in Amerika ist, da ist Gropius in Harvard der Leiter der Architekturabteilung, weil er auch emigrieren musste. Er holt Breuer nach und so hat der zunächst einmal die Möglichkeit, in den USA in die Lehre einzusteigen und das natürlich an einer sehr renommierten Universität - der Harvard University in der Architekturabteilung.
Da hat er zumindest Lohn und Brot gefunden. Wie ist das mit seiner künstlerischen, seiner architektonischen Arbeit? Inwiefern kann er sich da in den USA austoben und tätig werden?
Driller: Breuer hat immer davon geträumt, Architekt zu werden. Zunächst einmal ist er durch sein Möbeldesign berühmt geworden, schon als er noch in Europa war. Gerade Amerika hat ihm dann aber die Möglichkeit geboten, diesen Traum vom Architekten auch umzusetzen, zunächst einmal, weil er tatsächlich an einer Fakultät für Architektur unterrichtet hat. Er hatte vorher in Europa nur wenige Bauten fertiggestellt. In Amerika hat er die Möglichkeit, Architektur zu lehren und gleichzeitig "überwinterte" er sozusagen den Zweiten Weltkrieg, in den USA, an der Harvard Universität. Das ist ganz wesentlich für seine weitere Karriere.
Dort kann er Konzepte entwickeln, die seine zukünftige Architektur ausmachen sollte. Das hat er auch schon in Europa gemacht und während der Lehre in Amerika macht er es weiter. Er ist in der Lage, Konzepte für Wohnhäuser zu entwickeln. Das ist etwas sehr Wesentliches für die amerikanische Nachkriegszeit. Stellen Sie sich vor, es kommen all die GIs wieder nach Hause zurück. Bereits während des Krieges macht man sich in Amerika Gedanken darüber, dass neue Architekturkonzepte für ein zukünftiges Wohnen entwickelt werden. Seine ganz große Chance nach dem Zweiten Weltkrieg: Er kann mit wirklich wunderschön modernen Wohnhäusern an der Ostküste der USA als Wohnhausarchitekt reüssieren. Er hat sozusagen ein Publikum, das jetzt darauf wartet, dass diese Bauten auch wirklich umgesetzt werden können.
Das ist ja eine Zeit der kulturellen Emanzipation für die Vereinigten Staaten. Wie hat man denn auf diese europäische Moderne geschaut? War das verrückt? Galt das als fortschrittlich?
Driller: Was im Mythos des Bauhauses immer wieder auftaucht oder was diese Leute selber für sich in Anspruch genommen haben ist, dass sie die ersten gewesen seien, die wirklich die europäische Moderne nach Amerika gebracht haben. Das ist aber nicht der Fall gewesen. Es gab schon durchaus vor der Bauhaus-Immigration moderne Architekten in den USA - auch klassisch europäisch, moderne Architekt, die zuvor ausgewandert sind. Es ist nicht so, dass man auf diese Architektur außerordentlich kritisch geschaut hätte - in der Mehrheit vermutlich ja - aber es gab ein Publikum, das interessiert daran gewesen ist, dass vor allen Dingen auch durch das Museum of Modern Art in New York darauf hingewiesen worden ist, wo die Qualitäten und Inhalte dieser Architektur lagen. Auf diese Art und Weise war von vornherein durchaus ein Publikum gegeben, das diesen Bauten positiv gegenüberstand.
Die europäischen Migranten von anderen Kunstrichtungen haben sich angepasst an den Massengeschmack, an den Pop oder an Hollywood. Wie es das in Design und Architektur? Haben die sich auch verändert durch die Vereinigten Staaten?
Driller: Sie haben sich ganz sicherlich verändert. Wobei man auch da wiederum die Entwicklung schon der 1930er-Jahre in Europa sehen muss. Die Architektur übernimmt historische und traditionelle Materialien wie Holz und Naturstein et cetera. Das entwickelt Breuer schon während seiner Zeit in England, wo er zunächst in der Emigration lebt und setzt es dann in Amerika fort. Das Moderne, große Fensterflächen, Flachdächer aber gleichzeitig eine Architektur, die aus traditionelle Materialien zurückgreift, das findet durchaus ein Publikum. Da gibt es eine Transformation, die dann beim Publikum ankommt.
Inwiefern hat diese ästhetische DNA überlebt? Wieviel Moderne des Bauhaus-Stils ist noch in den USA sichtbar?
Driller: Es gibt heute noch sehr viel was klassisch-moderne Architektur betrifft, nicht nur Bauhaus-Architektur - das ist sowieso ein problematischer Begriff. So zum Beispiel im Villen-Bau auch im Einfamilienhaus-Bau: große Fensterflächen und Flachdächer et cetera. Vieles hat sich verändert, auch unter energetischen Gesichtspunkten, aber eine Tradition ist absolut weiterhin gegeben, genauso wie bei uns in Europa auch.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.